Piraten in der Straße von Malakka
Eine der gefährlichsten Seerouten der Welt. Malaysia und Indonesien wollen keine US-Elitetruppen in ihren Hoheitsgewässern
Seeräuberei hatte - außer in Filmen - noch nie etwas mit Romantik zu tun, sondern war immer ein harter und grausamer Job, in dem auf Menschenleben selten Rücksicht genommen wurde. Die Piraten wirtschafteten auch nicht immer in die eigene Tasche, sondern standen häufig im Dienst großer Mächte. Die Seeräuberei ist mit der Segelschiffahrt nicht untergegangen, sondern hat immer weiter gelebt. Heute erlebt sie eine Aufsehen erregende Renaissance.
Den folgenden informativen Beitrag haben sir der Wochenendbeilage der Tageszeitung "junge Welt" entnommen.
Von Alois Karl Leinweber, Kuala Lumpur
Seeräuberei ist Teil der Seefahrt. Als der britische Kolonialist Sir William Raffles in Malaysia mit seinem Schiff 1819 an der Mündung des Singapore River landete, fand er im Dorf 150 Malayen, die vom Fischfang und von der Piraterie lebten. Für die von Überfällen betroffenen Seeleute bedeutet auch heute noch jede Piratenattacke einen Angriff auf Leib und Leben. So kamen 2003 bei weltweit 445 gemeldeten Piratenüberfällen 21 Seeleute ums Leben, 350 wurden als Geiseln genommen und 70 blieben vermißt. Und in diesem Jahr gab es allein während der letzten drei Märztage nur in der Straße von Malakka vier Versuche von mit AK-47 bewaffneten Männern, Tanker zu entern.
Danach folgten Wochen erregter Diskussionen über zunehmende und immer brutaler werdende Piratenüberfälle auf Handelsschiffe. Sie zeigten schließlich Wirkung: Malaysia hat jetzt eine aus 60 Mann bestehende polizeiliche Spezialeinheit, die »Marine Police Tactical Unit«, aufgestellt. Diese soll Seefahrer und Schiffe schützen – eine Aufgabe, die »eine zunehmende Herausforderung für die Polizeikräfte geworden« sei, so ihr Kommandeur Abdul Rahman Ahmad vor anderthalb Wochen. Und Ende August dann erzählte Singapurs stellvertretender Premierminister Tony Tan gar, daß der Stadtstaat und Malaysia in gemeinsamen Gesprächen Vorbereitungen träfen, »sea marshalls« während der Fahrt durch die Straße von Malakka auf den Schiffen einzusetzen. Auch lobte er in höchsten Tönen die Effektivität der seit dem 20. Juli durchgeführten »Melaka Straits-Singapore Coordinated Patrols« (MSSCP) der drei Anrainerstaaten Indonesien, Singapur und Malaysia, eine überfällige, nach Ansicht des Piracu Reporting Centres (PRC) in Kuala Lumpur aber nur halbherzige Maßnahme. »So etwas Ähnliches hatten wir bereits in 2002, aber es hat nicht die gewünschten Resultate gebracht«, meinte Noel Choong vom PRC. Die »gemeinsamen« Patrouillen enden an den Grenzen der jeweiligen Hoheitsgewässer, was es den Piraten erleichtere zu entkommen.
2004 hatte für die Seeleute, die die Straße von Malakka befahren, übel angefangen. Mit Bezug auf die Morde an vier Seeleuten des Tankers »Cherry 201« am 9. Januar dieses Jahres, der in der Straße von Malakka überfallen worden war, sprach der Commercial Crime Service (CCS) der International Chamber of Commerce (ICC) von einem »brutalen Start« für die Schiffahrt ins Jahr. Die gut bewaffneten Piraten hatten das Schiff geentert und die 13 Seeleute als Geiseln genommen. Der Kapitän wurde später wieder freigelassen, da er die Lösegeldforderung überbringen sollte. Nachdem sich die Verhandlungen über einen Monat lang hingezogen hatten, erschossen die Piraten vier der Seeleute. Den anderen gelang es, über Bord zu springen und zu entkommen.
Erpressung gang und gäbe
Erpressung von Lösegeld als ein Ziel der Piraten ist noch immer weit verbreitet. Besonders die Fischer vor der Küste Peraks werden häufig von Piraten heimgesucht und nach Sumatra entführt. »In der Regel«, so Polizeisprecher Goh Boon Hong in Kuala Lumpur, »bekommen sie 15 000 malayische Ringgit pro Kopf« – umgerechnet etwa 4 000 Euro.
