Intervention in Mali?
Von Hans-Georg Ehrhart *
Mali galt lange als Modell demokratischer Entwicklung in Subsaha-Afrika. Nach der de facto
Abspaltung des von radikalen Islamisten beherrschten Nordens, einem Militärputsch im
Süden, der Bildung einer Übergangsregierung, dem durch das Militär erzwungenen Rücktritt
des Ministerpräsidenten, der Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten und dem mit Hilfe
französischer Soldaten vorerst gestoppten Versuch islamistischer Kräfte, weiter nach Süden
vorzudringen, steht Mali seit nunmehr einem Jahr auf der Kippe.
Auf Ersuchen der Übergangsregierung und auf der Grundlage von
UN-Resolution 2071 hat die EU im Dezember 2012 das Konzept für einen Kriseneinsatz in Mali beschlossen, das u.a. Ausbildungshilfe und logistische Unterstützung für die malische Armee vorsieht. Diese
Unterstützung soll mit einer afrikanischen militärischen Mission verbunden werden, die am 20. Dezember in UN-Resolution 2085 autorisiert wurde. Soldaten der Wirtschaftsgemeinschaft Afrikanischer Staaten (ECOWAS) sollen der malischen Armee dabei helfen Aufständische und Terrorgruppen im Norden bekämpfen. Ziel ist die Wiederherstellung der Einheit des Landes, wobei in der UN-Resolution großes Gewicht auf einen parallelen politischen Prozess gelegt wird, der zu einem stabileren und demokratischen Staat führen soll.
Die Umsetzung dieser Ziele ist jedoch mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. 1960
wurde Mali nach 67 Jahren französischer Kolonialherrschaft unabhängig. Trotz der von
Frankreich durchgesetzten Einbeziehung des nach Unabhängigkeit strebenden, von
nomadischen Tuareg bewohnten Nordens blieb Mali de facto ein durch starke ökonomische
und soziale Diskrepanzen geteiltes Land. Diese Unterschiede stammen teils aus der
Kolonialzeit, teils aus der Frühphase der Unabhängigkeit, als den sesshaften Bambara-Eliten
des Südens die Verwaltung des kulturell andersartigen und ökonomisch abgelegenen Nordens
übertragen wurde. Die Mehrheit der Politiker des Südens in der Hauptstadt Bamako
kümmerten sich trotz mehrerer Aufstände im Norden bis heute nicht wirklich um die
Entwicklung der fernen, bevölkerungsarmen Peripherie, sondern zogen es überwiegend vor,
aus der Schwäche des Landes politischen Nutzen und wirtschaftliche Vorteile zu ziehen.
Der aktuelle Konflikt begann im Januar 2012 mit Angriffen von Tuareg-Kämpfern – viele von
ihnen Teilnehmer auf der Seite Ghaddifis im libyschen Bürgerkrieg – auf malische
Polizeiposten. Die laizistische „Nationale Bewegung für die Befreiung Anzawads“ (MNLA)
verkündete die Abspaltung der drei Nordregionen, wurde dann aber durch die islamistische
Tuareg-Gruppe „Ansar Dine“ marginalisiert, die sich wiederum mit „Al Qaida im islamischen
Maghreb“ (AQIM) und einer Splittergruppe davon verbündet hat: Mehr als 400.000
Menschen flohen aus dem Norden. Im Süden putschte das Militär im März 2012 gegen eine
Regierung, welche die Putschführer der Untätigkeit bezichtigten.
Der aktuelle Konflikt wird zusätzlich durch eine transnationale Konfliktökonomie
angetrieben. Im Sahel existieren weite, von den Staaten nicht kontrollierbare Räume, die seit
Jahren von verschiedenen Akteuren der organisierten Kriminalität und von terroristischen
Gruppen genutzt werden. Der Schmuggel von Waffen, Drogen, Zigaretten und allem, was
Einkommen generiert, blüht ebenso wie das Entführungsgeschäft, wobei die Grenzen
zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und ihren Motiven oftmals unklar
sind. Mali und die anderen Sahel-Staaten sind einerseits durch die illegalen Aktivitäten
bedroht, andererseits sind Staatsvertreter tief darin involviert, sei es aus privaten, sozialen
oder politischen Interessen. Malis politische Probleme sind eng mit regionalen Einflüssen
verbunden. Die internationale Libyenintervention hat sicherlich als Beschleuniger der Krise
gewirkt. Mit dem Sturz Gaddafis verloren die Tuareg einen wichtiger Beschützer. Zudem
flossen große Mengen Waffen auf den Markt, die seitdem im Sahel kursieren.
