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Vormarsch auf Kidal

UNESCO zeichnet Frankreichs Präsidenten Hollande für Mali-Intervention mit Friedenspreis aus. Im Norden des Landes geht der Krieg weiter

Von Jörg Tiedjen *

Frankreichs Staatspräsident François Hollande ist am Mittwoch in Paris mit dem UNESCO-Friedenspreis ausgezeichnet worden, weil er sich mit der von Frankreich geführten Militärintervention im Norden Malis für Frieden und Stabilität in der Region eingesetzt habe. Tatsächlich ist der Norden des afrikanischen Landes davon jedoch weit entfernt. Gegenwärtig rückt das malische Militär auf Kidal vor, die Hochburg der »Nationalbewegung für die Befreiung Azawads« (MNLA). Als »Azawad« bezeichnen die Tuareg Nordmali und Teile Nordnigers. Ihr Kampf um die Unabhängigkeit hatte im vergangenen Jahr die anhaltende Krise ausgelöst.

Ungefähr 1,5 Millionen Tuareg leben heute über mehrere Länder verteilt, so in Algerien, Libyen, Mali und Niger. Die nordmalische Provinz Kidal ist die einzige Region, in der die traditionell als Nomaden lebenden Tuareg die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Daß es sie als eigene Verwaltungseinheit gibt, haben die Tuareg der Regierung in Bamako in einem früheren Aufstand abgerungen. Anfang der sechziger Jahre hatten sie sogar auf einen eigenen Staat gehofft. Die erste, brutal niedergeschlagene Tuareg-Rebellion brach deshalb 1962 im Norden Malis aus, weitere Aufstände gab es in den 80er Jahren und zwischen 2006 und 2009. Dabei ging es zuletzt nicht mehr um einen eigenen Staat, sondern nur noch um Schulunterricht und Radioprogramme in der Tuareg-Sprache Tamaschek. In Niger beklagen die Tuareg aber auch, daß der vom französischen AREVA-Konzern betriebene Uranabbau ihre Lebensgrundlagen zerstört. Zudem verlangten sie immer wieder, das Vordringen von islamistischen Dschihadisten und Schmugglerbanden zu unterbinden. Die mit US-Militärhilfe ausgestattete Regierung Malis bekämpfte jedoch oft nicht jene, sondern die Tuareg.

Nach dem Aufstand 2009 setzten sich mehrere Führer der Tuareg nach Libyen ab und schlossen sich dort Mohammed Ag Najm an. Dessen Vater war während des ersten Tuareg-Aufstands Anfang der 60er Jahre vom malischen Militär ermordet worden. Er hatte sich daraufhin der libyschen Armee angeschlossen und war zum Oberst aufgestiegen, hatte aber seine Feindschaft gegenüber dem malischen Staat nie aufgegeben.

Während der NATO-Intervention gegen Ghaddafi 2011 desertierten die Tuareg unter Ag Najm, bewaffneten sich aus den libyschen Arsenalen und gründeten im Herbst 2011 in Nordmali die MNLA, eine säkular ausgerichtete Separatistenbewegung, die nominell die gesamte Bevölkerung Nordmalis vertreten soll. Als sie Mitte Januar 2012 ihren Unabhängigkeitskampf begannen, hatte das malische Militär den schwerbewaffneten Rebellen wenig entgegenzusetzen und erlitt eine vernichtende Niederlage. Allerdings war die MNLA nicht stark genug, das eroberte Gebiet auch gegen die Dschihadisten zu halten. Die Miliz »Ansar Al Dine« (Helfer des Glaubens) fiel ihnen in den Rücken. Sie erhob keine separatistischen Ansprüche, sondern zielte statt dessen auf die Einführung der Scharia in ganz Mali.

Zunächst von Frankreich unterstützt, gelang es den Tuareg bisher, eine Besetzung Kidals durch das malische Militär zu verhindern. Nun aber fordert auch Frankreich die MNLA auf, die Waffen niederzulegen. Die Tuareg befürchten jedoch Racheaktionen der Regierungstruppen für die Niederlage im vergangenen Jahr. Zudem besteht insbesondere Frankreich darauf, daß im Juli in Mali Wahlen stattfinden. Die MNLA will, daß diese von der UN-Truppe MINUSMA, deren Aufstellung ebenfalls für Juli angekündigt ist, kontrolliert werden. Die malische Zentralregierung hingegen besteht auf ihrer Souveränität über das gesamte Territorium des Landes.

