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Protest gegen Regierung

Mazedonien: Tausende fordern Aufklärung über Mord an 21jährigem

Von Roland Zschächner *

Die mazedonische Regierung von Ministerpräsident Nikola Gruevski gerät zunehmend unter Druck. Am zweiten Abend in Folge gingen am Mittwoch Tausende Mazedonier in Skopje gegen das rechtskonservative Kabinett auf die Straße. Sie forderten den Rücktritt des Premiers und der Innenministerin Gordana Jankuloska. Außerdem verlangten die Demonstranten Aufklärung über den Mord an dem 21jährigen Martin Neskoski, der 2011 von einem Polizisten zu Tode geprügelt worden war.

Auslöser waren die jüngsten Enthüllungen der sozialdemokratischen Opposition. Deren Anführer Zoran Zaev veröffentlichte seit Februar abgehörte Telefonate von Regierungsmitgliedern. In den Aufnahmen wird ein ungeschminktes Bild der politischen und ökonomischen Situation des Landes gezeichnet (jW berichtete).

Die am Dienstag publik gewordenen Mitschnitte dokumentieren Gespräche von Gruevski, Jankuloska und anderen hochrangigen Politikern und Geheimdienstmitarbeitern über den Mord an Neskoski. Dieser war am 6. Juni 2011, dem Tag des Wahlsiegs von Gruevskis Partei VMRO-DPMNE, von einem Polizisten zu Tode geprügelt worden. Die Hintergründe sind weiterhin unklar.

In den Telefonaten wird nun deutlich, dass die Offiziellen mit allen Mitteln versuchten, den Mord an dem jungen Mann zu vertuschen. So wurden die Untersuchungsbehörden zuerst angewiesen, das Verbrechen zu verschweigen. Als dies nicht mehr möglich war, wurde ein unzurechnungsfähiger Polizist als Einzeltäter präsentiert, um so von den Verantwortlichen im Sicherheitsapparat abzulenken.

Nach der Veröffentlichung der Aufnahmen rief der Bruder des Mordopfers, Aleksandar Neskoski, über das Internet zu Protesten am Dienstag abend auf. Zehntausende Menschen zogen daraufhin vor den Regierungssitz in der Hauptstadt. Als Spezialeinheiten der Polizei versuchten, die Menschen zu vertreiben, kam es zu Rangeleien. Fensterscheiben wurden eingeworfen und Mülleimer angezündet. Laut offiziellen Angaben wurden über 30 Polizisten verletzt und mehrere Dutzend Protestierende festgenommen.

Innenministerin Jankuloska lehnte weiterhin einen Rücktritt ab. Die Aufnahmen seien verfälscht und dienten nur dazu, das Land zu destabilisieren, erklärte sie laut Nachrichtenagentur MIA am Dienstag.

Die Regierungskoalition von Gruevski bröckelt. Am Mittwoch trat die kleine Partei der Erneuerung Mazedoniens aus dem Bündnis aus. Es sei an der Zeit, eine politische Lösung der Krise zu finden, erklärte Parteivorsitzende Liljana Popovska.

Die Demonstranten kündigten unterdessen an, solange auf die Straße zu gehen, bis die Regierung zurückgetreten ist. Zaev rief zu einer Massenkundgebung am 17. Mai in Skopje auf.

Vor allem junge Menschen haben sich in den vergangenen Tagen an den Protesten beteiligt. Rund 50 Prozent der unter 30jährigen sind arbeitslos. In den vergangenen Monaten gingen immer wieder Schüler und Studenten wegen der Regierungspolitik und der schlechten wirtschaftlichen Lage auf die Straße. Linke Gruppen kritisieren zudem, dass Milliarden Euro für Großprojekte ausgegeben würden, während viele Mazedonier in Armut leben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 8. Mai 2015


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