Allerdings werden zunehmend auch große Tanker angegriffen, und wie gut organisiert und ausgerüstet die Piraten gerade dabei agieren, geht aus dem Bericht des Kapitäns des 3 298-Tonnen-Tankers Nautica Kluang vom Oktober 2002 hervor. Der Überfall ereignete sich in der Straße von Malakka auf der Höhe der Insel Iyu Kecil. Der Tanker passierte die Leuchtturminsel (1°12’N, 103°21’E) nach etwa einer Stunde Fahrt vom Hafen Singapur und war auf dem Weg von Malakka nach Labuan (Ostmalaysia). In den frühen Morgenstunden enterten mit Gewehren und Parangs – großen Messern – bewaffnete Piraten das Schiff und schlossen die Mannschaft in einer Kabine ein. Danach pumpten sie das Öl in ein bereitliegendes Schiff und verschwanden. Erst am nächsten Morgen, nachdem es der Mannschaft gelungen war, sich zu befreien, konnte der Kapitän per Mobiltelefon Alarm auslösen.
Die Wasserstraßen entlang der indonesischen Küste sind am unsichersten. Insbesondere die Straße von Malakka, eine der dichtbefahrensten Seestraßen der Welt, gehört zu den am meisten von Piraten heimgesuchten. Diese 630 Seemeilen lange Meerenge zwischen der malaysischen Halbinsel und Sumatra verbindet Asien mit den Handels- und Ölzentren des Mittleren Ostens und Europas. Sie ist an der engsten Stelle kurz vor Singapur nur anderthalb Seemeilen breit. Jährlich durchfahren 50 000 Schiffe diese Passage, doppelt soviel wie den Suez-Kanal. Rund 80 Prozent der japanischen Ölimporte und 30 Prozent der Welthandelsgüter werden durch die Straße von Malakka transportiert.
Nur zur Hälfte gemeldet
»Die Piraten werden immer verwegener, und ihre Angriffe fordern immer mehr Todesopfer, sie sind zunehmend mit High-tech-Waffen ausgerüstet, benutzen Maschinengewehre und Raketen. Die zunehmende Gewalt ist ein großes Problem«, erklärte nun das International Maritim Bureau (IMB), eine Unterabteilung der ICC, in London im Juni des Jahres. Die Statistik des IMB notierte für die ersten neun Monate 2003 einen massiven Anstieg der gemeldeten Piratenüberfälle weltweit von 26 Prozent. Insgesamt waren es 344. »Das ist die größte Zahl von Piratenattacken seit Einrichtung des Piracy Reporting Centre in Kuala Lumpur (PRC) im Jahre 1991«, so der Direktor des Zentrums, Kapitän Mukundan Pottengal.
Insgesamt wurden 20 Seeleute in den ersten neun Monaten von 2003 getötet, im Vergleichszeitraum 2002 waren es sechs. In der ersten Hälfte dieses Jahres stieg die Zahl der ermordeten Seeleute bereits auf 30. Allein in der Straße von Malakka stieg die Zahl der gemeldeten Piratenüberfälle auf 20 (2003: 15). Dabei nahmen die Angriffe auf Tanker in den ersten sechs Monaten des Jahres um 20 Prozent zu. Und dabei werden, so das PRC, weniger als 50 Prozent der tatsächlichen Piratenüberfälle gemeldet. Das liege einerseits daran, daß die Kapitäne der Handelsschiffe die ausgedehnten Verhöre und Untersuchungen meiden möchten, da sie zeitaufwendig sind und also Termine gefährden. Andererseits fürchten die Seeleute aber auch Vergeltungsschläge der Piraten.
Die drastische Zunahme der Piraterie in der dichtbefahrenen Straße von Malakka hat besonders in Singapur Ängste hervorgerufen, zumal sich auch die Dimensionen verändern. In früheren Jahren bedeutete »Piratenüberfall«, daß ein kleines Boot längsseits ging, die Piraten aufs Schiff kletterten, es nach Wertgegenständen durchsuchten und mit ihrer Beute wieder verschwanden. Nun handele es sich mehr und mehr um militärische Operationen. Diese neue Entwicklung lasse ihn befürchten, »daß Terroristen einen Tanker entführen und als schwimmende Bombe gegen unseren Hafen einsetzen«. Schiffe mit tödlicher Ladung wie Chemikalien oder Flüssiggas könnten, als Waffe eingesetzt, eine Katastrophe in der Stadt auslösen, so der Minister weiter, der mit seinem Horrorszenarium eine Invasion der besonderen Art vorbereitete: Singapur begrüßte den Vorstoß der US-Regierung, Elitetruppen in der Straße von Malakka zum Einsatz zu bringen. Ende März hatte Walter F. Doran, Admiral der US-Marine, einem Ausschuß des US-Kongresses den Plan einer Regionalen Maritimen Sicherheitsinitiative (RMSI) vorgestellt, die angeblich die »Sicherheit« in der Straße von Malakka »garantieren« soll.
