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Anklage wegen Homosexualität

Malaysias Oppositionsführer Anwar Ibrahim erneut vor Gericht

Von Thomas Berger *

Anwar Ibrahim ist für viele Malaysier seit 13 Jahren der Hoffnungsträger, der dem Land einen echten Neubeginn ermöglichen könnte. Niemand kann so viele Anhänger mobilisieren und Menschen begeistern wie er. 2008 war Ibrahim als Spitzenmann der Oppositionsallianz bei den Wahlen eine kleine Sensation gelungen. Erstmals schaffte es das Dreierbündnis seiner eigenen Partei Keadilan Rakyat (PKR), der ebenfalls liberal-säkularen Demokratischen Aktionspartei (DAP) und der religiösen Islamischen Partei (PAS), die bisherige Zweidrittelmehrheit der Regierungskoalition Nationale Front (BN) im Parlament zu knacken.

Spätestens in einem Jahr stehen die nächsten Wahlen an, und die Regierenden fürchten angesichts sich stetig verstärkenden Unmuts in der Bevölkerung um ihre Herrschaft. Doch nun steht Anwar vor Gericht. Der neuerliche Prozeß gegen ihn sei »eine Farce«, bei der es nur darum gehe, ihn politisch auszuschalten, tobt der Oppositionsführer.

Die Anklage ist tatsächlich dazu angetan: Nicht zum ersten Mal werden Anwar homosexuelle Aktivitäten zur Last gelegt, im traditionsverhafteten, orthodoxen Moralvorstellungen des Islam folgenden Malaysia eine Straftat. Der Oppositionschef soll Geschlechtsverkehr mit einem früheren Mitarbeiter gehabt haben, der als Belastungszeuge Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens ist. Ob es sich um einvernehmliche Handlungen oder sexuelle Nötigung gehandelt hat, spielt dabei bestenfalls noch am Rande eine Rolle.

Es geht nicht einfach nur um die Aussicht, womöglich erneut jahrelang ins Gefängnis zu wandern. Anwar kämpft vor Gericht auch um seinen Ruf. Schon ein Freispruch »zweiter Klasse« aus Mangel an Beweisen wäre für ihn eine Katastrophe. Jeder Restzweifel, daß er womöglich doch »abnormale sexuelle Neigungen« habe, wie seit 13 Jahren immer wieder unterstellt wird, würde für ihn das politische Aus bedeuten. Der Imageschaden wäre bei der konservativen Stammwählerschaft der PAS am gravierendsten, und selbst in der PKR wäre er an der Spitze nicht zu halten.

Anwar aber gibt sich zuversichtlich, das »Komplott« hinter der Anklage zu entlarven. Schon einmal ist ihm das im Nachgang gelungen: Nur wenige Malaysier glauben heute noch, daß im ersten Verfahren gegen ihn alles mit rechten Dingen zuging. 1998/99 handelte es sich um einen Rachfeldzug seines einstigen politischen Mentors Mahathir Mohamed. Dabei schien es damals ausgemacht, daß der Finanzminister und Vizepremier den langjährigen Regierungschef im Amt beerben würde. Vom »Kronprinzen« zum Häftling – dieser jähe Fall nach dem Zerwürfnis beider Männer war für den einstigen Sunnyboy Anwar ein schwerer Schlag. Von der sechsjährigen Haftstrafe wegen angeblicher Korruption saß er die meiste Zeit ab, wurde aber 2004 vorfristig entlassen, was ihm zusätzliche neun Jahre Haft wegen einer angeblichen sexuellen Beziehung zu seinem Chauffeur ersparte.

Weder die Schmach noch die Mißhandlungen im Knast haben ihn brechen können. Eben weil das Regierungsbündnis unter Najib Razak weiß, wie gefährlich er ihnen werden kann, setzt es auf eine schnelle Verurteilung. Für die Opposition steht ebenfalls viel auf dem Spiel. Denn schon Anwar selbst fällt es nicht immer leicht, das heterogene Bündnis zusammenzuhalten, das außer der Ablösung der jahrzehntelangen Herrschaft der Nationalen Front unter Führung der Malaisischen Nationalorganisation kaum eine gemeinsame Basis hat. Und weitere Spitzenpersönlichkeiten, die auch nur annähernd seine landesweite Bekanntheit und enorme Anziehungskraft haben, kann die Dreierallianz nicht vorweisen.

* Aus: junge Welt, 25. August 2011


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