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Chaos in Mali

Das Militär putscht, die Rebellen jubeln

Von Claus-Dieter König *

In Mali kam es in den vergangenen Monaten zu einer Meuterei des Militärs, die in einem Staatsstreich endete. Während im Norden des Landes Milizen die politisch chaotische Situation für ihre Offensiven nutzen, versucht die Übergangsregierung für Ruhe zu sorgen. die für ende April geplanten Wahlen wurden auf Eis gelegt, eine Lösung der Konflikte ist nicht in Sicht.

Was in Mali als Meuterei des Militärs anfing, wurde bis zur Absetzung des Präsidenten und Übernahme der Staatsmacht am 21. März 2012 weitergeführt. Der Putsch begann mit Demonstrationen in der Garnisonsstadt Kati gegen die schlechte Ausrüstung und Versorgung der Soldaten im Kampf gegen die Rebellen im Norden. Sie eskalierten und im weiteren Verlauf übernahmen Militärs den staatlichen Rundfunk und setzten schließlich den Präsidenten ab. Am folgenden Morgen wurde die Deklaration des Nationalen Komitees für die Wiedererrichtung der Demokratie und Restauration des Staates (CNRDRE) verlesen. Die Regierung sei unfähig gewesen, angemessen auf die Rebellion im Norden zu reagieren. Regierung und Parlament seien bis auf Weiteres aufgelöst und die Verfassung außer Kraft. Die Militärs hätten nicht die Absicht, die Macht zu übernehmen und würden mit allen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften des Landes Kontakt aufnehmen, um baldige Wahlen zu organisieren. Dass die Unzufriedenheit der jüngeren Offiziere mit den hohen Führungsrängen, denen sie Beteiligung am Drogenhandel und Korruption vorwerfen, auf ein unerträgliches Maß angewachsen war, hatte den Putsch motiviert, der jedoch nicht vom gesamten Militär unterstützt wurde. Vor allem höhere Dienstränge fehlen in den Reihen der Putschisten.

Rebellion im Norden

Die Rebellion im Norden Malis, wo Gold-, Öl- und Uranvorkommen nachgewiesen sind bzw. vermutet werden, besteht aus mehreren Milizen mit unterschiedlichen Zielen. Die wichtigste Gruppe ist die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA). Sie verfolgt die Unabhängigkeit des Nordens, den sie Azawad nennt. Sie hat keine religiösen Ziele. Viele ihrer Mitglieder waren an den bisherigen Rebellionen im Norden Malis beteiligt und zum Teil nach Libyen geflüchtet, wo sie in der Armee gedient und einige aufseiten des Aufstandes gekämpft hatten. Ihre Waffen stammen aus den Beständen der libyschen Armee; besonders hochwertiges Waffenmaterial wie Boden-Luft-Raketen haben sie sich aus den Waffenabwürfen der NATO zur Unterstützung der Rebellen in Libyen beschafft. Mitglieder der MNLA sind auch nach der letzten Rebellion im Norden in die malische Armee integrierte Kämpfer, die mit Waffenmaterial zur MNLA übergelaufen sind. Hinzu kommen andere, eher an reaktionär-fundamentalistischen Interpretationen des Islam orientierte Gruppen wie Ansar Dine und al-Qaida im islamischen Maghreb (AQMI), die aus einer salafistischen Gruppe im Rahmen des algerischen Bürgerkrieges entstanden ist. Die Milizen haben seit Mitte Januar mehrfach Militärcamps überfallen sowie mehrere Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Sie schüchtern die Bevölkerung mit ihrer Gewalt ein und treiben die Menschen zur Flucht. Bereits vor dem Putsch waren etwa 200.000 Personen aus den von der MNLA und ihren Alliierten eingenommenen Städten geflüchtet. Die MNLA und ihre militärischen Verbündeten sind bislang die einzigen Gewinner des Putsches. Sie nutzten die Regierungskrise und die Schwächung der Armee für eine Offensive, in der sie mit Kidal, Gao und Timbuktu die drei im Norden gelegenen Regionalhauptstädte eingenommen haben. Zum 6. April erklärten sie die Unabhängigkeit des Azawad, die allerdings international keine Anerkennung findet.

