Regierungswechsel in Mazedonien (Makedonien)
Chance für Versöhnungsprozess? Die Zweifel überwiegen
Im Folgenden dokumentieren wir die Wahlergebnisse aus Makedonien, soweit sie bisher vorliegen und berichten über die unterschiedlichen Reaktionen, welche die Wahlen im Blätterwald hier zu Lande ausgelöst haben.
Martin Schwarz berichtet aus Wien u.a.:
Das von der Sozialdemokratischen Union (SDSM) geführte Parteienbündnis
»Gemeinsam
für Mazedonien« hat die – am Wahltag friedlich verlaufenen –
Parlamentswahlen in
Mazedonien für sich entschieden. Beobachter erwarten eine Entspannung
des Konflikts
zwischen slawischen und albanischen Mazedoniern.
Die Mazedonier haben bei den Parlamentswahlen am Sonntag die bisherige
Regierung von Premier
Ljubco Georgievski in die Opposition geschickt. Schon in der Nacht zum
Montag gestand der
amtierende Regierungschef seine Niederlage ein, er gratulierte dem
sozialdemokratischen
Parteivorsitzenden Branko Crvenkovski zu dessen Sieg.
Nach dem vorläufigen Wahlergebnis führt das
oppositionelle Wahlbündnis unter Führung der
Sozialdemokratischen Union
(SDSM) mit 44,9 Prozent. Die nationalistische Partei
von Georgievski kam nur
noch auf 27,7 Prozent der Stimmen, wie die Zentrale
Wahlkommission am Montag
in Skopje mitteilte. Die Demokratische Union für
Integration (BDI) des früheren
Rebellenführers Ali Ahmeti wird mit 5,9 Prozent
stärkste politischen Kraft der
albanischen Minderheit im neuen Abgeordnetenhaus. Die
bisher mitregierende
Demokratische Partei der Albaner (DPA) erreichte nur
noch drei Prozent der
Stimmen.
Georgievskis nationalistische Partei VMRO-DPMNE kann allenfalls noch auf
34 der 120 Mandate
des Parlaments in Skopje hoffen, dagegen darf Crvenkovskis buntes
Parteienbündnis »Gemeinsam
für Mazedonien« mit mehr als der Hälfte der Parlamentssitze rechnen. Das
Bündnis vereinigt neben
den Sozialdemokraten, die bereits von 1992 bis 1998 regierten, acht
kleinere Parteien, darunter die
Liberaldemokraten sowie Parteien der türkischen, der serbischen und der
vlachischen Volksgruppe
sowie der Roma. Ein vorläufiges Endergebnis des Urnengangs am Sonntag
sollte erst am
Montagabend bekannt gegeben werden.
Im albanischen Parteienspektrum heißt der große Sieger jedenfalls Ali
Ahmeti. Er hat seinen
Wandel vom Führer der »Befreiungsarmee« UCK im letztjährigen Bürgerkrieg
zum Parteichef
offensichtlich erfolgreich absolviert. Insgesamt wohl 13 Sitze wird
seine Demokratische Union für
Integration (BDI) im Parlament besetzen können. Die bisher abwechselnd
an der Regierung
beteiligten albanischen Gruppierungen – die Partei für Demokratische
Prosperität (PDP) und die
Demokratische Partei der Albaner (DPA) – wurden dagegen faktisch in die
Bedeutungslosigkeit
gewählt: Beide gemeinsam werden wahrscheinlich nicht mehr als sechs oder
sieben Sitze
erhalten. Dabei hatten gerade sie sich im Wahlkampf einer möglichst
nationalistischen Rhetorik
bedient, um einen Sieg des kampferprobten Ahmeti zu vereiteln.
Vergebens, wie sich nun
herausstellt. DPA-Chef Arben Xhaferi kuschelte sich wenige Stunden nach
Vorliegen der
Hochrechnungen bei Ahmeti an und bot ihm seine Zusammenarbeit an.
