Ohne Unterstützung der Nato-Partner geht es nicht - Die Folgen des Mali-Einsatzes für die französische Sicherheitspolitik
Ein Beitrag von Anne-Christin Heckmann in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Joachim Hagen (Moderation):
Offiziell war der Mali-Einsatz der französischen Armee ein Erfolg. Der Norden der ehemaligen französischen Kolonie wurde befreit und die militanten Islamisten vertrieben. Außerdem konnte sich der innenpolitisch angeschlagene Präsident Hollande als entscheidungsfreudiger Außenpolitiker profilieren. Hinter den Kulissen wird die sogenannte Operation Servale allerdings kritischer beurteilt. Das vorläufige Ergebnis: Von der so oft beschworenen Eigenständigkeit der französischen Armee ist nicht viel geblieben. Anne-Christine Heckmann berichtet aus Paris.
Manuskript Anne-Christin Heckmann
Der französische Kampfjet „Rafale“ am Himmel über Paris. Frankreich demonstriert gerne seine militärische Schlagkraft. Jedes Jahr am französischen Nationalfeiertag rollen die Panzer über die Champs-Elysées. Tausende Soldaten marschieren im Gleichschritt auf dem Pariser Prachtboulevard. Die Franzosen lieben diese Tradition. Die Armee stärkt das nationale Selbstbewusstsein. Und deshalb steht Frankreich Kopf, sobald bei der Armee der Rotstift angesetzt werden soll. Sogar die linksliberale Tageszeitung Le Monde titelte jüngst: „Amputierte Armee, deklassiertes Frankreich“. Und Verteidigungsexperten blasen zum Angriff auf die Politik.
O-Ton Vincent Desportes:
„Geringere militärische Mittel - das hieße zugleich auch geringere Verteidigungsfähigkeit. Und damit würde Frankreichs Bedeutung in der Welt schrumpfen.“
Das ist die große Angst der Grande Nation und auch die von General Vincent Desportes. Er ist Dozent an der renommierten Politik-Kaderschmiede Sciences Po und einer der schärfsten Kritiker des neuen Weißbuchs für die Verteidigung. Dabei ist die angekündigte, drastische Kürzung bei den Streitkräften nicht mal eingetreten. Präsident Hollande hatte betont, auch das Militär müsse sich an der Haushaltssanierung beteiligen. Über Einsparungen von jährlich bis zu 3,5 Milliarden Euro war spekuliert worden. Doch am Ende siegte der Nationalstolz über den Sparwillen. Ein im europäischen Vergleich erstaunlicher Vorgang, meint Camille Grand, Direktor der Stiftung für strategische Forschung in Paris.
O-Ton Camille Grand:
„Viele europäische Länder haben ihr Verteidigungsbudget runtergeschraubt, um 10, 15 oder 20 Prozent. Frankreich ist da eine Ausnahme. Und deshalb ist das Verteidigungsweißbuch eigentlich eine gute Nachricht für Armee und Verteidigung.“
Das Verteidigungsbudget von derzeit 31,4 Milliarden Euro pro Jahr ist vorerst eingefroren, mittelfristig wird es leicht sinken. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt wird von 1,56 auf 1,50 Prozent zurück gefahren. Nur leichte Einschnitte also, dennoch müssen die Franzosen sich neu orientieren. Die Armee muss dringend modernisiert werden. Sie braucht neue Flugzeuge und neue Aufklärungstechnik - das kostet Geld. Es muss also an anderer Stelle gespart werden. Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren wird deshalb die Zahl der Soldaten reduziert - um zusätzlich 24.000 bis zum Jahr 2019. Für General Vincent Desportes ist das der falsche Weg.
O-Ton General Vincent Desportes:
„Wir haben beim Mali-Krieg festgestellt, dass wir bei Materialfragen auf europäischer Ebene zusammenarbeiten können - zum Beispiel bei Aufklärungsmitteln, Transport- oder Tankflugzeugen. Bei Truppen aber geht das nicht so einfach. Deshalb sollten wir unsere Bodentruppen behalten, denn die können wir nicht einfach sonst wo in Europa anfragen.“
Wehrexperten kritisieren, dass keine Konsequenzen aus dem Mali-Einsatz gezogen wurden. Die „Operation Serval“ hat gezeigt, dass Frankreich zwar in der Lage war, diese Mission auch ohne europäische Hilfe am Boden zu stemmen. Doch auf logistische Unterstützung war die französische Armee durchaus angewiesen: Transportmaschinen aus Deutschland und Aufklärungsdrohnen aus den USA. Der Krieg in Mali war an der Grenze des Möglichen. Frankreich aber glaubt auch mit weniger Boden- und Bereitschaftstruppen militärische Einsätze im Alleingang durchführen zu können. Nicole Gnesotto ist Verteidigungsexpertin mit Schwerpunkt Europa. Sie hat am neuen Weißbuch mitgearbeitet.
