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Mali: Zurück zum Status quo ante

Der Tuareg-Experte Georg Klute zur Lage im westafrikanischen Krisenstaat ein Jahr nach der Militärintervention Frankreichs *


Georg Klute ist Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Seit 1973 gehört der nördliche Sahel (Algerien, Mali, Niger) zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten. Über die Situation im Norden und Süden Malis ein Jahr nach der Militärintervention von Frankreich sprach mit ihm nd-Redakteur Martin Ling.


Vor einem Jahr begann die französische Militärintervention in Mali überstürzt, um einem vermuteten Vormarsch islamistischer Gruppen aus dem Norden auf die Hauptstadt Bamako zuvorzukommen. Aus den Schlagzeilen ist Mali wieder raus, hat sich die Lage stabilisiert?

Nur oberflächlich. Die französischen Truppen haben die islamistischen Gruppen gestoppt und aus den Städten vertrieben. Das gilt sowohl für die von Tuareg geführte Ansar al-Dine als auch für die mauretanisch geprägte MUJAO und die algerisch gefärbte Al Qaida im Maghreb AQMI, die aus ihren Hochburgen Kidal, Gao und Timbuktu gewichen sind.

Wer ist im Norden Malis dann jenseits des Militärs noch präsent?

Neu auf dem Spielfeld ist das Hochkommissariat für die Einheit des Azawad (HCUA), das quasi als Auffangbecken für all diejenigen Islamisten dient, die sich von der Ansar al-Dine abgewandt haben. Die HCUA sollte alle Tuareg unter einem Dach versammeln, aber die säkulare Befreiungsbewegung MNLA hat sich verweigert. Die MNLA stand am Anfang der Rebellion im Norden nach dem Putsch im März 2012 im Süden und rief kurz darauf im April einseitig den unabhängigen Staat Azawad im Norden aus, bevor sie gegenüber den islamistischen Gruppierungen Zug um Zug an Boden verlor. Durch die Intervention Frankreichs ist die MNLA wieder im Aufwind und beherrschte Kidal, wo aber mittlerweile malische und UNO-Truppen die Kontrolle übernommen haben. Die Kräfteverhältnisse zwischen der HCUA und der MNLA sind noch nicht geklärt.

Und die MUJAO und die AQMI sind komplett zerschlagen?

Nein. Die sind zwar sehr geschwächt, aber warten vorerst einfach ab, bis sich die Franzosen irgendwann aus Mali wieder zurückziehen werden. Frankreichs Regierung hatte zwar als Losung ausgegeben, alle Islamisten zu »liquidieren«, aber das ist fehlgeschlagen. Deswegen hat Frankreich auch Sorge, wie sie mit den USA zusammen wenigstens eine permanente Luftüberwachung hinkriegen können.

Aktiv sind die islamistischen Gruppierungen aber kaum noch?

Doch. Es kommt immer wieder zu Aktionen. Kurz vor Weihnachten zum Beispiel hat es einen Angriff gegeben auf die Bank von Kidal, als sie nicht geöffnet war. Der Anschlag galt den senegalesischen und malischen Wachleuten und es gab zwei Tote. Und es gibt auch hin und wieder Mörserbeschuss auf Kidal von ein paar Kilometern außerhalb. Das können die Franzosen offenbar nicht verhindern.

Welche Rolle spielte bisher die UNO-Mission MINUSMA, die seit dem 1. Juli 2013 Frankreich unter die Arme greift?

Die MINUSMA ist in die Fußstapfen der afrikanischen Schutztruppe AFISMA getreten, die schon kurz nach Frankreichs Intervention Unterstützung leistete und von westafrikanischen Staaten getragen wurde, die jetzt auch bei der MINUSMA das Gros stellen. Feststellen muss man, dass das geplante Kontingent von 12 000 Soldaten und Polizisten bisher nicht annähernd erreicht, wurde, sondern nur knapp die Hälfte. Das ist die quantitative Seite. Qualitativ besteht das Ziel, Mali zu stabilisieren. Das ist ernst zu nehmen, denn die westafrikanischen Nachbarstaaten haben daran ein genuines Eigeninteresse. Sie sind also nicht nur ein Deckmäntelchen für die französische Intervention.

