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"Für Frankreich steht die Vorherrschaft auf dem Spiel"

Kaum ein Land ist an Rohstoffen so reich wie Mali. Wachsender Einfluß von China und Indien. Gespräch mit Many Camara und Aminata Traoré **


Der Soziologe Many Camara lehrt an der Universität der malischen Hauptstadt Bamako, Aminata Traoré ist Politikerin und war von 1997 – 2000 Kulturministerin von Mali.

Nach Südafrika und Ghana ist Mali einer der größten Goldexporteure Afrikas. Im Konfliktgebiet im Norden, wo Frankreich mit Hilfe der Bundeswehr gegen Rebellen kämpft, liegen riesige Vorkommen an Gas, Öl, Kupfer und Uran. Sind wir Zeugen eines neuen Krieges um Rohstoffe?

Camara: Eindeutig, diese Region ist reich an Bodenschätzen, auch das Trinkwasser in tiefen Erdschichten ist wichtig. Mali ist von hoher geopolitischer Bedeutung: Wer dieses Land militärisch unter sich hat, kontrolliert auch das Mittelmeer, Ost- und Westafrika und die Golfstaaten. Frankreich hat also großes Interesse an Mali, es will vor allem wegen des wachsenden Einflusses von China und Indien auf dem Weltmarkt Präsenz und Stärke zeigen.

Mali galt bis zum Militärputsch gegen Präsident Amadou Touré im März 2012 als Musterland afrikanischer Demokratie. Frankreich will jetzt mit seinem Truppeneinmarsch die angeblich in die Krise geratene Demokratie wiederherstellen …

Camara: Diese Demokratie ist doch nur Maskerade. Daß jetzt Rebellen ein Problem darstellen, soll doch nur die Mißwirtschaft und die Korruption bisheriger Regierungen kaschieren. Die wurden nur deswegen als »demokratisch« gelobt, weil sie die aus dem Ausland vorgegebene neoliberale Politik brav durchgesetzt haben.

Frankreich hat in diesem Land traditionell einen großen Einfluß, den übt es auch mit Hilfe der Geldpolitik aus. Malis Währung war direkt an den Franc gekoppelt, heute ist sie es an den Euro. 65 Prozent der malischen Währungsreserven liegen als Garantie im Agence France Trésor, sind also Teil der französischen Staatskasse und werden von dort verwaltet. Frankreich ist überall: Handel, Landwirtschaft, Energiesektor, Bankensektor, Sicherheitskräfte. Weil aber China und Indien an Gewicht gewinnen, steht für Paris heute die eigene Vorherrschaft in Mali und der Region auf dem Spiel.

Vom Reichtum der Bodenschätze ist in Mali, einem der ärmsten Länder der Erde, wenig zu sehen. Wer profitiert von der Politik des Ausverkaufs?

Camara: Eine kleine Minderheit. Die Bevölkerung hat weder politischen Einfluß, noch kann sie über den Abbau der Rohstoffe mitbestimmen. Im Bergbausektor geben Kanada und Südafrika den Ton an, Frankreich braucht das Uran.

Nach Malis Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 gab es für kurze Zeit eine echte demokratische Elite, die für die nationale Entwicklung gekämpft hat. 1968 wurde die sozialistische Regierung von Modibo Keïta aber weggeputscht und durch eine Diktatur abgelöst, die direkt von Frankreich unterstützt wurde. Die Militärs haben Mali dann demWeltmarkt geöffnet.

1992 gab es Wahlen, die von einem sozialdemokratischen Parteienbündnis gewonnen wurden, finanziert mit Geldern aus Frankreich. Was folgte, waren die Privatisierung von Staatsfirmen, Reformen des Bergbau- und Waldgesetzes und noch mehr Marktwirtschaft. Es hat sich eine Klasse von Geschäftsleuten gebildet, die weniger das Wohl Malis als das eigene im Auge haben.

Freut sich die Bevölkerung über den Einmarsch der Franzosen?

Traoré: Nicht wirklich. Die meisten sind mit dem täglichen Überleben beschäftigt: Die Löhne sind am Boden, die jungen Leute haben keine Arbeit, Arzt oder Krankenhaus sind unbezahlbar. Es gibt wenig zu essen, in Mali kann man schon an Kleinigkeiten sterben.

Der Westen hat Mali vergessen. Der Staat hat kein Geld, die Armeee ist in einem miserablen Zustand. Nur deswegen konnten die Rebellen im Norden vorankommen.

Wie denkt man über die Rebellengruppen?

