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Mali und Frankreich

Oder: Wer anderen eine Grube gräbt

Von Conn Hallinan *

„Es scheint, dass die Franzosen gerade wieder einen ihrer Kriege in der Gegend führten“ - Charlie Marlow, in Joseph Conrads Roman „ Herz der Finsternis“.

Die Vision, die Conrads Figur Marlow beschreibt, ist die einer französischen Fregatte, die Breitseiten in den weiten afrikanischen Dschungel feuert, im Kern, die Bombardierung eines Kontinents. Diese Bild tauchte diese Woche vor den Augen auf, als französische Mirage und Kampfhubschrauber einen Einsatz ausführten gegen eine bunt gemischte Armee islamistischer Aufständischer in Mali.

Dass es eine Welle der Instabilität in diesem hauptsächlich aus Wüste bestehenden Binnenstaat gibt, kann für die Franzosen kaum eine Überraschung darstellen: sie selbst und ihre Verbündeten sind die Ursache dafür.

Und sie waren gewarnt.

Etwas zur Geschichte. Am 17. März 2011 billigte der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973, um im libyschen Bürgerkrieg „Zivilisten zu schützen“. Zwei Tage später begannen französische Mirage mit Bombenangriffen auf Muammar Gaddafis Truppen und Flugplätze, womit sie die direkte Intervention durch England auslösten, im Verbund mit Katar und Saudi-Arabien.

Die Resolution 1973 autorisierte die NATO und ihre Verbündeten nicht, sich einer Seite im libyschen Bürgerkrieg anzuschließen, nur um Zivilisten zu schützen, und viele von denen, die die Resolution unterstützten – inklusive Russland und China – gingen davon aus, dass die Aktion des Sicherheitsrats den üblichen Regeln folgen und zunächst nach einer politischen Lösung suchen würde. Aber die einzige „Lösung“, an der die anti-Gaddafi Allianz interessiert war, bestand im Einsatz von lasergesteuerten 500-Pfund-Bomben.

Am Tag nach dem französischen Angriff hielt die Afrikanische Union (AU) eine außerordentliche Sitzung in Mauretanien ab, in einem Versuch die Kämpfe zu stoppen Die AU war zutiefst besorgt, dass bei einem Zusammenbruch Libyens ohne einen vorhandenen nach-Gaddafi-Plan dies zur Destabilisierung anderer Länder in der Region führen könnte. Sie waren insbesondere alarmiert darüber, dass die riesigen libyschen Waffenarsenale lokale Kriege in anderen Teilen Afrikas anheizen könnten.

In Washington, Paris oder London hörte ihnen allerdings niemand zu, und sieben Monate nach den französischen Angriffen implodierte der libysche Staat zum jetzigen gescheiterten Staat (failed state). Innerhalb von zwei Monaten erhoben sich Tuaregs – ausgerüstet aus Gaddafis Waffendepots – und vertrieben die korrupte und ineffiziente malische Armee aus dem Norden Malis.

Die Tuaregs sind ein Wüstenvolk, verwandt mit den Berbern, die das Atlas-Gebirge Nord-Afrikas bevölkern. Sie haben vier Kriege mit der Regierung Malis geführt seit das Land 1960 von Frankreich befreit war, und viele Tuaregs wollen ihren eigenen Staat „Azawed“ bilden. Aber die köchelnde Unzufriedenheit im Norden Malis ist nicht auf die Tuaregs beschränkt. Andere ethnische Gruppen sind verärgert über die wohl durchdachte Vernachlässigung aller Völker im Norden des Landes durch den Süden.

Die Tuareg führen gegenwärtig auch einen Kampf mit den Franzosen über die Uranminen in Niger.

Die Gaddafi-Regierung hat lange Zeit die Tuareg Forderungen nach größerer Selbstregierung unterstützt, und viele Tuareg dienten in der libyschen Armee. Überrascht es irgendjemanden, dass diese Tuaregs die libyschen Waffendepots plünderten als die Zentralregierung dort zusammenbrach? Und dass sie, nachdem sie über diese fantastische Feuerkraft verfügten, diese verwendeten um sich ein eigenes Stück Land damit herauszuschneiden?

