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Angst vor Terror in Mazedonien

UÇK bekennt sich zu Angriffen in Kumanovo am Wochenende

Von Roland Zschächner *

Ein Strafgericht in Skopje hat gegen 30 Männer, die an den Gefechten am Wochenende in der Stadt Kumanovo beteiligt gewesen sein sollen, Untersuchungshaft verhängt. Ihnen werden laut einer Meldung der Nachrichtenagentur MIA am Montag »Terrorismus« sowie der Angriff auf die verfassungsmäßige Sicherheit und Ordnung Mazedoniens vorgeworfen. Unter den Festgenommenen sind unter anderem 18 Kosovoalbaner, neun mazedonische sowie ein albanischer Staatsbürger, der in Deutschland gemeldet ist. Unterdessen kehrten die evakuierten Bewohner in ihre Häuser zurück.

Am Samstag morgen griffen rund 50 schwerbewaffnete Männer eine Polizeistation in der 40 Kilometer nordöstlich von Skopje gelegenen Stadt an. Bei den mehr als 28 Stunden andauernden Gefechten starben acht Beamte einer Spezialeinheit. 14 Aufständische wurden laut offiziellen Angaben »neutralisiert«. Die Hintergründe der Attacke blieben bislang unklar.

Ministerpräsident Nikola Gruevski erklärte am Sonntag, ohne nähere Angaben zu machen, bei den Angreifern habe es sich um Mitglieder der »gefährlichsten Terrorgruppe des Balkans« gehandelt. Laut Gazeta Express bekannte sich die sogenannte Kosovo-Befreiungsarmee UÇK zu der Attacke. 2001 hatten die Separatisten mit Anschlägen das Land destabilisiert. Auf westlichen Druck hin wurde eine Waffenstillstand geschlossen. Der politische Arm der UÇK, die Demokratische Union für Integration, ist mittlerweile Teil der Regierung.

Die mazedonische Polizei stellte am Sonntag abend zwei Videos ins Internet, in denen die Verhafteten präsentiert werden. Die Männer tragen Uniformen mit den Symbolen der vom Westen 1999 im Krieg gegen Jugoslawien hofierten UÇK. Nun wächst die Angst vor neuen ethnischen Spannungen.

Die Angreifer sollen von fünf ehemaligen Mitgliedern der Untergrundarmee geführt worden sein – darunter Mirsad Ndrecaj, der als »Kommandeur NATO« bekannt ist. Ndrecaj diente laut regionalen Medien nach 1999 als Bodyguard für den ehemaligen kosovarischen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj. Auch die anderen Verdächtigen hätten enge Verbindungen zu hochrangigen Politikern der abtrünnigen serbischen Region.

Am Sonntag abend tagte in Skopje der nationale Sicherheitsrat. Anschließend forderte der mazedonische Präsident, Gjorge Ivanov, laut der Zeitung Republika mehr Unterstützung der NATO und der Europäischen Union für sein Land.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Mai 2015


Mazedonien bleibt labil

Präsident beklagt Blockade des EU- und NATO-Beitritts als Ursache von Unruhen

Von Thomas Roser, Belgrad **


Mazedonien präsentiert sich wie bei dem jüngsten Gewaltausbruch labil. Die EU scheint keine Strategie für den Umgang mit dem Problemkind zu haben - und lässt die Machthaber gewähren.

Die zweitägigen Kämpfe in der mazedonischen Stadt Kumanovo forderten am Wochenende 22 Todesopfer. Die Panzerfahrzeuge sind wieder abgezogen. Wie Präsident Djordje Ivanov in der Hauptstadt Skopje mitteilen ließ, sei die zehnjährige Blockade eines EU- und NATO-Beitritts seines Landes eine der Ursachen des Gewaltausbruchs. Doch wer oder was wirklich hinter dem rätselhaften Gewaltausbruch stand, ist noch immer unklar.

Wollten sich UCK-Veteranen aus Kosovo das Machtvakuum in dem durch einen Abhörskandal gelähmten Vielvölkerstaat zunutze machen, wie bereits von der Regierung suggeriert? Oder handelt es sich um ein von den Geheimdiensten mit Hilfe krimineller Söldner orchestriertes, aber aus dem Ruder gelaufenes Ablenkungsmanöver der tief im Skandalsumpf versinkenden Regierung, wie von der Opposition und einem früheren General behauptet? Nichts scheint in dem labilen Balkanstaat unmöglich.

Sicher ist, dass der Wirbel um die Kämpfe in Kumanovo der in Bedrängnis geratenen Regierung eine Atempause verschafft und der gegängelten Opposition vorläufig ihre Dynamik genommen haben. Doch egal, wer hinter dem Blutvergießen stand. Nicht nur die EU wäre gut beraten, ihrem lange vernachlässigten Vorhof endlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Denn in Mazedonien hat die internationale Gemeinschaft kollektiv versagt.

Bereits 2005 erhielt Mazedonien den Status eines EU-Kandidaten. Doch beim NATO-Gipfel 2008 legte Griechenland wegen des Streits um den Landesnamen des Nachbarlandes sein Veto gegen die Aufnahme Mazedoniens in die Verteidigungsallianz ein. Seitdem tritt das Land auf der Stelle - und ist unter der Ägide des nationalpopulistischen Premiers Nikola Gruevski zu einer autoritär geführten Bananenrepublik verkümmert.

Ob bei Manipulationen von Wahlen, der Gängelung der Presse oder der Ausschaltung von politischen Gegnern durch düstere Geheimdienstmachenschaften: Die internationale Gemeinschaft beschränkt sich bei den Fehlentwicklungen in Europas vergessenem Hinterhof auf die Beobachterrolle eines fernen, aber eher desinteressierten Onkels. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) pflegt jedem der zahlreichen Urnengänge gegen besseres Wissen stets die gewünschte Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. Brüssel beantragt zwar alljährlich pflichtschuldig die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Doch faktisch lässt die EU den Beitrittskandidaten am ausgestreckten Arm verhungern: Selbst in Griechenlands größter Krise versäumen es die EU-Partner, auf mehr Beweglichkeit im fatalen Namensstreit zu pochen.

Zur Untätigkeit gesellt sich Unwille. Obwohl selbst die mitregierende Albaner-Partei die EU mehrmals zu einer aktiveren Vermittlerrolle aufgefordert hat, beschränkte sich EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn bei seinen bisherigen Besuchen in Skopje auf die Rolle des Grüß-Onkels, der nirgendwo anecken will. Seine unverbindliche Aufforderung zum Dialog geht mit der widersinnigen Empfehlung einher, die Vorwürfe des Machtmissbrauchs von den zuständigen Institutionen überprüfen zu lassen - wohl wissend, dass Mazedoniens Justiz vollständig unter Regierungskontrolle steht.

Brüssel grenzt sich nicht klar von den Fehlentwicklungen bei seinem Problemkind ab - und zeigt Gruevski mit der Aussetzung des Anwärterstatus gerade mal die gelbe Karte. Die EU-Partner werfen sich auch nicht für eine Aufhebung der griechischen Dauerblockade in die Bresche. Ob es die Angst vor der Zunahme des russischen Einflusses, fehlendes Interesse oder einfach Konzeptlosigkeit ist: Eine Strategie ist beim EU-Gewurstel gegenüber dem labilsten Staat auf dem keineswegs gefestigten Westbalkan nicht zu erkennen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Mai 2015


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