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Keita hat bessere Karten

Expremier gilt als Favorit bei der Stichwahl um die Präsidentschaft in Mali

Von Martin Ling *

Malis Wähler wollen nach einem Jahr der Instabilität vor allem Frieden. Welcher Präsident ihn bewerkstelligen soll, wird sich am Sonntag bei der Stichwahl zeigen: Dort treffen zwei Altbekannte aufeinander: Expremier Ibrahim Boubacar Keita und Exfinanzminister Soumaila Cissé.

Einen brenzligen Moment gab es nach dem ersten Durchgang: Vorschnell kündigte der Minister für Territorialverwaltung, Moussa Sinko Coulibaly, an, dass Ibrahim Boubacar Keita (IBK) gute Aussichten hätte, schon im ersten Wahlgang zu obsiegen – da war gerade mal ein Drittel der Stimmen ausgezählt. Das löste im Lager von IBK Jubelstürme aus, bei den anderen 26 Kandidaten inklusive einer Kandidatin verständlichen Unmut. Denn dass angesichts dieser Kandidatenfülle einer in der ersten Runde eine absolute Mehrheit erreichen würde, war unwahrscheinlich. Mitglieder von Keitas Hauptrivalen Soumaila Cissé drohten umgehend mit einer juristischen Anfechtung und warfen dem Minister der Übergangsregierung Parteinahme vor. Für Beruhigung sorgte erst die Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses wenige Tage später: Demnach hatte Keita mit knapp 40 Prozent die absolute Mehrheit deutlich verfehlt, lag aber immerhin rund 20 Prozent vor Cissé.

Abgesehen von dem kurzen Aufwallen vor allem der sich betrogen fühlenden Cissé-Anhänger verlief der erste Wahlgang am 28. Juli ruhig, auch die im Norden befürchteten Terroranschläge auf Wahllokale blieben aus. Die Intervention der französischen Armee seit Januar 2013 hat die Lage zumindest oberflächlich beruhigt und die bewaffneten islamistischen Gruppierungen der Ansar al-Dine, MUJAO und der Al Qaida im islamischen Maghreb (AQMI) aus den Städten vertrieben. Dass der Norden, in dem Mitte 2012 die islamistischen Gruppen die Oberhand über die säkulare Tuareg-Unabhängigkeitsbewegung MNLA gewannen, zur Normalität zurückgekehrt ist, wäre allerdings zu viel gesagt. Die Wahlbeteiligung in Kidal, neben Gao und Timbuktu die größte Stadt im Norden, lag mit gerade mal 20 Prozent weit unter dem Landesdurchschnitt von 52 Prozent. Was sich in europäischen Ohren bescheiden anhört, ist für das westafrikanische Land absoluter Rekord! Und das trotz aller Schwierigkeiten mit Wählerkarten für Hunderttausende Flüchtlinge und Exilmalier, was deren Wahlteilnahme verhinderte. Der Wunsch zur Realität vor dem Putsch im März 2012 zurückzukehren, zu einem Zustand mit gewählten Regierungen und ohne Bürgerkrieg – von wiederkehrenden Tuareg-Aufständen im Norden abgesehen –, wie er seit Anfang der 90er Jahre angehalten hatte, war überdeutlich an der Wahlbeteiligung abzulesen.

Aus der ersten Runde schöpft auch der 68-jährige Keita seine Zuversicht. »Ihr habt mir in der ersten Runde fast 40 Prozent Eurer Stimmen und damit einen großen Vorsprung vor den anderen Kandidaten gegeben. Damit hat das malische Volk eine klare Sprache gesprochen«, sagte er vor wenigen Tagen vor seinen Anhängern. »Ich bitte Euch darum, mir am 11. August noch mehr Stimmen und eine klare, saubere Mehrheit zu geben, die nicht angezweifelt werden kann und die mir die Macht gibt, den Aufschwung des Landes voranzutreiben.« Das Wichtigste ist für die meisten Malier jedoch, dass ihre Heimat einer besseren und friedlicheren Zukunft entgegensteuert – wer auch immer die Wahl am Sonntag gewinnt.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 10. August 2013


Keine Wahl

Favorit für Präsidentenamt in Mali steht für die Fortsetzung der alten Politik. Paris ist erfreut

Von Simon Loidl **


Am Sonntag entscheidet Mali in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, wer künftig das höchste Amt in dem westafrikanischen Land ausüben wird. Erst Mitte der Woche hatte das Verfassungsgericht den Weg für die Abstimmung endgültig freigegeben. Einige Kandidaten – darunter auch der zweitplazierte Soumaïla Cissé – hatten den Sieger des ersten Wahlgangs, Ibrahim Boubacar Keïta, für Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung in zwölf Fällen verantwortlich gemacht. Das Gericht wies diese Anschuldigungen nun zurück und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Wahl vom 28. Juli.

