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Paris läßt wählen

Präsidentschaftswahlen in Mali: Abstimmung soll Land nach französischem Militäreinsatz "normalisieren". Kritik an mangelhafter Vorbereitung und Einmischung von außen

Von Simon Loidl *

Am kommenden Sonntag wird in Mali ein neuer Präsident gewählt. Die Abstimmung soll ein weiterer Schritt in Richtung »Normalisierung« des Landes nach Aufstand, Putsch und Militärintervention durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sein. Über den Wahltermin gab es in Mali während der vergangenen Monate heftige Kontroversen. Die politischen Eliten setzten unter anderem auf Druck Frankreichs den Wahltermin durch, während Beobachter und Oppositionskräfte sich für einen späteren Urnengang einsetzten. Oumar Mariko von der Partei »Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit« (SADI) spricht von einer »doppelten Krise« einerseits der politischen Institutionen des Landes, andererseits der Sicherheitslage. Die Verhältnisse nach Putsch und Aufstand mit nachfolgendem Krieg hat sich nach Ansicht der Kritiker des frühen Wahltermins noch nicht soweit stabilisiert, daß mit einem ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmung gerechnet werden könne.

Am 22. März 2012 hatten Teile des Militärs unter Führung von Hauptmann Amadou Sanogo den seit 2002 amtierenden Präsidenten Amadou Toumani Touré abgesetzt. Hauptgrund für den Putsch war die Unzufriedenheit innerhalb der Armee mit der ihrer Ansicht nach zu unentschlossenen Reaktion Tourés auf den Aufstand von Tuaregs und islamistischen Gruppen, der Anfang 2012 im Norden des Landes aufgeflammt war. Ausgelöst wurde die Rebellion von Tuaregs, die zuvor in der libyschen Armee gedient hatten und nach dem Sturz Muammar Al-Ghaddafis mit schweren Waffen in das Gebiet des Azawad in Nordmali zurückgekehrt waren.

Eine der Auswirkungen des Putsches war der Zusammenbruch der regulären Armee in weiten Teilen des Landes, was die Aufständischen im Norden für eine Offensive nutzten. Am 6. April 2012 erklärte die »Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad« (MNLA) die Unabhängigkeit des Nordens. Bald kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der säkular orientierten MNLA und islamistischen Gruppen. Das Vorrücken von Ansar Dine und der »Al-Qaida im Islamischen Magrheb« nahestehenden Kämpfern in Richtung der Hauptstadt Bamako nahm die ehemalige Kolonial­macht Frankreich als Anlaß zur militärischen Einmischung in den Konflikt. Wie viele Menschen durch die französischen Kriegshandlungen getötet wurden, ist nicht bekannt, die Meldungen über die Kämpfe unterlagen einer strengen Militärzensur. Journalisten, Augenzeugen und Menschenrechtsorganisationen berichteten jedoch über zahlreiche Übergriffe durch die malische Armee auf die Zivilbevölkerung, die der Kollaboration mit den Islamisten verdächtigt wurden. Menschenrechtsorganisationen sprechen von illegalen Tötungen durch die Sicherheitskräfte in den »befreiten« Städten Nordmalis.

Binnen weniger Wochen hatten französische, malische, tschadische und von der Westafrikanischen Wirtschafsgemeinschaft ECOWAS entsandte Einheiten den Großteil der von Tuareg-Gruppen und Islamisten kontrollierten Gebiete erobert. Die Wahlen sollen nun die Legitimität des militärischen Sieges festigen und die politischen Verhältnisse stabilisieren.

Dabei stellt allein die logistische Abwicklung die Behörden vor kaum zu lösende Herausforderungen. Während der vergangenen Wochen wurden knapp acht Millionen Identifikationskarten an Wahlberechtigte ausgegeben. Die Ausgabe der »NINA-Karten«, wie sie im Land bezeichnet werden (»NINA« steht für »National Identification Number«), wurde vor wenigen Wochen sogar von der nationalen Wahlkommission als unlösbare bürokratische und logistische Hürde kritisiert. Ob diese genommen ist und also alle Wahlberechtigten sich bereits bei den jeweiligen Behörden registriert und ihre Identifikationskarte entgegengenommen haben, ist unklar, jedoch höchst unwahrscheinlich. Ebenso unklar ist, wie die Abstimmung in den entlegenen Gebieten im Norden des Landes durchgeführt werden soll. Die bereits vor dem Krieg mangelhafte Infrastruktur ist durch den Krieg stark beeinträchtigt, in einigen Gebieten kommt es nach wie vor zu Anschlägen und Kämpfen.

