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1,50 Euro für einen Tag Schürfen

Der "wilde" Goldbergbau ist in Mali Überlebens- und Gefahrenquelle gleichermaßen

Von Bernard Schmid *

Laut offiziellen Zahlen leben in Mali rund zwei Millionen EinwohnerInnen des Landes direkt oder indirekt vom »wilden« Goldabbau. Unglücke sind keine Seltenheit und die Multis hätten gerne ein Monopol.

Die Asphaltstrecke führt bis an die Grenze zur Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). Auf ihr trainieren junge Männer auf Rennrädern für einen Dreiländer-Wettbewerb, das Fahrradrennen zwischen Mali, Burkina Faso und der Côte d’Ivoire. Ab und zu fahren Reisebusse und häufiger Tanklastwagen vorbei. Rundherum liegt eine Waldsavanne mit vielen Termitenhügeln, und es regnet wesentlich häufiger als im Rest Malis. Rund 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt, im Südosten Malis, biegt unser Bus jedoch ab und lädt uns aus: Das letzte Stück Weg können wir nur auf ungeteerten Strecken zurücklegen.

Weiter geht die Fahrt in einem taxi-brousse (wörtlich »Buschtaxi«). So wird ein reichlich heruntergekommener VW-Bus genannt, der den Aufklebern nach zu schließen in einem früheren Leben einmal in Spanien eingesetzt gewesen sein muss. Die Menschen fahren auf den zerschlissenen Sitzbänken im Inneren, die Ziegen auf dem Dach mit. Anderthalb Stunden dauert die Reise mit einigen Zwischenstopps bis hinter das 25 Kilometer von der Teerstraße entfernte Dorf Nampala. Hier liegt ein neu eröffnetes Bergwerk für den Goldabbau, doch die Mine produziert derzeit noch nicht.

Wir besuchen Moussa[1], der dort als Baggerfahrer arbeitet, bislang noch ohne festen Vertrag, den er aber nach einer Probezeit erhalten wird. Mit seinem Lohn, umgerechnet knapp 300 Euro ist er ganz zufrieden. Für Mali ist das ein halbwegs stattliches Gehalt. Es stellt sich heraus, dass hier kurioserweise die Löhne bei den Subfirmen des Bergbaubetreibers, der multinationalen Firma Robex, wesentlich besser ausfallen als beim Stammunternehmen selbst. Letzteres stellt überdies nur einjährige Zeitverträge aus, während die einheimischen Subfirmen auch unbefristete Arbeitsverträge anbieten. Sonst nutzen größere Firmen meistens ihre jeweiligen Subfirmen, um dort wesentlich schlechtere Bedingungen durchzudrücken, als sie dem Stammpersonal angeboten werden. Hier scheint es umgekehrt zu laufen.

Sein Arbeitskollege Babakir sieht dies anders. Gemessen an den Mitteln des Unternehmens seien die Löhne nicht gut, klagt er. Babakir war schon 2005 bei einem stark befolgten Streik im Goldbergwerk Morilla, ebenfalls im Südbezirk Sikasso gelegen, mit dabei. Es ging damals um die Löhne, aber auch um Produktivitätsnormen, die eine zu starke Arbeitshetze hervorriefen. Die Streikenden wurden entlassen.

Nicht weit vom neuen Bergwerk entfernt drängen sich unterdessen Tausende Menschen unter rund 2000 Zelten mit schwarzen Plastikplanen, inmitten einer Waldsavanne mit Termitenhügeln. Es handelt sich um Goldschürfer, die in einigen Kilometern Entfernung von der Hauptader ihr Glück auf eigene Faust versuchen. Die Dörfler haben ihnen das Grundstück überlassen. Die entstandene Goldwäschersiedlung verfügt sogar über einen eigenen Markt. Die meist jungen Leute kommen aus der ganzen Region, »aber wenn die Goldvorräte erschöpft sind, ziehen wir weiter, wenn es sein muss auch nach Guinea oder Burkina Faso, so wie umgekehrt Menschen aus diesen Ländern zum Goldwaschen hierher kamen«.

Die Frauen und Männer sind überwiegend freundlich und zeigen, wie man in fünf oder zehn Meter tiefe Löcher einsteigt. Das geht mit Hilfe von Löchern auf den glitschigen Seitenwänden, in denen man die Füße notdürftig abstützen kann. Ist das Ziel erreicht, wird mit einfachen Hacken die rote Erde aufgerissen. Das durchwühlte Bodenmaterial wird nach oben befördert und mit einem Golddetektor nach Metall abgesucht. Die Detektoren müssen für teures Geld angeschafft werden – soll das Gerät etwas taugen, kostet es umgerechnet rund 3000 Euro. Ein Vermögen, für das sehr viele junge Leute zusammenlegen müssen. In manchen Fällen werden sie aber auch von Städtern finanziert. Hauptstadtbewohnerinnen etwa bezahlen »ihren« Goldschürfern, denen sie einen solchen Detektor vorfinanziert haben, umgerechnet 1,50 Euro am Tag für die Arbeit in den Erdlöchern. Werden sie fündig, erhalten sie auch einen Anteil am Gewinn.