Mehrere Tuareg-Rebellengruppen haben Ende 2013 den im Sommer in Ouagadougou vereinbarten Waffenstillstand aufgekündigt. Ein Alarmzeichen?

Das sollte nicht überbewertet werden. Es war eine direkte Reaktion auf die Repression der malischen Armee gegen eine zivile Demonstration gegen den Besuch des malischen Ministerpräsidenten Oumar Tatam Ly. Die Armee schoss und es gab einige Verwundete. Später wurde von Tuareg-Sprechern erklärt, dass der Waffenstillstand von Burkina Faso weiter gilt und nun die Verhandlungen mit der Zentralregierung vorankommen müssten.

Wie steht es um die Verhandlungen? Mali hat mit Ibrahim Boubacar Keita (IBK) seit September 2013 einen neuen Präsidenten. Wie schlägt er sich?

IBK scheint auf Zeit zu spielen. Er sagt immer: Es dürfen nicht zwei bewaffnete Gruppen auf einem Staatsgebiet sein, es muss die Verwaltung wieder funktionieren, es muss die Armee wieder funktionieren und die Rebellengruppen müssen entwaffnet werden. Die Rebellengruppen sagen aber: Wir lassen uns erst entwaffnen, wenn es tatsächliche Friedensverhandlungen gibt. IBK setzt, was den Norden angeht, offensichtlich auf eine Strategie des Abwartens. Die MNLA soll zermürbt werden. IBK hat ganz eindeutig gesagt: Alles kann verhandelt werden außer Autonomie und Unabhängigkeit. Das aber sind die Hauptforderungen der Tuareg und das macht eine Verhandlungslösung quasi unmöglich.

In der zweiten Jahreshälfte 2013 fanden neben den Präsidentschaftswahlen auch Parlamentswahlen statt. Frankreich, Deutschland und andere sprachen von einer Rückkehr Malis zur Demokratie. Mit Recht?

Das ist mit Vorsicht zu bewerten. Es gab ganz unterschiedliche Wahlbeteiligungen. Einen großen Zulauf zur Präsidentschaftswahl und einen viel geringeren Zulauf mit einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent bei der Parlamentswahl. Das ist einerseits ein Ausdruck dieses an Frankreichs Modell angelehnten Präsidialsystems. Der Präsident steht sozusagen über der Regierung und setzt die Regierung ein und ab und steht auch in gewisser Hinsicht über dem Parlament. Das wissen die Malier und dementsprechend wissen sie auch, welche Wahl von entscheidenderer Bedeutung war. Bei den Parlamentswahlen war von Unregelmäßigkeiten die Rede, was sich aus der Distanz schwer en detail beurteilen lässt. Interessant ist, dass ähnlich wie in anderen neopatrimonialen Systemen die Wähler dazu neigen, auch bei den Parlamentswahlen die Partei des Präsidenten zu bevorzugen. Und interessant ist, dass im Norden in den von Tuareg dominierten Gebieten quasi die Leute wieder in Amt und Würden gekommen sind, die bereits vor der Rebellion 2013 dran waren. Personen, die sich während der Rebellion entweder in der MNLA oder der Ansar-al-dine organisiert hatten. Die Rückkehr der alten Eliten ist zudem ein Phänomen, das sich auch in anderen Regionen Malis manifestiert hat.

Mali ist quasi auf dem Weg zurück zum Status quo 2012 vor dem Putsch?

Genau. Vor dem Putsch und vor der Rebellion.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Januar 2014


In der französischen Diaspora macht sich Ernüchterung breit

Exil-Malier sind über Pariser Kooperation mit Tuareg-Rebellen enttäuscht / Elysée will Mali in einen Terrorabwehrgürtel einbinden

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Frankreich hält an seinen Plänen fest, seine Truppenpräsenz in Mali im Jahr 2014 zurückzufahren. Die malische Exilgemeinde begrüßte einst die Intervention, inzwischen wird Kritik an Paris' Strategie laut.

Unter den Ausländern in Frankreich sind die schätzungsweise 120 000 Malier eine der größten Gemeinschaften. Zumeist sind sie mit einem Touristenvisum für drei Monate gekommen und illegal geblieben. Sie arbeiten mit gefälschten oder von Verwandten und Freunden geliehenen Papieren und leben oft in Ausländerwohnheimen, wo jede Etage und jedes Zimmer einer Region oder einem Dorf in der Heimat entspricht.