Obwohl das Bündnis »Gemeinsam für Mazedonien« die Mehrheit der Mandate
errungen hat, wird
es aller Voraussicht nach zu einer Regierungsbeteiligung der
Ahmeti-Partei kommen. »Aus
kosmetischen Gründen muss man eine albanische Partei beteiligen«, sagte
OSZE-Sprecher Harald
Schenker gegenüber ND. Aber nicht nur kosmetische Gründe sind es, die
eine Koalition mit
Ahmetis BDI ratsam erscheinen lassen: Seit dem im August letzten Jahres
zwischen slawischen
und albanischen Parteien geschlossenen Abkommen von Ohrid haben die
Albaner im Parlament
ein großzügiges Mitspracherecht: Alle Gesetze, die auch die albanische
Volksgruppe des Landes
betreffen, müssen unabhängig von den üblichen Mehrheitsverhältnissen von
mindestens 50 Prozent
der albanischen Volksvertreter abgesegnet werden. Also wäre es für den
künftigen Premier
Crvenkovski politisch angeraten, die starke Ahmeti-Partei an der
Regierung zu beteiligen, um einen
Hürdenlauf im Parlament zu verhindern.
Der ehemalige UCK-Chef selbst aber wird nach derzeitiger politischer
Gemengelage
höchstwahrscheinlich nicht in den Genuss eines Ministeramtes kommen:
Crvenkovski hat vor den
Wahlen zwar eine Koalition mit der BDI nicht ausgeschlossen, wohl aber
einen Karrieresprung für
deren Führer. Das »Modell Haider« wird also vielleicht bald nach
Mazedonien exportiert: Der
Parteichef eines Koalitionspartners wird vorerst Parteichef bleiben, die
Ministerämter aber bekleiden
andere. Aus polit-hygienischen Gründen: Ahmeti ist unter der slawischen
Bevölkerungsmehrheit
geächtet. Immerhin steht er im Verdacht, in seiner Zeit als Guerillachef
auch
Menschenrechtsverletzungen gröbsten Ausmaßes begangen zu haben. Die UCK
selbst dürfte
damit vorerst zufrieden sein: »Die wollten einen Erfolg für Ahmeti,
damit der endlich ins politische
Establishment aufsteigen kann. Das haben sie erreicht«, sagte ein
Wahlbeobachter.
Jetzt ist es Aufgabe des künftigen Premiers Crvenkovski, die
Ahmeti-Partei zu domestizieren.
Leicht wird das nicht. »Bis auf drei oder vier in der Führung sind die
Ahmeti-Parteigänger politisch
völlig unerfahren. Die müssen erst zu Politikern werden«, glaubt
OSZE-Sprecher Schenker. Die
Gefahr eines weiteren Auseinanderdriftens der beiden Volksgruppen aber
wäre vorerst gebannt:
Schließlich hat es die UCK geschafft, den Schützengraben gegen die
Regierungsbank zu
tauschen.
(Neues Deutschland, 17.09.2002)
Gemma Pörzgen kommentierte die Wahlen für die Frankfurter Rundschau u.a.:
... Die
nationalistische Regierung unter Ljubco Georgievski
wurde in aller Deutlichkeit
abgestraft. Slawische und albanische Mazedonier
entzogen der bisherigen
Führung, an der auch die Demokratische Partei der
Albaner beteiligt war,
gleichermaßen ihr Vertrauen. Sie setzen auf einen
Neuanfang für ihr Land, das
noch vor einem Jahr am Rande des Bürgerkriegs stand.
Der friedliche Wahlverlauf belohnt das internationale
Engagement des vergangenen
Jahres. Er zeigt, dass der frühzeitige Ausweg aus der
Spirale der Gewalt möglich
ist und das im August 2001 vermittelte
Friedensabkommen von Ohrid den richtigen
Weg weist. Europäische Union, Nato und OSZE haben in
Mazedonien eine gute
Zusammenarbeit entwickelt, die aus den in Bosnien und
Kosovo gemachten
Fehlern ihre Lehren zieht.
