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Malaysia Airlines in Not

Mutmaßlicher Abschuß von Flug MH-17: Lange vor dem Verlust zweier Passagierjets kämpfte die Fluggesellschaft mit großen Problemen

Von Thomas Berger *

Die jüngste Tragödie könnte das Aus für Malaysias nationale Fluggesellschaft bedeuten. Nach dem Verschwinden der Maschine von Flug MH-370 und dem vermutlichen Abschuß der Boeing 777 des Fluges MH-17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur über dem Kriegsgebiet im Osten der Ukraine, haben sich auch die wirtschaftlichen Probleme der Airline verschärft. 537 Tote und der Verlust zweier Maschinen binnen nur vier Monaten – so etwas hat bislang noch keine andere Fluggesellschaft der Welt verkraften müssen. Nachdem MH-370 am 8. März auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking mit 239 Menschen an Bord vom Radar verschwand und trotz wochenlanger Intensivsuche vermutlich in den Weiten des Indischen Ozeans verschollen bleibt, hatte es Malaysia Airlines (MAS) schon schwer genug. Seit Jahresbeginn verlor die MAS-Aktie bereits gut ein Drittel an Wert. Der Abschuß von MH-17 mit 298 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord, darunter besonders vielen Niederländern sowie internationalen Experten, die an einer AIDS-Konferenz in Melbourne teilnehmen sollten, könnte sich nun als Todesstoß für das Unternehmen erweisen.

Vormals guter Ruf

Die Geschichte der Fluggesellschaft reicht bis ins Jahr 1937 zurück, als das Land noch unter britischer Kolonialherrschaft stand. Nach wie vor genießen – mit Ausnahme der indonesischen Garuda – südostasiatische Airlines wie Thai Airways, Singapore Airlines und eben MAS im internationalen Vergleich einen sehr guten Ruf. Malaysia Airlines mußte in seiner langen Geschichte lediglich zwei Unglücksfälle mit Todesopfern verkraften. Beide Male lag der Grund weder bei der Gesellschaft noch technischen Unzulänglichkeiten. 100 Menschen, darunter der damalige Landwirtschaftsminister und Kubas Botschafter in Japan, starben am 4. Dezember 1977 beim Absturz einer Boing 737, die entführt worden war. Und als am 15. September 1995 über dem malaysischen Teil der Insel Borneo eine kleinere Maschine vom Typ Fokker 50 abstürzte, wobei 34 Menschen starben, war ein Pilotenfehler die Ursache. Zwar waren die Jets des Typs Typ Boeing 777, zu der beide aktuelle Unglücksmaschinen gehörten, in der MAS-Flotte mit 13 bzw. 17 Dienstjahren die ältesten Maschinen. Das machte sie aber nicht unsicherer, wie internationale Vergleichsstandards zeigen. Insgesamt gilt die Boeing 777 als einer der sichersten Flugzeugtypen weltweit.

Mehrfach wurde die Airline zudem ausgezeichnet, so 2012 für das beste Kabinenpersonal. Die exzellente Reputation des Traditionsunternehmens (eine von nur sieben Gesellschaften, die sich in der höchsten Stufe des internationalen Skytrax-Rankings hält) konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses schon geraume Zeit vor der ersten Katastrophe mit dem Verschwinden von MH-370 in akute finanzielle Schieflage geraten war. Immer wieder hatte MAS rote Zahlen geschrieben. Obwohl es zwischendurch (2007) gelang, einen ganz ordentlichen Gewinn einzufahren, sammelte sich in den vergangenen drei Jahren ein Minus von 1,2 Milliarden US-Dollar (ca. 900 Millionen Euro) an. Dies lag unter anderen an der Anschaffung von 21 neuen Maschinen allein im vergangenen Jahr. Diese Kapazitätserweiterung war jedoch nicht durch steigende Nachfrage gedeckt. Ganz im Gegenteil: Vor allem Billigkonkurrent Air Asia, der auf den regionalen Strecken weitaus günstigere Tickets bietet, hat MAS wichtige Marktanteile abgenommen.

Knappe »schwarze Null«

Ahmad Jauhari Yahya, der 2011 den Chefposten bei MAS übernahm, brachte keine Erfahrungen aus dem Flugwesen mit, sondern war vorher Manager in der Energiebranche. Seit der Jahrtausendwende bemühte er sich vor allem mit der Streichung einzelner unprofitabler Routen, die aus dem Ruder laufenden Kosten zu senken. MAS befördert pro Jahr gut zwölf Millionen Passagiere auf rund 60 Strecken. 90000 Mitarbeiter werden beschäftigt. Selbst 2013, das für die meisten Airlines ein eher gutes Jahr war, wurde ein operatives Minus von mehr als vier Prozent verbucht. Die Ratingagentur Moody’s hat errechnet, daß die regionalen Konkurrenten Singapore Airlines und Cathay Pacific (Hongkong) im Zeitraum 2007 bis 2010 einen Profit von durchschnittlich 8,3 bzw. 7,0 Prozent einfahren konnten – MAS schaffte mit 0,1 Prozent plus gerade eine »schwarze Null«. Seither ging es nur noch abwärts.

Der malaysische Staatsfonds Khazanah Nasional, der knapp 70 Prozent der Anteile hält, gerät immer mehr unter Handlungsdruck. Hinter den Kulissen, oder teilweise auch schon via Medien in aller Öffentlichkeit, werden verschiedene Varianten diskutiert. Beispielsweise ein kontrolliertes Insolvenzverfahren, wie es etwa in Japan Nippon Air einst zu einem Neustart verhalf. Oder die Aussetzung des Handels der MAS-Aktie an der Börse – womöglich gar eine vollständige Übernahme durch den Fonds und eine anschließende komplette Umstrukturierung. Malaysias früherer Premier Mahathir Mohamad, der als Vater der Modernisierung seines Landes gilt und Malaysia Airlines seinerzeit mit dem neuen Kuala Lumpur International Aiport (KLIA) zu einem hochmodernen Heimatflughafen verhalf, hat sogar wiederholt eine vollständige Privatisierung ins Gespräch gebracht.

Ob MAS in seiner bisherigen Form zu retten ist, scheint derzeit unklar. Das Verschwinden von MH-370 hat vor allem bei den chinesischen Kunden (die etwa neun Prozent am Gesamtpassagieraufkommen ausmachen), eine Vertrauenskrise hervorgerufen. Der vermutliche Abschuß von MH-17 wiederum droht nun ähnliche Folgen beim europäischen Publikum zu zeitigen. Das stellte bisher knapp ein Viertel der Kundschaft.

* Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014


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