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Regierung Malaysias vor dem Wechsel?

Oppositionsführer Anwar Ibrahim will mit seinem Bündnis die Abwahl erreichen

Von Alois Leinweber, Kuala Lumpur *

Am heutigen 16. September, dem eigentlichen Gründungstag Malaysias, der aber nur in den Bundesstaaten Sarawak und Sabah gefeiert wird, soll die malaysische Regierung ihre Mehrheit im Parlament verlieren.

Es würden genug Abgeordnete aus dem Regierungsbündnis die Seiten wechseln und eine Abwahl im Parlament möglich machen, sagte Oppositionsführer Anwar Ibrahim.

Selbst wenn das Desaster an diesem Dienstag für die regierende Koalition abgewendet werden kann, droht bereits zwei Tage später ein weiteres: wenn nämlich der oberste Parteirat der UMNO (United Malays National Organisation) tagt. Der von Premierminister Abdullah Badawi vorgegebene Plan der Amtsübertragung an seinen Stellvertreter Najib Tun Razak im Jahre 2010 könnte dann nämlich abgelehnt und Badawi als Parteivorsitzender abgewählt werden.

Teile der Partei sehen den Hauptschuldigen an den katastrophalen Wahlergebnissen vom 8. März in der Person des Premiers, dem Führungsschwäche und Konzeptionslosigkeit vorgeworfen werden. Der ehemalige Regierungschef Tun Dr. Mahathir Mohamad verglich den amtierenden Ministerpräsidenten mit einem Moskito, den man aus dem Moskitonetz entfernen müsse, statt das ganze Netz zu verbrennen. UMNO, die führende Partei im Regierungsbündnis Barisan Nasional (BN), ist gespalten und scheint orientierungslos.

Wer vor einem Jahr vorausgesagt hätte, dass Anwar Ibrahim nur zwölf Monate später ernsthafter Kandidat für das Amt des Regierungschefs sein würde, wäre bestenfalls mit ungläubigem Kopfschütteln bedacht worden. Die dramatischen Wahlverluste der BN vom 8. März und der Sieg des Oppositionsbündnisses Pakatan Rakyat in fünf von 13 Bundesstaaten haben das Regierungsbündnis kopflos gemacht. Anders sind die untauglichen Versuche, die Opposition zu schwächen, kaum zu erklären. Anwar Ibrahim (61) soll einen 23-jährigen Mann vergewaltigt haben und wurde auf dessen Anzeige hin angeklagt. Wegen einer ähnlichen Beschuldigung war Anwar bereits im Jahr 2000 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden. Damals war er stellvertretender Premier und designierter Nachfolger Dr. Mahathirs. Das Gerichtsurteil wurde allerdings vier Jahre später aufgehoben. Trotzdem war es Anwar bis April 2008 untersagt, ein politisches Amt zu übernehmen. Ein an die Öffentlichkeit gelangter ärztlicher Befund entlastet den Kandidaten ebenso wie die unwahrscheinliche Vorstellung, dass ein 61-Jähriger mit Rückenproblemen einen jungen Mann vergewaltigen könnte. Anwar selbst nennt das erneuten versuchten politischen Mord. Jedenfalls haben ihm die Wähler bei den Nachwahlen im August dieses Jahres eine überwältigende Mehrheit in seinem Wahlkreis verschafft und den Vorwurf der Sodomie, den die Regierungsparteien in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt hatten, nicht angenommen.

Die malaysische Regierung hat vieles versucht, um Anwar Ibrahim auf dem Weg zur Übernahme der Regierung zu bremsen. Ob die meist repressiven Maßnahmen effektiv waren, ist fraglich. Weil sie zu oft den Eindruck erweckten, dass hier eine Partei verzweifelt versucht, ihre seit der Unabhängigkeit 1957 ausgeübte Sonderstellung zu behaupten. Am Freitag letzter Woche wurden Tan Hoon, eine Journalistin der Tageszeitung »Sin Chew«, Theresa Kok, Abgeordnete der Oppositionspartei DAP (Democratic Action Party), und der Blogger Raja Petra unter Verweis auf den sogenannten Internal Security Act (ISA) festgesetzt, der Verhaftungen ohne Anklage und Gerichtsverfahren für mindestens zwei Jahre möglich macht. Frau Tan hatte über rassistische Tiraden eines UMNOFunktionärs in Penang berichtet, der sich abfällig über den chinesischen Teil der Bevölkerung geäußert hatte. Sie wurde 16 Stunden später wieder freigelassen. Die Verhaftungen haben erstmals dazu geführt, dass selbst Minister der BN sich öffentlich gegen diese Maßnahmen aussprechen. Defacto- Justizminister Zaid Ibrahim reichte aus Protest seinen Rücktritt ein. Mittlerweile haben weitere fünf Minister die Anwendung des ISA in Frage gestellt oder verurteilt.

Kritische Stimmen halten Anwar Ibrahim vor, er gehe zu schnell auf das Ziel einer Regierungsübernahme los. Das Bündnis besteht aus drei sehr unterschiedlichen Parteien. Die Spannweite zwischen PAS, einer fundamentalistischen islamischen Partei, auf der einen Seite und der DAP, einer liberalen nach links tendierenden Partei, auf der anderen Seite sowie der PKR (Parti Keadilan Rakyat) in der Mitte erfordert Geduld und Geschick, wenn eine gemeinsame Plattform gefunden werden soll. Schließlich will die PAS einen theokratischen Staat aufbauen, ein Projekt, das mit der DAP kaum zu realisieren ist. Der eloquente, charismatische Anwar Ibrahim scheint derzeit als Einziger in der Lage zu sein, das Bündnis zusammenzuhalten.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2008


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