Erst vor wenigen Wochen erzielte die provisorische Regierung Malis mit der MNLA eine Einigung über die Durchführung der Wahlen in dieser Region. Die MNLA kontrollierte bis zuletzt die Stadt Kidal im Nordosten des Landes. Das Abkommen sieht unter anderem vor, daß die Gruppe in der Stadt bleiben darf, jedoch ihre Waffen abgeben müsse. Wie fragil der mit der Einigung erzielte Waffenstillstand ist, wurde während der letzten Tage erneut deutlich. Eine Gruppe von Beamten, die in der Region die Identifikationskarten austeilte, war am vergangenen Wochenende kurzzeitig entführt worden. Die Hintergründe des Vorfalls sind unklar, die malischen Behörden machten aber MNLA für das Kidnapping verantwortlich.

Auch in Flüchtlingslager sollen Wahlurnen transportiert werden, um der halben Million Malier, die vor den Kämpfen geflohen sind, eine Teilnahme an der Abstimmung zu ermöglichen. Beobachter bezweifeln, daß dies logistisch machbar ist – nicht zuletzt deshalb, weil sich zahlreiche Flüchtlinge in den Nachbarländern Malis aufhalten. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach bereits von »mangelhaften« Wahlvorbereitungen. Dennoch appellierte er an die Malier, das Ergebnis in jedem Fall anzuerkennen.

Der Wahltermin Ende Juli wurde auch auf Druck Frankreichs durchgesetzt. Paris hat großes Interesse daran, daß nach dem aus seiner Sicht erfolgreichen Militäreinsatz rasch eine »Normalisierung« der politischen Verhältnisse in Mali einsetzt. Für Frankreichs ökonomische und geostrategische Interessen in der Region ist es von großer Bedeutung, daß nach den Kämpfen nun wieder ruhige Verhältnisse eintreten. Diese garantieren am ehesten die etablierten politischen Eliten, von denen zahlreiche Vertreter als Kandidaten am Wahlzettel stehen werden. Insgesamt stellen sich 27 Personen der Abstimmung. Aus Protest gegen den Termin und den Druck von außen hat erst vor wenigen Tagen Tiébilé Dramé, der ebenfalls seit vielen Jahren als Politiker und Diplomat tätig ist, seine Kandidatur zurückgezogen. Dramé kritisierte die zu kurze Vorbereitungszeit für die Abstimmung und wirft Frankreich vor, sich zu sehr in den Wahlprozeß einzumischen. In afrikanischen Medien wurde er mit den Worten zitiert, daß es bereits den Anschein habe, daß Frankreichs Außenminister Laurent Fabius der »Wahlleiter« für Mali sei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Juli 2013