O-Ton Nicole Gnesotto:
„Wir können auch in Zukunft eine, ja sogar zwei Mali-Missionen parallel durchführen. Aber Frankreich wird sie nicht mehr länger als drei oder vier Monate alleine durchführen können. Danach müssen die Vereinten Nationen, die USA, die Europäer oder andere Partner uns ablösen oder unterstützen. Richtig ist, dass Frankreich langfristig nicht mehr alles alleine stemmen kann.“
Eigentlich wollte Frankreich als frühere Kolonialmacht in Afrika weniger Verantwortung übernehmen. Die Zahl der Militärstützpunkte sollte deutlich reduziert werden. Doch so richtig kam der Abzug nicht in Gang. Davon haben die französischen Streitkräfte jetzt beim Mali-Einsatz profitiert. Ein halbes Jahr nach der „Operation Serval“ will das Verteidigungsministerium sich nun doch nicht mehr komplett von seinem afrikanischen Engagement abwenden. Frankreich ist gefangen zwischen Ambitionen und Sparzwang. Diese Gratwanderung spiegle auch das Verteidigungs-Weißbuch wieder, betont Wissenschaftler Camille Grand.
O-Ton Camille Grand:
„Die französische Armee entwickelt sich zu einer, wie ich sage, „Bonsai-Armee“. Das heißt eine Armee die weiterhin alles kann, aber immer kürzer treten muss. Das heißt, sie wird nicht mehr in der Lage sein, parallel mehrere ehrgeizige Missionen durchzuführen.“
Afghanistan-Einsatz, Libyen-Krieg und Mission an der Elfenbeinküste zeitgleich - das war 2011. Heute haben sich die geopolitischen Perspektiven verändert. Neben der Verteidigung des Staatsgebietes will sich die französische Armee in den kommenden Jahren auf militärische Missionen in Europa und im angrenzenden Ausland wie z.B. in Afrika beschränken. An der nuklearen Abschreckung will Frankreich unbedingt festhalten. Bei diesem Thema bleibe der Elysée-Palast hartnäckig, betont Nicole Gnesotto, Mitglied der Weißbuch-Kommission:
O-Ton Nicole Gnesotto:
„Für Frankreich würde die Aufgabe der nuklearen Abschreckung eine ähnlich große Revolution auslösen, wie wenn Deutschland beschließen würde, sie einzuführen. Das sind eben die genetischen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich seit dem zweiten Weltkrieg. Es gibt einen nationalen Konsens in Frankreich zur Atommacht.“
Alleine 3,4 Milliarden Euro pro Jahr sind im Verteidigungsbudget für die nukleare Abschreckung vorgesehen. Ein Relikt aus Zeiten des Kalten Kriegs. Zwar sind auch hier geringe Einsparungen vorgesehen, aber im Allgemeinen gilt dieser Haushaltsposten als unantastbar. Für Armee-General Vincent Desportes ist diese Haltung nicht mehr zeitgemäß. Gelder aus diesem Topf würden an anderer Stelle dringend benötigt. Es sei an der Zeit, zukunftsweisende Entscheidungen für Frankreichs Verteidigung zu treffen und umzuverteilen.
O-Ton Vincent Desportes:
„Ich bin ja gar nicht gegen eine starke nukleare Abschreckung. Aber wenn man sie sich nicht mehr alles leisten kann, muss man eben Prioritäten setzen. Man hätte substanzielle Einsparungen vornehmen müssen, unsere konventionellen Streitkräfte stärken und Frankreich so eine militärische Eigenständigkeit garantieren können. Das heißt stattdessen, Mittel für Militärtransporte, Tankflieger und Aufklärungsmaschinen bereitstellen.“
In Zeiten knapper Kassen drängt Frankreich zunehmend auf verstärkte Allianzen auf Europäischer Ebene. Ende 2010 hatten Frankreich und Großbritannien schon ein Bündnis für Verteidigung und Rüstung geschlossen, weil sie um ihren Einfluss in der Welt bangten. Es wurde als „Allianz der Not“ verspottet. Jetzt will Frankreich einen Schritt weiter gehen. Die Europäischen Staaten müssten stärker zusammen arbeiten, fordern Verteidigungsexperten. Zumal die USA sich künftig weiter aus Europa und aus regionalen Krisen zurückziehen werden. Europa habe keine andere Wahl, betont Camille Grand.
O-Ton Camille Grand
„Wer wird morgen unsere Interessen vertreten, wenn die USA sich Richtung Asien orientieren? Deshalb müssen die Europäer künftig auf der Höhe der strategischen Herausforderungen sein. Nicht indem sie mehr Geld für Verteidigung ausgeben, sondern indem sie zusammenarbeiten. Denn das strategische Umfeld ist alles andere als ruhig.“
Frankreich tritt auf der Stelle. Es ist kein eindeutiger Kurs in der Verteidigungspolitik auszumachen. Militär-Experten fordern seit langem richtungweisende Entscheidungen. Was will Frankreich für eine Armee? Und welche Schwerpunkte will man setzen? Dahingehend liefert das Verteidigungs-Weißbuch keine Antworten. Dabei bräuchte Frankreich eine neue Verteidigungsstrategie und darauf aufbauend - eine Reform der Streitkräfte. Sonst könne der nationale Stolz zu einem nationalen Desaster werden.
* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 13. Juli 2013; www.ndr.de/info
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