Am heutigen Freitag sollen in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, Verhandlungen zwischen Bamako, der MNLA und islamistischen Gruppen über den Status von Kidal fortgeführt werden. Diese bewegten sich in den letzten Wochen im Kreis. Es bleibt abzuwarten, ob der Vormarsch auf Kidal nur die Verhandlungsposition Bamakos stärken soll – oder ob die Zentralregierung inzwischen ganz auf eine militärische Lösung setzt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. Juni 2013

Dokumentiert:

French President François Hollande awarded UNESCO peace prize for action in Africa

“What was targeted in Timbuktu was not just the heritage of one region or people, it was World Heritage,” said UNESCO Director-General Irina Bokova during the award ceremony on Wednesday, when French President François Hollande was awarded the 2013 Félix Houphouët-Boigny Peace Prize.

“It’s a symbol of ancient Islamic wisdom, spanning all of the Sahel, and of a common culture spanning all of West Africa,” she added, “from the ancient empire of Ghana to the Toucouleur empire and the Peul and Bambara kingdoms, that has been carried to our time for dialogue between civilisations.”

President Hollande received the award at UNESCO headquarters in Paris for taking action in January to end the control of insurgents in Northern Mali and bring peace and stability to the region.

Several presidents of West Africa and countries of the Sahel region attended the ceremony: Thomas Boni Yayi of Benin; Blaise Compaoré of Burkina Faso; Alassane Ouattara of Côte d’Ivoire; Dioncounda Traoré of Mali; Mohamed Ould Abdel Aziz of Mauritania; Idriss Déby Itno of Chad; and Macky Sall of Senegal. Niger was represented by its Prime Minister, Brigi Rafini.

During the ceremony, Malian President Dioncounda Traoré expressed his gratitude to the French President, praising the French operation in Mali as “a new chapter in human solidarity,” and asserting that “Francois Hollande left Timbuktu as a liberator, acclaimed by the Malian people.”

President Hollande was presented with a peace diploma, a gold medal, and $150,000. He will donate the money to two charities – one to support women in Africa and one to assist war veterans. In his acceptance speech, he underscored the urgency of the French intervention in Mali. “In the face of hatred, we had to intervene… Any delay would have been disastrous… It was for the women and children of Africa that France intervened,” he stated.

During his acceptance speech, he praised the strength of UNESCO’s work, saying: “When UNESCO practices multilingualism, dear to the French-speaking world, it is true to its mission. When UNESCO puts the emancipation of women at the heart of education, it is exemplary. When it places culture at the heart of its work, it is visionary. When it defends pluralism and access to information everywhere, UNESCO is liberating. So, receiving the Houphouët-Boigny prize here at UNESCO takes on a special meaning.”

“Your decision to stand by Mali - at the request of President Traore and with the support of the United Nations – and to protect the peoples and culture of the country inspires us all,” said Director-General Irina Bokova. “This is a reminder that what brings us together is greater than that which sets us apart, be it our identity, language or religion,” she said, before adding: “UNESCO saved the temples of Egypt and rebuilt the Mostar Bridge. UNESCO will rebuild the mausoleums of Mali.”

For the Director-General protecting heritage is about building a culture of peace. “Culture is not just about monuments,” she stated. “Protecting culture means protecting people, giving them the strength and confidence to rebuild and to look into the future.”

Created by UNESCO in 1989, the Félix Houphouët-Boigny Peace Prize honours individuals and organisations that have made a significant contribution to peace and stability around the world.

President Hollande joins a list of illustrious past laureates that includes Nelson Mandela, Yitzhak Rabin, Shimon Peres, Yasser Arafat and Luiz Inácio Lula da Silva.

Source: Website of UNESCO, 5 June 2013; www.unesco.org




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