Wahlen und geplante Verfassungsänderung

Für den 29. April 2012 waren Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Der durch den Putsch abgesetzte Präsident Amadou Toumani Touré durfte nach zwei Amtsperioden gemäß der malischen Verfassung nicht mehr kandidieren. Im Vorfeld der Wahlen war die parlamentarische Opposition auf die linke Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI) zusammengeschrumpft. Alle anderen in der Nationalversammlung vertretenen Parteien waren dem Regierungslager zuzurechnen. SADI bemängelt ein manipuliertes Wählerregister sowie dass die Wahlen intransparent und nicht fair verlaufen würden. Die Regularien sehen außerdem vor, dass die Opposition in der Unabhängigen Wahlkommission vertreten ist; SADI wurde jedoch eine Vertretung verweigert. Am Wahltag sollte die Bevölkerung auch eine neue Verfassung annehmen. Die Änderungen hätten eine deutliche Stärkung des Präsidenten zulasten der Nationalversammlung bedeutet und damit die demokratischen Errungenschaften von 1991 ausgehöhlt. Die Befürworter des Putsches stellen fest, dass Wahlen und Verfassungsreferendum wegen der Rebellion im Norden nicht hätten im gesamten Staatsgebiet stattfinden können. Insofern sei es zur Wahrung der Demokratie geboten, zunächst im Norden wieder Sicherheit herzustellen und erst dann die Wahlen sowie die Abstimmung durchzuführen.

Mali seit dem Putsch

Als Reaktion auf den Staatsstreich bildete sich eine Vereinte Front für die Rettung der Demokratie und der Republik (FDR), die den Putsch verurteilt und die Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung verlangt. In ihr vereinigen sich fast alle der Nationalversammlung angehörenden Parteien, unter ihnen die großen Parteien PARENA und ADEMA. Der FDR entgegen steht die Volksbewegung des 22. März (MP22), angeführt durch die Partei SADI und unterstützt von knapp 70 weiteren Parteien und Organisationen. Sie befürwortet den Putsch und stellt ihn in die Tradition des Staatsstreiches vom März 1991. Damals allerdings fanden zunächst Massendemonstrationen für die Demokratisierung statt, die von der einstigen Regierung blutig unterdrückt wurden. In dieser Situation übernahm Amadou Toumani Touré durch einen Militärputsch die Macht und leitete demokratische Wahlen ein. Es ist die aus dieser Massenbewegung geborene Verfassung, die jetzt geändert werden sollte. Aber der Vergleich hinkt. 2012 fanden vor dem Putsch lediglich Demonstrationen der Familien der Militärs gegen die schlechte Ausrüstung und Versorgung im Kampf gegen die Rebellion im Norden statt.

Die Bevölkerung sympathisierte zwar mit den Forderungen, aber die Demonstrationen weiteten sich nicht zu allgemeinen Protesten gegen die herrschende Regierung aus. Ähnlich sieht es bei der Unterstützung des Putsches durch die Bevölkerung aus: Viele haben Verständnis für die Meuterei der Soldaten und den Putsch. Für sie hat Präsident Touré in den vergangenen Monaten durch das Fiasko im Norden deutlich an Legitimität verloren. Das bedeutet aber nicht, dass sie hinter dem CNRDRE stehen oder in Massen mit der MP22 auf die Straßen gehen.

Die CNRDRE-Regierung unter Führung des Hauptmanns Sanogo wirkte weitgehend konzeptlos. Auf den Vormarsch der MNLA und ihrer Verbündeten im Norden konnte sie weder politisch noch militärisch reagieren. Hauptmann Sanogo versuchte, mit der MNLA zu verhandeln. Diese erkannte aber die Militärs nicht als legitime Regierung an und lehnte ab.

Übergangsregierung als Lösung?

Zunächst war es wichtig, die durch den Putsch hervorgerufene Regierungskrise zu beenden. Nach Verhandlungen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS ließ sich der CNRDRE schließlich darauf ein. Touré trat zurück und der Parlamentspräsident Dioncounda Traoré wurde am 12. April als Staatspräsident vereidigt. Bei seiner Amtseinführung versprach Traoré ein konsequentes militärisches Vorgehen gegen die Rebellen im Norden. Es ist jedoch schwierig, deren militärische Stärke einzuschätzen. Wahrscheinlich kann es nur mit Unterstützung von ECOWAS-Truppen gelingen, den Norden wieder zurückzugewinnen. Verhandlungen sind wegen der heterogenen Rebellengruppen schwierig, aber sofern möglichen militärischen Lösungen vorzuziehen.

Ein autonomer oder unabhängiger Norden Malis unter Kontrolle der Rebellen ist nur gegen die Bevölkerung und mit diktatorischer Gewalt denkbar. Auch die Einführung der Scharia wird nicht mehrheitlich von den Menschen im Norden Malis unterstützt. Eine langfristige Lösung sollte daher die Einheit des Staatsgebietes Malis erhalten und das Funktionieren demokratischer Strukturen auch im Norden gewährleisten.

* Dr. Claus-Dieter König, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung Westafrika, Dakar. (koenig@rosalux.de)


* Aus: WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 84 Mai/Juni 2012, S. 17-21
Die Zeitschrift "WeltTrends" erscheint zweimonatlich (sechs Mal im Jahr) mit einem Jahresumfang von ca. 840 Druckseiten.
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