Die Tuaregs sind Nomaden und haben wenig Interesse daran, Städte wie Timbuktu, Gao und Kidal zu halten, und nach der Zerschlagung der malischen Armee zogen sie sich wieder in die Wüste zurück. In dieses durch die Vertreibung der malischen Armee geschaffene Vakuum stießen islamistische Gruppen wie Ansar-al-Din, al-Tawid wa al-Dschihad und al-Kaida-im-islamischen-Maghreb (AQIM). Es sind die letzteren Organisationen, die die Franzosen bombardieren, auch wenn es Berichte gibt, dass Zivilisten in Kreuzfeuer geraten.

Die USA sind ebenfalls involviert, Laut Democracy Now transportiert die Obama-Regierung französische Truppen und Ausrüstung in das Gebiet und stationiert dort Aufklärungsdrohnen. Und bei der Ausweitung des Krieges nach Algerien , wo fast zwei Dutzend westliche Staatsbürger, einschließlich mehrerer Amerikaner gekidnappt wurden als Vergeltung auf die französischen Angriffe, könnten die USA am Ende noch Bodentruppen einsetzen.

Warum feuern die Franzosen mal wieder auf einen Kontinent?

Ersten besitzt Frankreich wichtige Kapitalanlagen in Niger und Mali. Letztlich geht es dabei um Francs bzw. Euro. Etwa 70 Prozent von Frankreichs Energiebedarf wird über Kernkraft abgedeckt, und eine preiswerte Quelle dafür ist sein altes koloniales Imperium in der Region (das neben Mali und Niger auch Senegal, Mauretanien, Guinea, die Elfenbein-Küste, Burkina Faso, den Tschad, Algerien und die Zentral-Afrikanische Republik umfasste). Der größte Teil seines Nuklearbrennstoffs kommt aus Niger, aber Al Jazeera berichtet, dass französische Uran- ,Öl- und Goldgesellschaften sich darauf vorbereiten, das nördliche Mali zu entwickeln. Damit niemand glaubt, dass diese „Entwicklung“ gut für die dort ansässige Bevölkerung ist, sei darauf hingewiesen, dass laut dem Human Development Index der UNO Niger das drittärmste Land der Welt ist.

Es gibt aber noch weitere Punkte, z.B. den Napoleon Komplex.

„Die Franzosen, wie die Amerikaner beurteilen Präsidenten nach deren Fähigkeit harte Entscheidungen zu treffen, und es gibt nur wenige noch härtere, als junge Männer in die Schlacht zu schicken“, schreibt der New York Times Reporter Steve Erlanger in einem Bericht über die Entscheidung des französischen Präsidenten Francois Holland in Mali zu intervenieren. Betitelt „ Holland, lange als weich angesehen verschiebt dies Bild mit festem Stand (was beinahe wie eine Werbung für Viagra klingt) zitiert der Artikel den „Militärexperten“ Francois Heisbourg, der Holland für sein „entschiedenes“ Handeln lobt und der „demonstriert, dass er über Angelegenheiten von Krieg und Frieden entscheiden kann.“

Eigentlich ging die Sache mit dem „Krieg und Frieden“ im Jahr 1812 ziemlich schlecht aus für die Franzosen, obwohl die heutige neue „Grande Armee“ sich in Mali kaum mit Schnee und Eis herumschlagen muss. Aber Mali ist fast zweimal so groß wie Frankreich – 478.839 zu 211.209 Quadratmeilen – was eine beträchtliche Fläche zum Abdecken für die Mirages darstellt. Dabei sind die französischen Kampfflugzeuge noch nicht einmal in Mali stationiert, sondern im benachbarten Tschad, etwa 1.300 Meilen von ihren Zielen entfernt. Das ist eine lange Strecke für Jagdbomber und belässt ihnen sehr wenig Zeit über dem Schlachtfeld. Offenbar erwägen die USA beim Auftanken in der Luft behilflich zu sein, aber in jedem Fall werden die Franzosen mit beträchtlichen logistischen Hindernissen konfrontiert sein. Und wenn auch Malis Geografie keinen Vergleich mit der russischen Steppe im Winter ist, so bildet seine erbarmungslose Wüste doch ein bedrohliches Terrain.

Letztlich würde Holland gerne etwas Druck von seiner innenpolitischen Situation nehmen. Es gibt nichts Besseres als einen Krieg, um die Menschen eine stagnierende Wirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit, eine unruhige Arbeiterschaft und eine weitere Runde von Einsparmaßnahmen vergessen zu lassen.

