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Risse in der islamistischen Front

In Mali will Ansar-al-Dine-Abspaltung eine friedliche Lösung des Konflikts

Von Martin Ling *

Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen malischer Truppen bei der Rückeroberung Nordmalis verdichten sich. Unterdessen ist mit der Ansar-al-Dine-Abspaltung Islamische Bewegung von Azawad eine neue Gruppe ins Rampenlicht getreten.

Es ist ein zartes Hoffnungszeichen in Mali: Mit der Ansar-al-Dine-Abspaltung Islamische Bewegung von Azawad (MIA) trat am Donnerstag überraschend eine neue bewaffnete Gruppierung im Norden Malis in Erscheinung. Unter der Führung des einer großen Tuareg-Familie der Region Kidal entstammenden Alghabasse Ag Intalla will sie »alle Formen des Extremismus und Terrorismus bekämpfen« - eine klare Distanzierung von den islamistischen Gruppen Al-Qaida im islamischen Magrehb (AQMI) und Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO), mit denen Ansar al-Dine militärisch verbündet ist.

Seit Monaten versuchten westafrikanische und algerische Vermittler, einen Keil zwischen Ansar al-Dine auf der einen und der algerisch geprägten AQMI und der mauretanisch geführten MUJAO auf der anderen Seite zu treiben. Denn mit den vor allem aus dem Ausland stammenden Kämpfern von AQMI und MUJAO, die einen Gottesstaat in ganz Mali errichten wollen, dürften Friedensgespräche nahezu ausgeschlossen sein. Den säkularen Tuareg der Befreiungsbewegung MNLA geht es dagegen in erster Linie um mehr Autonomie. Die Ansar al-Dine will zwar eine Scharia in Nordmali, über die Auslegung bestehen aber interne Differenzen, ebenso darüber, ob eine Expansion in den Süden wünschenswert ist, was für die globalen Dschihadisten von AQMI und MUJAO außer Frage steht.

Allerdings zweifeln Beobachter, dass der einstige Tuareg-Rebellenchef und jetzige Ansar-al-Dine-Anführer Iyad Ag Ghaly seine Verbindungen zu den ausländischen Islamisten kappen wird. »Wenn Iyad eine Vereinbarung mit Mali unterzeichnet, unterschreibt er sein Todesurteil«, sagte Malis Außenminister Tieman Coulibaly unlängst. AQMI-Anhänger würden ihn dann sofort »exekutieren«. Dass die wenigsten Tuareg Sympathien für Ghalys islamistische Ausrichtung empfinden, dürfte neben dem Vormarsch malischer und französischer Soldaten jetzt zur Abspaltung der Islamischen Bewegung von Azawad von Ansar-al-Dine geführt haben.

Die Tuareg hegen großes Misstrauen gegen die malischen Truppen - und das offenbar nicht zu Unrecht: Menschenrechtsaktivisten werfen malischen Soldaten vor, an mehreren Orten mutmaßliche Gegner exekutiert zu haben, unter ihnen auch Tuareg.

Die Vorwürfe bereiten Frankreich Sorgen. Es wäre ein Fiasko für die einstige Kolonialmacht, wenn malische Soldaten bei ihrem nur dank der Unterstützung französischer Soldaten möglichen Vormarsch eine Blutspur hinter sich ließen. Befürchtet werden weitere Angriffe auf die arabischstämmige und Tuareg-Bevölkerung, die von vielen Schwarzafrikanern in Mali der Zusammenarbeit mit den Islamisten verdächtigt werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 25. Januar 2013


Verhandeln ist möglich

Von Martin Ling **

Sie saßen schon vor der Intervention Frankreichs am Verhandlungstisch in Algier und Ouagadougou: Vertreter der malischen Islamisten Ansar al-Dine (Verteidiger des Glaubens). Nun hat sich ein Teil der Ansar al-Dine offen abgespalten, um als Islamische Bewegung von Azawad (MIA) klar die Grenze zu den Islamisten zu ziehen, die Terror gegen Zivilisten als selbstverständlich in ihrem Repertoire haben.

Die Abspaltung der MIA müsste nun auch der Weltöffentlichkeit klar machen, dass die Lage in Nordmali sich nicht so einfach darstellt, wie sie vielfach dargestellt wurde: ein großer, menschenverachtender islamistischer Haufen, bei dem eine Differenzierung nicht lohnt und eine militärische Intervention legitim ist.

Die Akzeptanz der islamistischen Gruppierungen in Nordmali bei der Bevölkerung ist unterschiedlich: von geduldeter, gar willkommener Ordnungsmacht bis hin zu offener Ablehnung dort, wo eine drakonische Scharia auch die muslimische Bevölkerung verschreckte, die einer milden Scharia in Teilen durchaus etwas abgewinnen kann.

Die Option Mali zu befrieden, indem am Verhandlungstisch eine föderale Lösung mit weitgehenden Autonomierechten bis hin zur milden Scharia im Norden angestrebt wird, wurde durch die Intervention Frankreichs torpediert. Die Abspaltung der MIA könnte sie im besten Falle wieder eröffnen. Denn sie zeigt, dass nicht alle malischen Islamisten zu bekämpfende Terroristen sind. Verhandeln lohnt!

** Aus: neues deutschland, Freitag, 25. Januar 2013 (Kommentar)


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