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Malaysia wird 50

Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen nach wie vor kompliziert

Von Alois Leinweber, Kuala Lumpur *

Malaysia feiert heute (31. August) den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 1957 hatte der erste Premier des Landes, Tunku Abdul Rahman, auf dem heutigen Dataran Merdaka, dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kuala Lumpurs, den neuen Staat ins Leben gerufen.

Von Anfang an musste sich der neue Staat mit dem Problem auseinandersetzen, die drei großen Bevölkerungsgruppen, Malaien, Chinesen und Inder, unter einem gemeinsamen Dach zu integrieren. Chinesen und Inder, von der Kolonialmacht als billige Arbeitskräfte ins Land geholt, machen über 40 Prozent der Bevölkerung aus. Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen entluden sich im Jahr 1969 in blutigen Unruhen.

Die in der Folge formulierte Neue Ökonomische Politik stellte sich zur Aufgabe, die schärfsten Formen der Armut zu beseitigen jund ein ökonomisches Gleichgewicht zwischen den Bevölkerungsgruppen herzustellen. Diese noch heute verfolgte Politik macht es leicht, eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, und hat sich nach Meinung ihrer Kritiker in ein Instrument verwandelt, mit dessen Hilfe eine kleine Schicht von Malaien sich Reichtum und Verfügungsgewalt über die Produktion angeeignet hat. Diese Politik führt einerseitszu einem Auseinanderwachsen der Bevölkerungsgruppen, andererseits trägt sie aber dazu bei, dass die Menschen friedlich nebeneinander leben.

Ein weiteres Problem ist die zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung hinsichtlich der Rolle des Islam. Alle Malaien sind per Verfassung Muslime. Die Frage, ob Malaysia ein säkularer oder ein muslimischer Staat sei, beschäftigt ganz aktuell die öffenliche Diskussion, zudem der Vize-Premier Datuk Seri Najib Razak unlängst geäußert hattej, Malaysia sei ein islamischer Staat.

Viele begrüßen das Konzept des Premiers Datuk Seri Abdullah Ahmad Badawis von einem Islam Hadhari, einem modernen Islam mit liberalen Zügen, weil dies einen Gegenpol zu einer von konservativer Seite propagierten restriktiven Religionsauslegung und dem zunehmenden Einfluss muslimischer Institutionen bildet.

Die zuerst portugiesische, dann holländische und zuletzt britische Kolonie hat sich zu einem wirtschaftlich führenden Staat in Südostasien entwickelt. Dabei stützt sich das Land auf die reichen Rohstoffvorkommen, vor allem Zinn. Malaysia ist der führende Palmölproduzent und stellt 14 Prozent der Weltkautschukproduktion. Entscheidende Triebkraft der Wirtschaft sind allerdings die Ölund Erdgarsvorkommen im chinesischen Meer und auf Borneo. Die Ölreserven werden auf drei Billionen Barrel und die Gasvorkommen auf zwei Trillionen Kubikmeter geschätzt. Mit den hier erwirtschafteten Gewinnen wurde zum Beispiel zu einem großen Teil der Bau des neuen Verwaltungszentrums Putrajaya südlich von Kuala Lumpur finanziert. Malaysia ist nicht länger nur Rohstofflieferant. Das aufsteigende Industrieland hat sich zu einer der wichtigsten Handelsnationen im IT-Bereich entwickelt und ist weltweit führender Mikrochipexporteur. Der Multimedia Super Corridor (MSC), ein Gebiet im Süden Kuala Lumpurs, hat mit seiner entwickelten Infrastruktur und entsprechenden Vergünstigungen mehr als 900 Firmen aus dem ITC-Bereich angezogen.

Die Gewerkschaftsbewegung kann nur schwer die Herausforderungen einer schnellen Industrialisierung annehmen. Es ist ihr bis heute nicht gelungen, das britische Erbe einer restriktiven Politik zu überwinden. Mit Beginn des Kolonialkriegs im Jahre 1948 wurden gewerkschaftliche Organisationen zerschlagen und Gesetze verabschiedet, die eine wirkungsvolle Interessenvertretung nahezu unmöglich machen. Der ebenfalls von den Briten eingeführte Internal Security Act ist ein Instrument, das kaum verändert noch heute in Kraft ist und zur Unterdrückung jeglicher Opposition angewendet werden kann: Es gibt der Polizei und dem Innenminister die Möglichkeit, Personen ohne Gerichtsbeschluss für Jahre einzusperren.