Die internationale Gemeinschaft reagierte scharf auf den Putsch vom März 2012. Die bi- und
multilaterale Entwicklungshilfe wurde ausgesetzt, Afrikanische Union (AU) und ECOWAS
suspendierten die Mitgliedschaft des Landes und verhängten Sanktionen. Die AU autorisierte
die ECOWAS, militärische Vorkehrungen zur Unterstützung der Übergangsregierung in
Bamako zu treffen und die UN verabschiedete drei Resolutionen. Im Dezember gab sie
schließlich prinzipiell grünes Licht für die
„African-led International Support Mission in Mali“ (AFISMA).
Die internationalen Sicherheitskräfte sollen die malischen in drei sich überlappenden Phasen
unterstützen: 1. Aufbau der malischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte, 2.
Rückeroberung der besetzten Gebiete und Reduzierung der Bedrohungen durch Terrorismus
und organisierte Kriminalität, 3. Übergang zu Stabilisierungsmaßnahmen. Die Stärke von
ECOWAS umfasst 3.300 Sicherheitskräfte. 5.000 malische Soldaten sind für die
Rückeroberung des Nordens vorgesehen.
Eigentlich sollte die AFISMA erst nach der im März beginnenden Regenzeit in Mali
eingreifen. Der Vormarsch der Islamisten in den ersten Wochen des neuen Jahres hat den
Druck zu schnellerem militärischem Handeln erhöht. Die ehemalige Kolonialmacht
Frankreich, mit geeigneten Truppen in der Region präsent, war bereit, der Bitte der Regierung
in Bamako um unmittelbare militärische Aktion zu entsprechen. Der vermeintlichen
afrikanischen Lösung geht damit ein direkter französischer Militäreinsatz voraus. Während
damit der Vormarsch der islamistischen Kräfte gestoppt werden dürfte, verkompliziert sich
die politische Situation in Mali.
Der militärische Einsatz kann die grundlegenden Probleme nicht lösen. Dafür müssen Veränderungen erfolgen:
- Das größte Problem ist die politische Zerrissenheit der politischen Klasse in Bamako, die
es bislang nicht geschafft hat, eine auch für die Tuareg akzeptable „road map“ für die
politische Zukunft des Landes vorzulegen.
- Der politische Dialog mit der islamistischen Ansar Dine ist blockiert, muss aber wieder
aufgenommen werden.
- Die weitere Dezentralisierung des Landes, mit einem hohen Maß an Autonomie für den
Norden, muss zum Verhandlungsgegenstand werden.
- Allerdings müssen mittelfristig die regulären Sicherheitskräfte Malis wieder die Hoheit
im ganzen Land ausüben können. Dafür benötigt Mali auswärtige, auch militärische,
Unterstützung:
- Die militärischen Planungen der ECOWAS müssen weiter ausgearbeitet und die Soldaten
der AFISMA für einen Einsatz in der Wüste ausgebildet und ausgerüstet werden.
- Die demoralisierte und zerstrittene malische Armee muss ebenfalls einsatzfähig gemacht
werden – u.a. mit Hilfe der geplanten Trainingsmission der EU. Diese soll zwar nicht
kämpfen, aber die malischem Armee für eine Offensive im Norden vorbereiten und
zugleich so umstrukturieren helfen, dass sie sich künftig dem Primat der Politik
unterordnet.
Ein Militäreinsatz ohne Veränderung in Mali wird erfolglos bleiben. Politisch geht es um die
Alternative Kleptokratie oder Demokratie, wirtschaftlich um die Frage der Entwicklung des
Nordens oder dessen weitere Marginalisierung, ideologisch um den Wettbewerb zwischen
traditionellem gemäßigtem Sufismus und importiertem radikalen Wahabismus. Hinzu
kommen die divergierenden Interessen der afrikanischen Staaten. Die USA haben klar
gemacht, dass ihre Priorität dem Kampf gegen den Terrorismus gilt. Die EU verfolgt einen
umfassenderen Ansatz, der Sicherheit und Entwicklung anstrebt, allerdings bislang ohne
Erfolg. Der französische Präsident François Hollande betreibt mit internationaler
Unterstützung traditionelle Einflusspolitik. Das Schreckgespenst eines „afrikanischen
Afghanistan“ vor der Haustür der EU soll mobilisieren. Gerade Afghanistan hat aber gelehrt,
dass man schnell in einen Gewaltkonflikt hineinrutschen kann, aber nur schwer wieder
herauskommt, wenn die scheinbar klaren Frontlinien sich bei genauerem Hinsehen als
komplexe Gemengelage von Problemen erweisen. Ohne einen konsensfähigen Fahrplan der
Malier über die künftige politische Verfasstheit ihres Landes ist die Krise nicht zu lösen.
14. Januar 2013
* Dr. Hans-Georg Ehrhart ist wissenschaftlicher Referent am IFSH-Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Das vorliegende Manuskript ist uns freundlicherweise vom Institut zur Dokumentation auf unserer Website zur Verfügung gestellt worden.
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