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Lösungssuche im Wüstendrama

EU will Mali gegen Extremisten im Norden helfen / Für und wider Militärintervention *

Der westafrikanische Staat Mali bekommt im Kampf gegen das Gewaltregime islamistischer Extremisten im Norden des Landes Hilfe der EU.

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten erklärten am Freitag in Brüssel, sie seien bereit zu einer »etwaigen militärischen Operation« in Mali. Dabei gehe es nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um die Schulung malischer Truppen. Die EU werde Mali auch unterstützen »bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und einer demokratischen Regierung, die die uneingeschränkte Hoheit über das gesamte Staatsgebiet ausübt«.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton arbeitet an einem Einsatzkonzept, das am 19. November fertig sein soll. Es geht darum, mögliche Truppen der Afrikanischen Union und Malis zu unterstützen. Die Ausbildung malischer Soldaten werde voraussichtlich in einem Nachbarland erfolgen, sagten Diplomaten. Nach Monaten des politischen Chaos in Mali sind am Freitag zahlreiche internationale Experten in der Hauptstadt Bamako zusammengekommen, um eine Spaltung des Landes und eine Destabilisierung der gesamten Region zu verhindern. Radikale und militante Islamisten kontrollieren mittlerweile zwei Drittel des westafrikanischen Landes und setzen dort eine strenge Auslegung der Scharia durch. Beobachter befürchten, dass Mali zu einem »Afghanistan in der Sahel« werden könnte. Thema des Treffens ist unter anderem die mögliche Militärintervention einer Regionaltruppe. Die Regierung in Bamako hat einen solchen Einsatz am Donnerstag in einer neuen Resolution begrüßt und dankte der Afrikanischen Union, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, der EU und der UNO für ihre Hilfe, um die Extremisten aus dem Norden zu vertreiben.

Vertreter all dieser internationalen Organisationen sind nach Bamako gereist, um eine Strategie zu entwickeln. Zu den Teilnehmern gehören die neue AU-Kommissionschefin Nkosazana Dlamini- Zuma, UN-Vizegeneralsekretär Jan Eliasson und der ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi als UN-Sondergesandter für die Sahel-Zone. Erst in der vergangenen Woche hatte der Weltsicherheitsrat eine Militäroffensive genehmigt. Nun müssen innerhalb von 45 Tagen konkrete Pläne vorgelegt werden.

In Bamako protestierten rund 2000 Menschen gegen eine internationale Militärintervention. Der von der Koordination Patriotischer Organisationen Malis organisierte Protest unterstützte die malische Armee und wandte sich gegen Übergangspräsident Dioncounda Traoré. Etwa eine Woche zuvor hatten rund 10 000 Malier für eine Intervention ausländischer Truppen gegen die Islamisten im Norden demonstriert.

In dem westafrikanischen Land hatte Ende März eine Gruppe Soldaten den langjährigen Präsidenten Amadou Toumani Touré entmachtet. Danach gelang es Tuareg- Rebellen und mit ihnen verbündeten Islamisten, innerhalb weniger Tage weite Teile des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen. Anschließend vertrieben die Islamisten die Tuareg-Rebellen aus den meisten großen Städten und führten das islamische Recht der Scharia ein. Viele Gruppen sollen Verbindungen zum nordafrikanischen Ableger der Terrornetzwerks Al Qaida, Aqmi, haben.

Unterdessen haben im Norden Malis Islamisten erneut heilige muslimische Stätten zerstört. Die Extremisten gingen mit Spitzhacken gegen die heiligen Gräber in Karaba im Süden der Stadt Timbuktu vor, sagte ein Anwohner der Nachrichtenagentur AFP.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Oktober 2012


Eskalationskurs

Bundeswehreinsatz in Mali

Von Niema Movassat **


Die Lage in Mali und ganz Westafrika ist sehr komplex und hochexplosiv, seit sich der nördliche Teil des Landes als Staat »Azawad« abgespalten hat. Einfache Lösungen scheiden aus. Zu diesen gehört zu meinen, ein Militäreinsatz würde die Probleme lösen. Vielmehr könnte eine Entsendung von Soldaten zu einem fürchterlichen Flächenbrand in der gesamten Sahel-Region und darüber hinaus führen.

Dennoch soll die Bundeswehr nun im Rahmen einer EU-Mission nach Mali. Ob als Ausbildungsmission oder im offenen Kriegseinsatz: Deutschland wird damit Konfliktpartei und beteiligt sich an einem imperialen Großeinsatz, der sich rasch ausweiten kann. Dabei ist die nun eilig herbeigerufene militärische Lösung die denkbar schlechteste. Das riecht nach Absicherung ganz anderer Interessen als derjenigen der malischen Bevölkerung!

Bisher haben nämlich EU-Staaten – allen voran Frankreich – von der instabilen Lage in Nordmali bestens profitiert. Deren Interesse an einem Zugriff auf die größtenteils noch unausgebeuteten Rohstoffreserven in Nordmali sowie die geopolitisch günstige Lage dieser Region, wird sich nicht durch die veränderte Situation verflüchtigt haben. Staaten wie Saudi-Arabien und Khatar rüsten die Rebellen massiv auf und finanzieren sie. Diese Länder wiederum sind Verbündete der EU-Staaten, die dorthin Waffen liefern. Daneben profitieren in der Region diktatorische Regime wie das von Burkina Faso direkt vom Waffen- und Drogentransfer durch Nordmali. Nun wird ausgerechnet der burkinische Präsident Blaise Compaoré als Mediator der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS vom Westen zum »Friedensanker« in der Region verklärt. Dabei gilt es vielmehr umgekehrt, ihn und seine Handlanger international zu ächten und zu isolieren.

Beim besten Willen ist nicht zu erkennen, daß schon alle zivilen Optionen ausgeschöpft wurden. Der brutale Militäreinsatz der NATO in Libyen hat zu diesem nun auf Mali übergesprungenen Flächenbrand in der Region geführt. Modernste Waffen aus libyschen Beständen befinden sich in den Händen der radikalislamischen Rebellen in Nordmali. Ein weiteres militärisches Vorgehen wird die Katastrophe noch ausweiten und die Stabilität aller Nachbarländer massiv gefährden, in denen ebenfalls Rebellen mit Waffen aus libyschen Beständen ihre Regierungen bekämpfen. Nun also ein Kriegseinsatz des Friedensnobelpreisträgers EU in Mali? Das ist der Ruf des Verwirrten: »Zur Hilfe, lieber Brandstifter: Lösche das Feuer, das du selber mit gelegt hast!«

Deshalb lehnt Die Linke diesen Bundeswehreinsatz ab und fordert, daß die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Ursachen statt die Symptome bekämpfen und dabei bei ihrer eigenen imperialen Politik zuerst anfangen.

** Niema Movassat ist Bundestagsabgeordneter für Die Linke und Mitglied im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Aus: junge Welt, Samstag, 20. Oktober 2012 (Gastkommentar)



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