Nun muss sich die mazedonische Politik bewähren. Mit
dem Eingeständnis seiner
Wahlniederlage hat Georgievski einen ermutigenden
Schritt getan und die Macht
wie ein echter Demokrat abgegeben. Nun liegt es am
Wahlsieger Branko
Crvenkovski, die Erwartungen nicht zu enttäuschen. Es
wird nicht einfach, ein
Regierungsbündnis zu schmieden, das die stärkste
albanische Partei des früheren
Rebellenchefs Ali Ahmeti einbindet, ohne den Rückhalt
slawischer Mazedonier
gleich zu verspielen. ...
(Frankfurter Rundschau, 17.09.2002)
Die Süddeutsche Zeitung brachte ein Profil des Wahlsiegers von Bernhard Küppers. Auszüge:
Mit einem triumphalen Wahlsieg kehrt nach vier
Jahren in
Mazedonien der Ex-Kommunist und Sozialdemokrat
Branko
Crvenkovski zurück an die Macht. ...
Crvenkovski, der schon von 1992 bis 1998 als
Premierminister
amtierte, könnte numerisch die Regierung auch
alleine bilden, wenn
sich die absolute Mehrheit der Wahlkoalition
seines Bunds der
Sozialdemokraten Mazedoniens (SDSM) mit einigen
Minderheitenparteien bestätigt. Nicht weniger
triumphal war jedoch
im albanischen Bevölkerungsdrittel der Wahlsieg
des früheren
Führers der Nationalen Befreiungsarmee (UCK), Ali
Ahmeti. Er hat
sich damit demokratisch legitimiert und bietet
sich als
Koalitionspartner an. Dies jedoch stellt den
künftigen Premier vor
einige Probleme.
Sein Gegner Georgievski hatte im Wahlkampf für
den Fall seiner
Niederlage ein Regierungsbündnis zwischen
sozialdemokratischen
„Verrätern“ und „Terroristen“ aus Ahmetis Partei
der
Demokratischen Bewegung für Integration (BDI) an
die Wand
gemalt. Und Crvenkovski selbst hatte mit
Rücksicht auf die Gefühle
der slawischen Bevölkerungsmehrheit ein
Regierungsbündnis mit
Ahmeti ausgeschlossen. Nun aber kann er im
Interesse einer
Stabilisierung des Landes schwerlich anders, als
die Partei Ahmetis
einzubinden – zumal jener sich betont
staatstragend für eine
Versöhnung und die euro-atlantische Integration
ausspricht.
Crvenkovski wird also mit Hilfe der
internationalen Vertreter in
Skopje ein Arrangement finden müssen. Ahmeti
könnte sich dabei
mit der Rolle des albanischen Parteiführers
begnügen.
Crvenkovski kam bei der Wahl zugute, dass ihm –
anders als
Georgievski – keine persönliche Bereicherung
vorgeworfen wird. ... Nun wird der
Machtwechsel gewiss
auch Interessen des organisierten Verbrechens
berühren, das unter
der alten Regierung ohne Ansehen der ethnischen
Zugehörigkeit mit
den Staatsstrukturen verwachsen war.
Crvenkovski wurde am 12.Oktober1962 als Sohn
eines
jugoslawischen Offiziers in Sarajewo geboren und
studierte in
Skopje Computerwesen. Parteivorsitzender wurde er
1991, als sich
die mazedonische KP in den Bund der
Sozialdemokraten (SDSM)
umwandelte. Ein Jahr später machte ihn der Vater
der
Unabhängigkeit, Alt-Präsidenten Kiro Gligorov,
zum jüngsten
Regierungschef Europas. Auf die alte Erfahrung
kann der junge
Premierminister nun zurückgreifen.
(Süddeutsche Zeitung, 17.09.2002)
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung mag sich in der Beurteilung der Zukunftsaussichten Mazedoniens nicht so recht festlegen:
Eineinhalb Jahre ist es erst her, daß
die albanische
"Nationale Befreiungsarmee" (UÇK) in
Mazedonien zu den
Waffen griff und den Staat an den Rand eines
Bürgerkrieges
brachte. ...