Aber dieser Krieg könnte sehr hässlich werden, und wenn man eine Beschreibung für einen Morast sucht, könnte man es mal mit dem Norden Malis probieren. Anstatt durch die französischen Angriffe eingeschüchtert zu sein, starteten die Aufständischen einen erfolgreichen Gegenangriff und nahmen die Stadt Diabali in Zentral-Mali ein. Wenn Paris glaubte es ginge einfach nur darum, mit ein paar Bombenangriffen die Kanaken zu verjagen, sollte man Holland vorschlagen, sich die gegenrevolutionären Feldzüge seines Landes in der Vergangenheit anzusehen, beginnend mit Vietnam.

Die islamistischen Gruppen scheinen wenig lokale Unterstützung zu haben. Mali ist ein islamisches Land, aber nicht von der Art Islam, wie er von Ansar al-Din oder AQIM und dergleichen befolgt wird. Aber wenn man eine Menge erstklassiger Feuerkraft austeilt – was genau der Krieg zum Sturz Gaddafis bewirkte – dann braucht man keine große Unterstützung um eine Menge Ärger zu bereiten.

Die Rebellen begegnen sicherlich keinem starken Widerstand durch die malische Armee, deren von den USA ausgebildeter Führer, Hauptmann Amadou Sanogo, die demokratische Regierung seines Landes stürzte, zwei Monate nachdem die Tuareg aus der Sahara stürmten und Timbuktu einnahmen. Offenbar haben eine Anzahl dieser von den USA ausgebildeten Truppen die Seiten gewechselt, unter Mitnahme von Waffen und Material zu den Aufständischen.

Es gibt Beweise, dass die malische Armee die Tuaregs zuerst provoziert haben könnte. Es scheint, dass anstatt die von den USA über die vergangenen vier Jahre erhaltenen Millionen von Dollar zu verwenden zum Kampf gegen den „Terrorismus“ in der Region, benutzte die Armee sie um auf die Tuareg einzuschlagen. Jedenfalls bis die letzteren nach dem Fall Gaddafis eine Infusion von überlegener Feuerkraft erhielten.

Die Franzosen planen, ungefähr 2500 Mann in Mali zu stationieren, verlassen sich aber darauf, dass die Wirtschaftsgemeinschaft von West-Afrika (ECOWAS) eine Armee von 3300 Soldaten aufstellt. Aber die ECOWAS- Armee wird man erst nach Mali transportieren und dort ausbilden müssen, und das wird jemand bezahlen müssen. Das bedeutet, dass für die nächsten Monate die Franzosen die Stellung halten müssen, und das kostet eine Menge Euro, die Frankreich kaum im Überfluss hat.

Die Menschen im Norden Malis haben schon lange bestehende Beschwerden, aber die gegenwärtige Krise wurde durch die Militärintervention in Libyen ausgelöst. Und wer meint, Libyen erschuf Monster, sollte bedenken was passieren wird, wenn die Assad-Regierung in Syrien fällt ohne einen vorhandenen Plan (road map ) für die politische Zukunft. Ja die Franzosen sind derzeit stark involviert in Syrien, in einem Bürgerkrieg, in dem zunehmend Sunniten gegen Schiiten stehen, und der bereits in den Libanon ausgestrahlt hat, in die Türkei, Jordanien und den Irak. Vergleichen mit Syriens Waffenarsenalen besteht Libyens Feuerkraft aus einer Sammlung von Musketen und Bajonetten.

Dominique de Villepin, der frühere Premierminister Frankreichs und ein scharfer Kritiker der US-Invasion des Iraks, schrieb kürzlich im Journal Dimanche: „Diese Kriege (wie in Mali) haben nie einen gefestigten und demokratischen Staat erschaffen. Im Gegenteil, sie begünstigen Separatismus, gescheiterte Staaten (failed states) und das eiserne Gesetz der bewaffneten Milizen.“

Was haben also Mali, und die Franzosen mit der für andere gegrabenen Grube gemein?
Sie fallen immer selbst hinein.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Originalbeitrag: Mali, France, and Chickens. As in: come home to roost. In: Foreign Policy in Focus January 19, 2013; www.fpif.org/blog/mali_france_and_chickens


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