Frankreichs Interessen in Mali

Von Simon Loidl

Die Abstimmung über einen neuen Präsidenten in Mali findet in einer Situation militärischer Besatzung weiter Teile des Landes statt. Obwohl seit Anfang Juli offiziell die UN-Mission MINUSMA in dem westafrikanischen Land das militärische Kommando übernommen hat, spielen die französischen Einheiten, die zusammen mit der malischen Armee und Soldaten anderer afrikanischer Länder gegen die Aufständischen im Norden gekämpft hatten, nach wie vor eine bedeutende Rolle.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich war in West- und Zentralafrika auch nach der Entkolonisierung – Mali erlangte seine Unabhängigkeit 1960 – durchgehend präsent. Französisches Militär ist in mehreren Stützpunkten in der Region stationiert, und Paris war stets darauf bedacht, enge politische Kontakte zu den jeweiligen Regierungen aufrecht zu erhalten. Hintergrund dieses Engagements ist neben dem geostrategischen Interesse an der Aufrechterhaltung französischen Einflusses in weiten Teilen Afrikas die Abhängigkeit von den Ressourcen der Sahel-Region. Neben anderen Rohstoffen sind das Gold und Uran Malis und seiner Nachbarländer die Hauptantriebskräfte für die französische Intervention. Die islamistischen Gruppen, die Paris den Vorwand zum Eingreifen lieferten, haben sich – verstärkt nach dem NATO-Krieg gegen Libyen – in der gesamten Sahel-Region festgesetzt. Sie kontrollieren Schmuggelrouten und terrorisieren Einheimische. Und sie gefährden die Stabilität der gesamten Region und somit auch Investitionen der alten und neuen Kolonialmächte – ganz konkret den geplanten Ressourcenabbau in Mali und die bereits bestehenden Uranminen im benachbarten Niger. In dem Land, das sich derzeit auf Platz 186 von 186 des Human Development Index der Vereinten Nationen befindet, betreibt der französische Areva-Konzern die größte Uranmine der Welt. Diese liefert die nötigen Rohstoffe für Frankreichs Atomkraftwerke, die einen Großteil der im Land verbrauchten Energie liefern.



Kandidaten: 26 Männer und eine Frau **

Ursprünglich hätten die Präsidentschaftswahlen in Mali am 29. April 2012 stattfinden sollen, doch der Militärputsch und die anschließende Eskalation des Konflikts im Norden des Landes verhinderten die Abstimmung. 26 Männer und eine Frau treten nun am kommenden Sonntag an, um den nach dem Putsch eingesetzten Interimspräsidenten Dioncounda Traoré abzulösen. Sollte keine dieser 27 Personen mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, finden am 11. August Stichwahlen statt.

Unter den Kandidaten befinden sich altgediente Politiker ebenso wie relativ Unbekannte. Gute Chancen auf einen vorderen Platz wird von Beobachtern Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) eingeräumt. Keïta war zwischen 1994 und 2000 Premierminister und ab 2002 Parlamentspräsident. Auch Soumaïla Cissé wird als möglicher Sieger gehandelt. Cissé ist ebenfalls kein Neuling in der malischen Politik – unter anderem bekleidete er in den 1990er Jahren mehrmals Ministerämter und kandidierte bereits 2002 für die sozialdemokratische ADEMA-Partei des derzeitigen Interimspräsidenten für das höchste Amt. Kurze Zeit später gründete er eine eigene Partei. Einem weiteren ehemaligen Premierminister, Modibo Sidibé, der dieses Amt zwischen 2007 und 2011 innehatte, sprechen Kommentatoren ebenfalls relativ gute Chancen zu, am Sonntag eine große Zahl an Wählern für sich gewinnen zu können.

Auch Oumar Mariko ging bereits bei den Wahlen 2002 und 2007 ins Rennen ums Präsidentenamt. Dem Parlamentarier der linken Partei »Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit« (SADI) wurden bei einer geplanten Vortragsreise durch Europa Einreisegenehmigungen von Frankreich und der Bundesrepublik verwehrt (siehe jW vom 19.4.2013). Die einzige Frau, die am Sonntag zur Wahl steht, ist Haïdara Aïchata Cissé, genannt Chato. Die Parlamentarierin wurde in Mali vor allem als Gewerkschaftsaktivistin bekannt.

Die Programme der aussichtsreichen Kandidaten unterscheiden sich nur wenig voneinander. In erster Linie wird eine Rückkehr zu stabilen Verhältnissen des Landes in Aussicht gestellt. Aber Keïta, Soumaïla Cissé, Sidibé und einige weitere Kandidaten stehen nicht für eine grundlegende Erneuerung des politischen Systems in Mali. Sie waren Teil jenes Systems, das der Leiter des Afrikanischen Instituts für wirtschaftliche Entwicklung und Planung (IDEP) der Vereinten Nationen, Adebayo Olukoshi, in einem Interview mit jW (6. Juli 2013) als eine Demokratie charakterisierte, die nicht in der Lage gewesen sei, »der Mehrheit der Menschen ein ausreichendes Einkommen zu garantieren« und so die politische Krise verursacht habe. (sl)

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Juli 2013


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