Der junge Ali, der besser Französisch spricht als seine Schürfgenossen, jedoch fragt den Beobachter freundlich aber energisch, was er sucht, und ob er nicht für einen europäischen Konzern am Inspizieren sei. »Wenn wir hier diesen gefährlichen Job verrichten, dann deswegen, weil Euer Wirtschaftssystem unsere Länder ruiniert. Und weil Eure Einwanderungspolitik verhindert, dass wir in den reichen Ländern unser Glück versuchen!« Es entspannt sich eine angeregte Diskussion. Die jungen Menschen hier haben alles andere als ein unpolitisches Weltbild.

Aber versucht der internationale Bergbaukonzern, der nicht weit entfernt von hier gräbt, nicht, die unprofessionellen Goldschürfer zu vertreiben? »Im Prinzip schon«, meint Moussa. »Aber die Behörden wissen um die sozialen Realitäten im Land. Den Leuten hier ihre erträumte Verdienstchance zu nehmen, wäre kaum durchsetzbar.« Immerhin leben laut offiziellen Zahlen des malischen Staates rund zwei Millionen EinwohnerInnen des Landes direkt oder indirekt, die Familien mitgezählt, vom (insbesondere »wilden«) Goldabbau.

Das könnte sich nun jedoch ändern. In der ersten Septemberwoche starben 16 junge Goldschürfer in Kangaba, in der Nähe der Grenze zu Guinea, bei einem Grubenunglück. Daraufhin organisierte die Regierung am 18. September einen Kongress zur »Regulierung« des Goldabbaus. Unter der Maxime, dass nunmehr Ordnung in den »wilden« Bergbau gebracht werden müsse, wurde verkündet, dass Schluss sein müsse mit den gefährlichen Praktiken. So soll, unter der Maßgabe des – natürlich begrüßenswerten – Verbots von Kinderarbeit, die Aktivität von Minderjährigen verboten werden. Auch soll keine Schürferei mehr in der Regenzeit, die jährlich im Juli/August ihren Höhepunkt hat, mehr stattfinden. Denn dann sind die Erdlöcher glitschig. Doch die soziale Realität sieht so aus, dass gerade in dieser Jahreszeit, die mit den großen Ferien der SchülerInnen und Studierenden zusammenfällt, besonders viele junge Menschen unterwegs sind, um zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen.

Ansonsten will die Regierung den SchürferInnen auch gefährliche chemische Produkte wie Quecksilber, die zur Trennung von Erde und Goldkörnern eingesetzt werden, verbieten. An und für sich klingen viele ihrer Vorhaben begrüßenswert. Doch einige sind es erheblich weniger, etwa ihre Ankündigung, Menschen aus Nachbarländern wie Guinea und Liberia die Suche in Malis Boden zu verbieten. Und ihr gesamtes Maßnahmenbündel droht, auch als Vorwand dafür zu dienen, doch noch den multinationalen Bergbaukonzernen ein weitgehendes Monopol auf Malis Vorkommen zu sichern. Derzeit, mit dem Beginn der Trockenzeit seit Ende September, ist es etwas ruhiger um die Pläne geworden. Doch die Auseinandersetzung hat erst begonnen.

Mali gilt den meisten Menschen in Europa wohl in erster Linie als armes Land. Dieses Bild von dem westafrikanischen Staat ist schief. Zwar trifft es zu, dass Mali wie andere Länder der Region von der bestehenden Weltwirtschaftsordnung extrem benachteiligt wird. Die französische Kolonialmacht, die Mali – damals noch »französischer Sudan« genannt – bis 1960 beherrschte, hatte die Ökonomien der Region weitgehend spezialisiert und auf die Bedürfnisse der »Metropole« zugeschnitten. Im späteren Mali wurden der Erdnuss-, vor allem aber der Baumwollanbau in Monokulturen gefördert.

Die außenwirtschaftliche Abhängigkeit von der Kolonialmacht sorgte dafür, dass keine Grundlagen für eine eigenständige wirtschaftliche Struktur gelegt werden konnten. Dies wurde dann unter der antikolonial und staatssozialistisch ausgerichteten Präsidentschaft von Modibo Keita zunächst korrigiert. Er war das erste Staatsoberhaupt Malis nach der Unabhängigkeit, wurde jedoch im November 1968 vom Militär gestürzt, woraufhin die »sozialistischen Experimente« meist abgeschlossen wurden und eine Wiederannäherung an Frankreich erfolgte. Unter Modibo Keita waren in acht ausgewählten Sektoren Schlüsselindustrien errichtet worden, die dem Land tatsächlich eine wirtschaftliche Grundlage verliehen, heute jedoch meist brachliegen.