Wohin die weitere Reise geht, muss abgewartet werden: Bleibt Malaysia ein säkularer Staat, bleibt das fragile Gebilde des multiethnischen, multikulturellen Staates tragfähig? Wird sich Malaysia auch in der Gesetzgebung des alten kolonialen Erbes entledigen und zu mehr Demokratie finden

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2007


Kein Jubelgrund

Malaysia: Paket neoliberaler Reformen zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit

Von Baradan Kuppusamy, Kuala Lumpur **

Malaysia feiert am Freitag den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Für die zwölf Millionen Beschäftigten des südost­asiatischen Landes aber wird dieser Tag wohl kein Tag der Freude. Sie sehen sich mit Änderungsvorschlägen zum Arbeitsrecht konfrontiert, die sie der Willkür der Unternehmer ungeschützt ausliefern könnten.

Unbeliebt gemacht hat sich die Regierung von Ministerpräsident Abdullah Badawi bereits mit Plänen zur Privatisierung des Wasser- und Gesundheitssystems und der Streichung der Subventionen für Treibstoff und Nahrungsmittel – Maßnahmen, die zum Teil im Zusammenhang mit dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA stehen.

Im Juli hat Kuala Lumpur zu einem weiteren Schlag im neoliberalen Geiste ausgeholt: zu einer Reform des Arbeitsrechts, die nach Auffassung von Kritikern gegen die Verfassung, die UN-Charta und die malaysische Menschenrechtsgesetzgebung von 1999 verstößt. Schon die Tatsache, daß die Änderungsvorschläge ohne Diskus­sionsbeteiligung der Gewerkschaften formuliert wurden, bringt Arbeitsrechtler auf die Palme.

Sie organisieren derzeit Proteste und haben zusammen mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen die sogenannte JERIT-Koalition auf die Beine gestellt, die eine Unterschriftenkampagne und eine Online-Petition gestartet hat, um zusammen mit der politischen Opposition eine möglichst große gegnerische Kraft zu bilden. »Arbeiter haben wirklich keinen Grund, die 50jährige Unabhängigkeit zu feiern«, sagte die Aktivistin Sivaranjini Manickam in einem Gespräch mit IPS. »Sie verlieren beständig an Rechten.«

Geändert werden sollen etliche Klauseln im »Industrial Relations Act« und im »Trade Union Act«, zwei Gesetze aus den Jahren 1967 und 1959. Sie haben Arbeiter bisher vor unbegründeter Entlassung geschützt und Rechte wie das auf gewerkschaftliche Organisation gesichert.

Nach Einschätzung von Experten werden die Änderungsvorschläge, wenn sie umgesetzt werden, größte Schwierigkeiten bei der Bildung von nennenswerten Gewerkschaften nach sich ziehen. In eben diesem Sinne solle die Reform die Gründung von Betriebsgewerkschaften erleichtern und die Arbeitnehmervertretungen auf die Rolle kleiner Clubs ohne nationale Bedeutung reduzieren.

Ferner wird es im Falle einer Annahme der Reformpläne für die Arbeiter schwieriger, gerichtlich gegen eine ungerechtfertigte Entlassung vorzugehen. Vorgesehen ist eine extreme Verkürzung des Zeitraumes, in dem Beschwerde eingelegt werden kann. Hinzu kommen soll u.a. die Bindung der Entlohnung an die Produktivität und eine jährliche Prüfung der Leistung eines Beschäftigten.

»Treten die Änderungen in Kraft, dann mit enormen Verlusten für die Arbeiter und die Gewerkschaften«, kritisierte Arumugam Sivananthan vom malaysischen Gewerkschaftskongreß MTUC. Der Generalsekretär dieser Gewerkschaft, G. Rajasegaran, bezeichnete die geplanten neoliberalen Reformen als »regressiv, repressiv und einen Blanko-Scheck für Arbeitgeber, die Mitarbeiter nach Gutdünken loswerden wollen«.

** Aus: junge Welt, 30. August 2007


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