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Beratungen über Mali

Treffen in Burkina Faso fand ohne Hauptpersonen der Konfliktparteien statt

Von Simon Loidl *

Am Wochenende hat in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, ein Treffen zwischen Vertretern der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und politischen und gesellschaftlichen Gruppen aus Mali stattgefunden. Die ECOWAS forderte die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in Mali bis Ende Juli, die eine »Roadmap« zur Beilegung der Krise in dem Land umsetzen müsse. Außerdem solle der Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) Ermittlungen wegen »Kriegsverbrechen« im Norden Malis einleiten. Der ECOWAS-Wunsch nach einem militärischen Eingreifen wurde in Ouagadougou ebenfalls erneuert. Mali solle eine von den Vereinten Nationen unterstützte Intervention fordern, so die ECOWAS-Vertreter am Samstag, um den derzeit von Aufständischen kontrollierten Norden des Landes zurückzuerobern.

Die wichtigsten Akteure des betroffenen Landes waren allerdings bei den Beratungen nicht anwesend. Für die derzeitige Übergangsregierung Malis nahm lediglich die Ministerin für afrikanische Integration, Rokia Traoré, an dem Treffen teil – weder der malische Interimspräsident Dioncounda Traoré noch der geschäftsführende Premierminister Cheick Modibo Diarra waren zugegen. Vertreter des Nordens verließen das Treffen, nachdem ihnen die Legitimität abgesprochen worden war, und Unterstützer des Militäputsches vom März hatten das Treffen von vornherein boykottiert.

Am 22. März hatten Soldaten den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré gestürzt. Sie warfen ihm vor, den Kampf gegen bewaffnete Tuareg-Rebellen im Norden Malis nicht entschlossen genug zu führen. Das nach dem Putsch entstandene Machtvakuum nützten die Rebellen aus, um mehrere Städte – darunter Timbuktu, Gao und Kidal – zu erobern. Kurz nachdem sie gemeinsam die Kontrolle in weiten Teilen Nordmalis übernommen hatten, kam es zwischen der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) und der islamistischen Ansar Dine zu Machtkämpfen. Mittlerweile scheinen die Islamisten, die auch enge Verbindungen zur Al-Quaida im Islamischen Maghreb (AQUIM) haben sollen, in der gesamten Region die Oberhand gewonnen zu haben. Die MNLA-Vertreter haben sich Medienberichten zufolge weitgehend aus den eroberten Städten zurückgezogen.

In den vergangenen Wochen waren die Islamisten damit beschäftigt, in Timbuktu Jahrhunderte alte Mausoleen zu zerstören, welche die UNESCO erst Ende Juni zum Weltkulturerbe erklärt hatte. Ansar Dine begründet die Aktion damit, daß die »Anbetung« islamischer Heiliger unislamisch sei. Außerdem scheint die Zerstörung eine direkte Reaktion auf die UNESCO zu sein – in ersten Stellungnahmen war davon die Rede, daß die Gruppe sich gegen einen vom Westen oktroyierten Kulturbegriff wende.

Ansar Dine war mit den Ereignissen im Frühjahr zum ersten Mal in Erscheinung getreten, entsprechend wenig ist bisher über die Gruppierung bekannt. Als Anführer wird Ag Ghaly genannt, der bereits bei den Tuareg-Aufständen in den 1990er-Jahren eine wichtige Rolle spielte. Die MNLA ist ebenfalls eine junge Organisation. Sie wurde im Herbst vergangenen Jahres vorwiegend von Tuareg gegründete, die vormals im Dienst Muammar Al-Ghaddafis standen. Nach dem Libyen-Krieg kehrten sie – militärisch ausgebildet und teilweise gut ausgerüstet – in das Gebiet des »Azawad« zurück. Auch bei früheren Aufständen in der Region ging es um die Autonomie dieses Gebietes im Norden Malis.

Während alle Welt in den vergangenen Tagen die Zerstörung der alten Bauwerke von Timbuktu verurteilt hat, blieb die soziale und politische Dimension der Ereignisse außerhalb der Wahrnehmung. Hilfsorganisationen bezifferten den Anteil der unternährten Kinder im nördlichen Mali bereits Mitte Juni mit 60 Prozent. Normalerweise würde eine derartige Situation internationale Hilfsmechanismen in Gang setzen, in der Region sind jedoch nur mehr wenige Organisationen aktiv, weshalb es kaum Unterstützung von außen für die Bevölkerung gibt. Seitdem Islamisten und Tuareg-Rebellen in mehreren Städten des Nordens die Kontrolle übernommen haben, ist die Region vom Rest des Landes isoliert. Dies führte zur Unterbrechung der Handelswege und in weiterer Folge zu rasanten Preisanstiegen. Nach UN-Angaben sind seit Beginn der Kämpfe bereits mehr als 140000 Menschen in Richtung Süden, aber auch in unbewohnte Teile des Landes geflohen.

* Aus: Junge Welt, Montag, 9. Juli 2012


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