Bundestag soll NEIN sagen - Nichtregierungsorganisationen gegen NATO-Einsatz
Positionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO
Am Freitag, den 24. August, präsentierte Reinhard Hermle, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen, VENRO, ein Positionspapier zur deutschen Beteiligung am NATO-Einsatz in Mazedonien. An der Pressekonferenz nahm auch der stellvertretende Leiter von Caritas International, Jürgen Lieser, teil. Dem Verband VENRO gehören rund 100 deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an.
Die NGOs fordern den Bundestag auf, der Entsendung von 500 Soldaten nach Mazedonien nicht zuzustimmen. VENRO weist in dem Positionspapier auf die Gefahr hin, dass aus dem geplanten "Einsammeln" von Waffen eine zeitlich unbefristete Intervention wird und dass der Einsatz einer weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik Vorschub leiste. Wenn schon, nachdem "das Kind jetzt in den Brunnen gefallen" ist, die "Feuerwehr" eingreifen müssen, "dann bitte nicht die NATO, sondern UN-Blauhelm-Truppen", antwortete Jürgen Lieser auf die Fragen von Journalisten, was denn die Alternativen von VENRO seien. Lieser machte darauf aufmerksam, dass es in den vergangenen zwei Jahren ja nicht an Möglichkeiten gemangelt habe, die albanische UCK zu entwaffnen. Offenbar habe der "politische Wille" dazu gefehlt. Er erinnerte auch an den misslungenen NATO-Einsatz gegen Jugoslawien. Nach dem Krieg 1999 hätten 200.000 Serben aus dem Kosovo fliehen müssen. Ähnliches könne sich auch in Makedonien wiederholen.
Und Eckehard Fricke, Geschäftsführer des Internationalen Christlichen Friedensdienstes EIRENE, ergänzte, mit der massiven Unterstützung dieser "sehr dubiosen Organisation" UCK habe der Westen "einen Geist gerufen, den man jetzt nicht wieder los wird". Sträflich vernachlässigt worden sei die "zivile Konfliktbearbeitung". Nach Fricke waren auch die "Vermittlungsbemühungen der EU .. immer darauf gerichtet, den Einsatz der NATO möglich zu machen." Wenn nur ein Bruchteil der Militärausgaben in zivile Projekte gesteckt worden wäre, könnte eine erfolgreiche Prävention stattfinden. So aber habe man sich wieder in eine vermeintliche "Zwangslage" begeben, aus der nur ein militärischer Einsatz heraushelfen könne.
Im Folgenden dokumentieren wir das Positionspapier von VENRO.
Warum die entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen gegen einen NATO-Einsatz in Mazedonien sind
Positionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO
Bonn, 24.08.2001
Entwicklungspolitische und humanitäre
Nichtregierungsorganisationen sind grundsätzlich dem Frieden und
der Solidarität verpflichtet. Mit großer Sorge sehen wir daher, wie sich
in den vergangenen Jahren die Spirale der Gewalt in Mazedonien
immer weiter gedreht hat. Opfer Leidtragende dieses gewaltsamen
Konflikts sind bisher etwa 100.000 Menschen, die intern vertrieben
worden oder in den Kosovo geflüchtet sind.
Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens für Mazedonien
am 13. August bereitet die NATO zur Zeit die Operation "Essential
Harvest" vor: 3.500 NATO-Soldaten sollen in Mazedonien innerhalb
von 30 Tagen die Waffen der UCK-Rebellen einsammeln. Die
Bundesregierung beabsichtigt, am 29. August den Deutschen
Bundestag um Zustimmung zur Entsendung von 500
Bundeswehr-Soldaten nach Mazedonien zu bitten.
Da viele VENRO-Mitglieder in der Projektarbeit auf dem Balkan tätig
sind, wenden wir uns noch vor der Entscheidung des Bundestages
an die Öffentlichkeit. Aus folgenden Gründen sind wir gegen den
NATO-Einsatz in Mazedonien:
Die NATO ist Konfliktpartei
Die NATO ist ein Militärbündnis und als solches zur friedlichen
Konfliktbeilegung ungeeignet. Die slawischen Mazedonier betrachten
die NATO - spätestens seitdem die UCK-Truppen bewaffnet und
unter Aufsicht von KFOR-Soldaten aus Aracinovo abziehen konnten -
als parteiisch. Eine nachhaltige Friedenskonsolidierung kann daher
nur von den Vereinten Nationen oder der OSZE in Gang gebracht
werden. Dazu muss der UN-Sicherheitsrat ein tragfähiges Mandat
erteilen und finanzielle Mittel bereitstellen. Dass der Präsident des
UN-Sicherheitsrats am 13. August das NATO-Engagement in
Mazedonien begrüßt hat, reicht nicht aus.
