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"Vielleicht ist das ein Signal für noch massivere Attacken"

In Malaysia werden Kirchen von moslemischen Fanatikern angegriffen. Sie wollen Monopol auf den Begriff "Allah". Gespräch mit Hermen Shastri

Reverend Hermen Shastri ist Generalsekretär des Nationalen Kirchenrates von Malaysia



Das Urteil des Obersten Gerichtshofs Malaysias, daß die malaiisch-sprachige Ausgabe der christlichen Monatszeitschrift Herald weiterhin das Wort »Allah« für »Gott« benutzen darf, hat heftige Proteste muslimischer Gruppen zur Folge gehabt. Seit dem Freitag (8. Jan.) wurden mehrfach Anschläge auf Kirchen verschiedener christlicher Konfessionen verübt ...

Ich habe soeben eine SMS erhalten, daß es in Seremban, 50 km von der Hauptstadt Kuala Lumpur entfernt, einen weiteren Anschlag gegeben hat, und zwar auf eine Kirche der »Sidang Injil Borneo Gemeinde«. Die Täter haben die Eingangstür zerstört - damit sind jetzt bereits acht Kirchen betroffen.

Diese Aktionen wurden meines Wissens von einer kleinen Gruppe geplant und durchgezogen. Wir verstehen sie als Signal dafür, daß vielleicht noch massivere Attacken folgen - es sei denn, daß das Gerichtsurteil revidiert wird oder die christlichen Gemeinden freiwillig auf die weitere Verwendung des Wortes »Allah« verzichten.

Diese Fanatiker vertreten die Position, daß dem Islam und den Malaien im Lande eine besondere, bevorzugte Position zusteht - per Verfassung sind zudem alle Staatsbürger automatisch Muslime. Die Berichte im Internet treffen wahrscheinlich zu, daß hier extreme Randgruppen der Regierungspartei »United Malays National Organisation« (UMNO) am Werk sind.

Wir haben den Eindruck, daß es in dieser UMNO zwei Linien gibt: Die Moderaten, zu denen Premierminister Najib Tun Razak gezählt wird, und die Konservativen. Die massiven Verluste bei den letzten Parlamentswahlen haben sicher auch dazu beigetragen, daß es der UMNO jetzt immer mehr um die Vorrechte der Malaien und die Sonderstellung ihrer Religion geht - sie kämpfen um ihre Wählerschaft.

Diese extreme Gruppe, die hinter den Anschlägen steckt, besteht darauf, daß nur Muslime das Wort »Allah« benutzen dürfen. Dabei wird es seit vielen Generationen - vor allem in den Bundesstaaten Sarawak und Sabah auf Borneo - auch von Christen benutzt. Warum ist das heute ein Problem?

Im Mittleren Osten benutzen die Christen ebenfalls »Allah« - Probleme gibt es dort nicht damit. In Malaysia hingegen läßt sich die aktuelle Auseinandersetzung auf ein Gesetz aus dem Jahr 1982 zurückführen, das Regeln für die Koranauslegung und das Praktizieren des Islam vorgibt. Darin wurde z. B. Christen verboten, in ihren Publikationen 28 verschiedene Wörter zu benutzen. Das wurde später auf vier Begriffe reduziert, die eng mit der islamischen Religion verbunden sind. Dazu gehört auch das Wort »Allah«.

Wir erleben immer wieder, daß Bibeln und andere Bücher mit Hinweis auf dieses Gesetz vom Zoll einbehalten werden. Was wir heute sehen, ist das Ergebnis einer Islamisierungspolitik, die während der Regierung Mahathirs in Gang gesetzt worden ist.

Innenminister Hussein hatte dem Herald die Verwendung des Wortes »Allah« untersagt und dadurch die Lawine losgetreten. So ist es zu diesem Gerichtsurteil gekommen, das uns aber Recht gibt. Wir müssen abwarten, wie die Berufungsinstanz entscheidet.

Einige muslimische Gruppen haben dazu aufgerufen, die Kirchen zu schützen.

Das sind zum Teil dieselben Gruppen, die vorher laut geschrien haben. Sie spielten diese Angelegenheit zu einer Frage der nationalen Sicherheit hoch und waren dann überrascht, daß sie gewalttätigen Aktionen Vorschub geleistet haben. Diese Gruppen beeindrucken uns nicht weiter.

Aber es gibt auch andere Reaktionen. Aus einer Kirchengemeinde in Damansara, einem Stadtteil Kuala Lumpurs, wurde mir berichtet, daß vor dem Gottesdienst drei Vertreter der benachbarten Moschee kamen und sich sich von den Anschlägen und Protesten distanzieren. Es gibt viele Beispiele solcher Spontanaktionen, nur werden die in der Presse nicht erwähnt. Die große Mehrheit der Muslime im Lande lehnt diese Gewaltaktionen ab, aber sie kommt nicht zu Wort.

Wie geht es weiter?

Das Beste wäre eine außergerichtliche Lösung, ein von beiden Seiten getragener Kompromiß. Wir sind zu Gesprächen bereit. Ich fürchte, daß sonst die ohnehin gespannte Beziehung zwischen den ethnischen Gruppen sich weiter verschlechtert.

Interview: Karl Leinweber, Petaling Jaya (Malaysia)

* Aus: junge Welt, 12. Januar 2010


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