Mit Keïta, der vor allem unter seinen Initialen IBK bekannt ist, und Cissé stellen sich zwei Männer der Stichwahl, die bereits seit vielen Jahren zum politischen Establishment Malis zählen. In einem Beitrag des Onlinemagazins Think Africa Press wurde Keïta kürzlich als »Säule der politischen Klasse« des Landes bezeichnet. Der 68jährige erhielt in der ersten Runde der Wahl nach offiziellen Angaben 39,7 Prozent der Stimmen und gilt den meisten Beobachtern als Favorit bei der Abstimmung am Sonntag. Sein Konkurrent, der 63jährige Cissé, konnte Ende Juli 19,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Der Kandidat der sozialdemokratischen »Allianz für Demokratie in Mali – Afrikanische Partei für Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit« (ADEMA-PASJ), Dramane Dembélé, war mit 9,6 Prozent auf dem dritten Platz gelandet. Alle weiteren Kandidaten – insgesamt hatten sich in der ersten Runde 26 Männer und eine Frau zur Wahl gestellt – blieben weit abgeschlagen. Cissé war bereits 2002, damals noch für die ADEMA-PASJ, ins Rennen um das Präsidentenamt gegangen. Kurz nachdem er die Wahl gegen Amadou Toumani Touré verloren hatte, gründete er eine eigene Partei, die »Union für die Republik und Demokratie« (URD) . Touré wurde Präsident und blieb bis zum März 2012 im Amt, als er einen Monat vor dem Ende seiner Präsidentschaft durch einen Putsch gestürzt wurde. Darauf folgten die Einsetzung einer provisorischen Regierung, der Aufstand von Tuareg-Gruppen und Islamisten im Norden des Landes und eine Militärintervention unter Führung Frankreichs.

Die nun abgehaltenen Wahlen sollen die politischen Verhältnisse wieder stabilisieren. Beobachter hatten sich vor der ersten Runde der Abstimmung skeptisch darüber gezeigt, ob eine ordnungsgemäße Durchführung angesichts nach wie vor anhaltender Kämpfe in einigen Regionen im Norden Malis überhaupt möglich ist. Nicht zuletzt die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zeigte sich nun über den ruhigen Verlauf der Abstimmung erfreut. Paris verfolgt in der Region geostrategische und ökonomische Interessen. Insbesondere der Uranabbau in Malis östlichem Nachbarland Niger ist von einiger Bedeutung für Frankreichs Atomwirtschaft. Die nach dem Libyen-Krieg in die Sahel-Zone zurückkehrenden Tuaregs sowie die in der Region aktiven islamistischen Gruppen stören dabei die Geschäfte der Franzosen.

Der voraussichtliche nächste Präsident Malis ist jedenfalls ein Garant dafür, daß sich an den politischen Verhältnissen im Land nichts Wesentliches ändert. Der unter anderem an der Sorbonne ausgebildete Keïta hat zu Beginn seiner Laufbahn in Frankreich gearbeitet und auch später stets gute Kontakte nach Paris gehalten. Unter dem 1992 demokratisch gewählten Präsidenten Alpha Oumar Konaré war er zunächst dessen Berater und Sprecher, bevor er Außenminister wurde und zwischen 1994 und 2000 schließlich als Premier Malis wirkte. Keïtas Partei, die »Bewegung für Mali« (RPM), war 2001 ebenfalls als Abspaltung der ADEMA-PASJ gegründet worden. Für viele Wählerinnen und Wähler mag »IBK« Kontinuität signalisieren und die Rückkehr stabiler Verhältnisse versprechen. Gleichzeitig bedeutet seine Wahl aber auch, daß sich an den von Vetternwirtschaft und Korruption geprägten Verhältnissen, die das Land in die Krise geführt haben, zunächst nur wenig ändern wird

** Aus: junge Welt, Samstag, 10. August 2013


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