Demnach sollten US-Elitetruppen in der Straße von Malakka nach Anforderung seitens der Anrainerstaaten Malaysia, Singapur und Indonesien eingesetzt werden. Im April dann präsentierte der Kommandeur der US-Marine im Pazifik, Admiral Thomas Fargo, die Einsatzmöglichkeiten von US-Marines und speziell dafür ausgebildeten Truppeneinheiten, die von Schnellbooten aus in der Straße von Malakka operieren würden. Die US-Vorschläge hatten nur einen Fehler: Sie waren zumindest mit Malaysia und Indonesien nicht abgesprochen. Und auch wenn Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das später in Reaktion auf die darauf eingetretenen politischen Turbulenzen im südostasiatischen Raum als Fehlinterpretation darstellte, hatte er selbst noch Anfang Juni in Singapur die »Hoffnung« ausgesprochen, daß US-Truppen ziemlich bald in Südostasien »im Kampf gegen den Terror« zum Einsatz kommen werden.
Jedoch hatte in Malaysia und Indonesien Singapurs Haltung zum RMSI-Vorstoß der USA für Verstimmung gesorgt. Beide Staaten lehnen den Einsatz von fremden Truppen in ihren Hoheitsgewässern strikt ab und weisen darauf hin, daß sie ihre Probleme mit eigenen Mitteln lösen können. »Wir sollten unsere Lektion aus dem Irak-Krieg gelernt haben: Schlecht vorbereitete Befreier machen Fehler, und das erschüttert die soziale und politische Stabilität«, erklärte der stellvertretende malaysische Premierminister Najib Abdul Razak, der auch Verteidigungsminister ist.
Derweil wurde versucht, die enge Zusammenarbeit der Marineeinheiten der drei Staaten zu intensivieren – was allerdings Konflikte zwischen den Nachbarländern nicht ausschließt. So sorgte im März des Jahres der Fall eines unter malaysischer Flagge fahrenden 5 106-Tonnen-Cargo-Schiffes für Aufsehen, das nach eigenen Angaben auf dem Weg nach China von einem Schiff der indonesischen Marine, KalYoutefa (Kal-i-502), in der Nähe von Jayapura (Irian Jaya) gestoppt wurde. Der Kapitän gab später zu Protokoll, das Marineboot habe auf sein Schiff geschossen und ihn aufgefordert zu stoppen. Der Kapitän und der dritte Offizier wurden danach auf das Marineboot beordert, um die Schiffspapiere überprüfen zu lassen. Dabei seien die beiden geschlagen worden und einer der Marineoffiziere habe ein Lösegeld von 5 000 US-Dollar gefordert. Der Kapitän handelte die geforderte Summe auf die Hälfte herunter. Erst nach Übergabe des Geldes wurde auch der Dritte Offizier freigelassen. Das Piracy Reporting Centre in Kuala Lumpur (PRC) antwortete auf die Frage, ob es sich hier um ein Marineboot mit Marinesoldaten gehandelt habe oder um ein von Piraten besetztes Boot: »Alles ist denkbar.« Die indonesische Regierung habe auf die Anfrage des PRC reagiert, sagt Noel Choong. »Beide Seiten vertreten ihren Standpunkt. Das ist ein sehr sensibler Fall und letztlich nicht geklärt.«
Alarmsysteme zum Schutz
Bereits Alexander der Große versuchte um 330 vor unserer Zeitrechnung, Piraterie auszurotten, doch Kapern gefährdet die Handelsschiffahrt bis heute, zum Schrecken der Seeleute. Wie das Unwesen eingedämmt werden könnte, wurde zuletzt im Juni auf dem 35. Weltkongress des ICC in Marakesch ausführlich diskutiert. »Es gibt in letzter Zeit viele Beispiele, daß Länder, die die Bekämpfung der Piraterie zum Schwerpunkt erklärten und den Einsatz entsprechender Mittel darauf konzentrierten, die Zahl der Angriffe signifikant reduzieren konnten«, erklärte Mukundan Pottengal. Malaysia zähle zu diesen Ländern. Auch gebe es längst ausgeklügelte Sicherheitssysteme, mit deren Hilfe das Piratenunwesen zumindest deutlich eingedämmt werden könnte.
Eine Maßnahme ist seit dem 1. Juli des Jahres für alle Handelsschiffe über 500 Tonnen verpflichtend: die Einrichtung eines Alarmsystems und eines Tracking systems, mit dessen Hilfe über Satellit die Position des Schiffes bestimmt werden kann. Der Sender wird an einer Stelle am Schiff angebracht, die nicht einmal der Mannschaft bekannt sein soll. Nach Ansicht des PRC-Sprechers Noel Choong ist es neben allen anderen Maßnahmen unbedingt erforderlich, daß die Schiffe auch nachts gut beleuchtet und bewacht werden. Bereits dadurch könne verhindert werden, daß Piraten sich dem Schiff überhaupt nähern können.
Derweil verwies die Gewerkschaft IG Metall bereits im Jahr 2000 auf eine besondere Maßnahme zur Sicherheit der Seeleute, als sie forderte, »Piratenkäfige« auf Schiffen einzubauen. Dabei werden die Eingänge zum Deckshaus mit Fallgittern ausgestattet, die per Knopfdruck von der Brücke aus betätigt werden können. Die Mannschaft kann sich damit in den Aufbauten einschließen.
Aus: junge Welt, 4. September 2004
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