Fast alle stammen aus der Provinz Kaywes im wirtschaftlich benachteiligten Süden des Landes, wohin sie zurückkehren wollen, wenn sie genug Geld verdient haben, um sich zu Hause eine neue Existenz aufzubauen.

Als Christen haben sie die Intervention Frankreichs vor einem Jahr begrüßt, weil dadurch die handstreichartige Machtübernahme der radikalen Islamisten aus dem Norden vereitelt wurde. Mit der Präsidentschaftswahl im Juli und der Parlamentswahl im November haben sie große Hoffnungen für eine echte Demokratie und eine friedliche Zukunft des Landes verbunden. Doch die schlecht organisierte und chaotische Wahl für die in Frankreich lebenden Malier hat viele ernüchtert und letztlich hat hier nur etwa jeder Dritte seine Stimme abgegeben.

Auch das Engagement Frankreichs sehen viele heute wesentlich kritischer. Vor allem irritiert die Zusammenarbeit der französischen Militärs mit der Tuareg-Autonomiebewegung MNLA, die sich während der französischen Intervention von ihren islamistischen Bündnispartnern der Terrororganisationen AQMI und MUJAO, aber auch der islamistischen Tuareg-Fraktion der Ansar al-Dine getrennt und die Macht in der Stadt Kidal übernommen hat. Die lassen ihr die Franzosen auch heute noch, selbst wenn dies die Regierung in Bamako dabei behindert, ihre volle Souveränität über den Norden des Landes wiederherzustellen.

Dass Frankreich auf die nach Autonomie oder gar Selbständigkeit strebenden Tuareg eingeht, entspricht langfristigen Plänen für die Sahel-Zone, die durch terroristische islamistische Terror-Milizen seit dem »Arabischen Frühling« und der damit verbundenen Destabilisierung Tunesiens und Libyens zu ihrem Rückzugs- und Operationsgebiet gemacht wurde. Dass sie auch in Mali nach wie vor aktiv sind, haben sie Anfang November mit der Entführung und Ermordung von zwei französischen Journalisten in Kidal bewiesen. Zwar setzt Paris trotz dieses eklatanten Rückschlags den schrittweisen Abzug seiner Truppen aus Mali, die im Sommer 2013 mit 3000 eine Höchststärke erreicht hatten, weiter fort und will im laufenden Jahr nur noch 1000 bis 1200 Mann im Land belassen. Doch gleichzeitig wird ein bilaterales Abkommen mit der Regierung Malis vorbereitet, das in Kürze unterzeichnet werden soll. Das Land, das stolz darauf war, über all die Jahrzehnte seit der Unabhängigkeit nie einen französischen Militärstützpunkt auf seinem Boden zu haben, soll in einen von Frankreich geplanten breiten Gürtel zur Abwehr und Zerschlagung des islamistischen Terrorismus einbezogen werden, der von Mauretanien über Mali, Niger, Tschad und Sudan bis Dschibuti reicht und weiter südlich auch Côte d'Ivoire, Kamerun und selbst Gabun einschließt.

Wo es bislang noch keine französischen Stützpunkte gab, sollen künftig solche eingerichtet werden. Das wurde auf dem Afrika-Gipfel im Dezember in Paris vereinbart, wo Präsident François Hollande betonte, dass es Frankreich nicht so sehr um die Verteidigung eigener Interessen in der Region als um die Stärkung der Selbstverteidigungsfähigkeit seiner afrikanischen Partner geht. Dafür wird ihnen massive französische Hilfe für die Ausbildung und Ausrüstung ihrer Armeen und Polizeikräfte angeboten und darüber hinaus die forcierte Aufstellung der von der Afrikanischen Union geplanten multinationalen mobilen Eingreiftruppe angestrebt. Mit den USA sind diese französischen Pläne abgesprochen und die ebenfalls einbezogenen europäischen Partnerländer wollen sich zwar nicht mit eigenem Militär beteiligen, aber wenigstens mit Geld und Ausbildern.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Januar 2014


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