Neben landwirtschaftlichen Produkten liegt einer der Reichtümer Malis, und dies dürfte für manche europäischen Ohren zunächst überraschend klingen, in seinen Goldvorkommen. Bereits im dreizehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung rief der damalige Monarch eine internationale Inflation hervor, als er mit so mächtigen Goldvorräten nach Mekka zog, dass er bei seinem Aufenthalt in Kairo die dortige Börse zum Einsturz brachte. Heute liegen ein halbes Dutzend industriell betriebener Goldminen in Mali, meist entlang der südlichen und südwestlichen Grenzen, in den Regionen Kayes und Sikasso. Die Betreiber sind internationale Firmen mit französischem, kanadischem oder südafrikanischem Kapital, der malische Staat erhält einen Anteil von rund 15 Prozent vom Gewinn.

[1] Vornamen von der Redaktion geändert.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. November 2014


Intervention ohne Ende

Frankreichs Militärmission hat nur einen neuen Namen **

Aus den Schlagzeilen ist die französische Intervention in Mali weitgehend verschwunden, vorbei ist sie nicht. Am 29. Oktober starb mit Thomas Dupuy (32) der zehnte französische Soldat im Mali-Einsatz, in der Nähe der malisch-algerischen Grenze.

Man weiß im Allgemeinen, wann Interventionen beginnen, aber nur selten, wann und wie sie enden. Im ersten Halbjahr 2013 hatte Frankreich militärisch im Norden Malis gegen die dschihadistischen Gruppen, die sich dort im Schatten einer sezessionistischen und von Tuareg getragenen Rebellion festgesetzt hatten, eingegriffen. Vor nunmehr gut einem Jahr klangen die Nachrichten auf allen Kanälen so, als stünde die militärische Aktivität Frankreichs in Mali vor einem baldigen Abschluss und als sei das »Dschihadistenproblem« in der Region weitgehend geregelt – wenn auch dadurch, dass die bewaffneten Islamisten geflohen und in den instabilen Süden Libyens ausgewichen seien.

Heute klingen die Dinge anders. Am 12. Oktober gab der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian eine Verstärkung der Truppen seines Landes in Nordmali bekannt, um auf akute dschihadistische Bedrohungen zu reagieren. Am 25. Oktober reiste Le Drian in die malische Hauptstadt Bamako und unterhielt sich dort mit Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta. Die Operation hört zwar nicht mehr auf dem Namen »Serval« wie 2013 – benannt nach einer Wüstenkatze –, sondern ihr militärischer Codename wurde seit Juni dieses Jahres durch den neuen Titel »Barkhane« abgelöst. Die neue Operation ist nach einer in der Sahara anzutreffenden Dünenformation benannt, und ihr Befehlshaber für die Region sitzt nicht länger in Mali, sondern in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. Dort unterstehen ihm 3000 Soldaten, während die Vorläuferoperation »Serval« im Herbst vergangenen Jahres in Mali auf 1000 Mann reduziert worden war. Der französische General Jean-Pierre Bosser verkündete am 14. Oktober eine zusätzliche Verstärkung des regionalen Truppenkontingents von drei- auf viertausend Militärs. Und die Pariser Abendzeitung »Le Monde« sprach am 23. Oktober vom »größten Auslandseinsatz der französischen Armee seit dem Zweiten Weltkrieg«.

In Algier wurde unterdessen über den künftigen Status Nordmalis verhandelt. Am Tisch sitzen formell die malische Staatsmacht, Abgesandte der »Zivilgesellschaft« und Vertreter von Tuareg-Sezessionisten. Die bewaffneten Islamisten sind nicht offiziell am Verhandlungstisch vertreten, inoffiziell sind sie es schon. Der »Hohe Rat für die Einheit von Azawad« (HCUA), eine zivile Vorfeldorganisation der bewaffneten islamistischen Bewegung Ansar al-Dine (»Verteidiger der Religion«), ist allerdings mit dem Verlauf der Verhandlungen unzufrieden: Sein Anführer Algabach Ag Intallah rief am 23. Oktober in Kidal zur Mobilisierung gegen die französischen und UN-Truppen auf. Die Verhandlungen in der algerischen Hauptstadt sind bis November ausgesetzt. bes

** Aus: neues deutschland, Freitag, 7. November 2014


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