Wer nun in Skopje regieren wird, kann das in
der kommenden
Legislaturperiode nicht gegen Ahmetis Partei
tun, die jetzt
"Demokratische Union für Integration" (BDI)
heißt. Zwar hat
der Wahlsieger auf der slawisch-mazedonischen
Seite des das
Land durchziehenden "ethnischen Grabens", der
Sozialdemokratische Bund (SDSM), aller
Voraussicht nach die
absolute Mehrheit der Parlamentssitze
gewonnen und wird
nicht auf einen Koalitionspartner angewiesen
sein. Doch weil
im Ohrider Abkommen festgelegt ist, daß alle
die Minderheiten
betreffenden Gesetze nur nach Zustimmung der
Mehrheit
albanischer Abgeordneter gültig werden, käme
eine gegen
Ahmeti gerichtete Regierung kaum voran. ... Ahmeti und die
mit ihm in die
Politik gewechselten UÇK-Kämpfer werden erst
beweisen
müssen, daß sie auch regieren können und daß
sie den langen
Atem haben, der im politischen Alltag nötig
ist. ...
Das Konfliktjahr
2001 ist Mazedonien politisch und
wirtschaftlich
verlorengegangen. Die pragmatische Regierung
in Serbien, das
Engagement der Staatengemeinschaft beim
Aufbau einer
demokratisch und wirtschaftlich sich selbst
tragenden
Gesellschaft im Kosovo, selbst die neue
Einigkeit der beiden
großen Parteien in Albanien geben ein Tempo
bei der
Entwicklung in der Region vor, dem Mazedonien
bisher nicht
gewachsen ist.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2002)
Die junge Welt spricht von einem "Pyrrhussieg":
Wegen katastrophaler Wirtschaftsdaten,
verbunden mit einem
sozialen Desaster, sowie Korruptionsvorwürfen
ist der
Sozialdemokratische Bund Mazedoniens (SDSM)
unter Premier
Branko Crvenovski 1998 abgewählt worden. Aus
den gleichen
Gründen wurde ihm vier Jahre später wieder die
Regierungsverantwortung anvertraut. Denn nun
firmierten die
wirtschaftlichen, sozialen und sittlichen
Verwerfungen unter
der Bezeichnung VMRO-DPMNE, die als
antiosmanische soziale
Aufstandsbewegung entstanden und zum Tarnmantel
der
bürgerlichen Reaktion geworden ist.
Der rechtsbürgerliche Block hat für seine
Wahlniederlage
vorgesorgt und den letzten Rest der
verstaatlichten Industrie
an seine Kader veräußert. An der oligarchischen
Bourgeoisie
werden auch die Sozialdemokraten, die während
ihrer ersten
Regierungsperiode die Wende zur Privatisierung
des
Volkseigentums eingeleitet haben, nicht
vorbeiregieren
können. Wahlsieger Branko Crvenovski wird den
neoliberalen
Auftrag zur Entbürokratisierung des
bürokratischen
Kapitalismus nicht einlösen können, weil dessen
Genesis mit
dem Neoliberalismus verbunden ist. Und deshalb
dürfte auch
der sozialdemokratische Handlungsspielraum bei
der
Bewältigung der sozialen Misere – mit 40
Prozent Arbeitslosen
hält Mazedonien den Europarekord – gleich Null
sein.
Den Sozialdemokraten wird es auch nicht erspart
bleiben, mit
der bewaffneten albanischen Sezession zu
koalieren. Denn die
UCK unter Ali Ahmeti hat auf ihrem Terrain
einen
überwältigenden Wahlerfolg verbucht. Statt
einer Regierung
der nationalen Einheit entsteht in Skopje eine
Regierung des
nationalen Haders bzw. der nationalen
Doppelherrschaft. An
deren Ende könnte das Ende der territorialen
Integrität
Mazedoniens stehen.
(junge Welt, 17.09.2002)
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