Traoré: Die Medien berichten jeden Tag über den Norden. Das Gefühl, nicht beschützt zu sein, war ein Schock. Man fühlt sich angegriffen, hat Angst vor Plünderungen. Der radikale Islam ist der neue Feind. Über die Probleme des Landes, die von der falschen Globalisierungspolitik ausgelöst wurden, wird aber leider nicht gesprochen. Frankreich und die herrschende Klasse ziehen an einem Strang und präsentieren sich als Beschützer. Viele Menschen ohne Bildung glauben das auch. Aus den für Juli angesetzten Wahlen wird also wieder eine Regierung ohne Legitimität hervorgehen.

Interview: Benjamin Beutler

** Aus: junge Welt, Samstag, 20. April 2013


Kein Dialog mit Kriegsgegnern

Frankreich verweigert malischen Politikern die Einreise

Von Simon Loidl **


Sie habe kein Problem mit Frankreichs Präsident François Hollande, sondern mit einem ungerechten und zynischen System, sagt Aminata Traoré. Aber Hollande, von dessen Sozialistischer Partei die malische Politikerin und Menschenrechtsaktivistin in der Vergangenheit oft zu Vorträgen eingeladen worden war, repräsentiert heute das System neokolonialer französischer Politik. Und die ist verantwortlich für die Luftangriffe auf malische Dörfer, wie auch für die Einreiseverweigerung für Kritiker dieses Einsatzes.

Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und der Fraktion Die Linke sollten Aminata Traoré, der Generalsekretär der malischen Partei SADI, Oumar Mariko, und der Soziologe Many Camara in dieser Woche zu mehreren Veranstaltungen nach Berlin kommen. Frankreich legte Einspruch gegen die Erteilung von Schengen-Visa für Mariko und Traoré ein. Während die frühere malische Kulturministerin zumindest eine Besuchserlaubnis für die Bundesrepublik erhielt und via Istanbul nach Berlin gelangte, wurde dem Parlamentarier Mariko auch die Einreise nach Deutschland verweigert.

Dieser Skandal spielte bei der Veranstaltung »Mali in der Zwischenzeit – nach der Militärintervention, vor den Wahlen« eine zentrale Rolle. Die Organisation AfricAvenir, die Zeitschrift PROKLA und die RLS hatten am Mittwoch abend trotz der schwierigen Umstände für die Vortragenden in die Räumlichkeiten der Stiftung in Berlin eingeladen. Paris wünsche keinen Dialog mit Kritikern der politischen Entwicklung in Mali und der Rolle Frankreichs, so Veranstalter und Vortragende am Mittwoch. Die afrikanischen Frauen, erklärte Traoré, sollen nur jene Debatten führen, die der Interventionspolitik dienen. Im Fall Mali bedeute dies, daß etwa Polygamie und Verschleierung, die islamistische Gruppen im Norden einführen wollten, legitime Themen seien. Wer aber Fragen nach den Interessen Frankreichs in der Region und zur Zerstörung des malischen Staates durch neoliberale Politikkonzepte aufwirft, dem werde der Dialog verweigert.

Traoré und Camara betonten die Rolle von Strukturanpassungsprogrammen, die Mali von der Weltbank oktroyiert wurden und die die krisenhafte Entwicklung auslösten. Unternehmer, ausgestattet mit Aufträgen westlicher Konzerne, kontrollierten den Alltag lokaler Gemeinschaften, so der Soziologe. In dieser Situation seien zahlreiche lokale Widerstandsbewegungen gegen den Verlust der staatlichen Souveränität und gegen den Verlust der Souveränität der Menschen über ihr Alltagsleben entstanden. Gleichzeitig, so der an malischen und französischen Universitäten lehrende Camara, habe die Zerstörung zentralstaatlicher Strukturen aber auch islamistische Bewegungen begünstigt, die dann als Vorwand für die Intervention dienten. Die tatsächlichen Interessen von Paris erläuterte Camara anhand der bedeutenden Ressourcen des Landes. Vor allem die riesigen Uranvorkommen in der Region sind für die französische Atomwirtschaft von Bedeutung.

Mali, so die beiden Vortragenden, sei Lehrbeispiel, wie Strukturanpassungs- und Entwicklungshilfeprogrammen im Dienste westlicher Interessen funktionieren. Während durch erstere staatliche Strukturen zerstört und Korruption geschaffen worden sei, trete der Westen nun erneut als selbsternannter Retter auf. Dabei bediene der »zündelnde Feuerwehrmann« Frankreich aber nur seine eigenen und die Interessen seiner Konzerne, so Traoré. Neben der Gewalt und den zivilen Opfern des Krieges bedeute die Präsenz ausländischen Militärs im ganzen Land zudem eine Demütigung Malis, deren längerfristige Folgen noch nicht absehbar seien.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. April 2013


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