Die Rolle der Vereinten Nationen muss gestärkt werden
Die Vereinten Nationen müssen auch im Mazedonien-Konflikt in ihrer
Zuständigkeit und Kapazität für die Durchführung von
friedenserhaltenden Maßnahmen gestärkt werden. Statt dessen ist
zu befürchten, dass mit dem Kosovo-Krieg und dem
Mazedonien-Einsatz der NATO ein neuer Typ von Intervention
außerhalb der Vereinten Nationen geschaffen werden soll. Die
geplante NATO-Intervention schwächt die Vereinten Nationen, die bei
den beiden Konfliktparteien am ehesten vertrauenswürdig sind.
Das Mandat für den NATO-Einsatz ist unrealistisch
Der von der NATO vorgesehene 30-tägige Einsatz zum Einsammeln
der Waffen der UCK-Rebellen geht an den Realitäten vorbei. Die UCK
hat sich im Friedensabkommen nur bereit erklärt, ihre Waffen
freiwillig abzugeben. Da es aber noch völlig unklar ist, wie viele und
welche Waffen abgegeben werden sollen, kann es unter
NATO-Aufsicht höchstens zu einer symbolischen Entwaffnung
kommen. Auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit anderen
Krisenregionen erscheint Statt dessen isteine vollständige
Demobilisierung der UCK sowohl in Mazedonien als auch im Kosovo
im Rahmen eines tragfähigen Friedensprozesses notwendig
notwendig.
Die politische Zielsetzung für den Einsatz ist unklar
Da die Realisierbarkeit der Operation „Essential Harvest" äußerst
fragwürdig erscheint, bezweifeln wir, dass die NATO-Intervention in
Mazedonien nur von kurzer Dauer sein wird. Die Erfahrungen der
Vergangenheit mit den Konflikten auf dem Balkan lassen befürchten,
dass der Konflikt im Rahmen des NATO-Einsatzes nicht zu
beherrschen sein könnte und aus einer geplanten
Entwaffnungsaktion eine zeitlich unbefristete Intervention resultiert.
Dies ist auch offenkundig der Hintergrund für die Diskussion über die
Ausstattung der NATO-Truppen mit einem „robusten" Mandat.
Politische Szenarien über den 30-tägigen Zeitraum der Entwaffnung
hinaus fehlen.
Die NATO ist als Konfliktschlichter ungeeignet
Die NATO ist ein Militärbündnis und als solches als Konfliktschlichter
ungeeignet. Im Kosovo-Krieg kam es sogar zu einer politisch
riskanten Verquickung der Mandate: Die NATO war einerseits
Konfliktpartei und leistete andererseits Flüchtlingshilfe. Die
slawischen Mazedonier betrachten die NATO spätestens seit dem
Aracinovo-Vorfall als parteiisch. Eine nachhaltige
Friedenskonsolidierung sollte unter UN- oder und OSZE-Mandat in
Gang gebracht werden.
Die Balkan-Politik der Europäischen Union droht zu scheitern
Angesichts der Spirale nicht enden wollender Gewalt auf dem Balkan
muss sich die Bundesregierung fragen, ob der Mazedonien-Einsatz
der NATO ein richtiger und vertretbarer Schritt ist. Es war das gleiche
Schema, das zum Kosovo-Krieg führte: Die präventiven Maßnahmen
und die zivile Konfliktbearbeitung werden nur unzureichend politisch
unterstützt und finanziell ausgestattet, die OSZE tritt in die zweite
Reihe, die humanitäre Situation eskaliert und schließlich wird
Außenpolitik mit militärischen Mitteln betrieben. Die Politik der zivilen
Konfliktbearbeitung der Europäischen Union in Mazedonien ist damit
erneut gescheitert.
Die Folgen des Mazedonien-Einsatzes sind nicht abschätzbar
Nach Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo wird Mazedonien
voraussichtlich zu einem weiteren De-facto-Protektorat mit
unkalkulierbaren politischen Risiken. Die Präsenz der NATO-Truppen
auf dem Balkan wird erhebliche finanzielle Kosten verursachen.
Darüber hinaus werden Daher zusätzliche finanzielle Mittel für die
zivile Konfliktbearbeitung benötigt. Die Konfliktlösung auf dem Balkan
darf von der Bundesregierung allerdings nicht zu Lasten der
Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Südens
finanziert werden.
Der Mazedonien-Einsatz ist nicht „humanitär"
Die Erfahrungen der Hilfsorganisationen auf dem Balkan zeigen,
dass militärische Eingriffe in bewaffnete Konflikte die humanitäre
Situation in der Regel verschärfen. Militärische Einsätze können per
definitionem nicht „humanitär" sein: Rollen und Mandate müssen
sauber voneinander getrennt werden. Daher dürfen
politisch-militärische Begründungszusammenhänge für den
NATO-Einsatz in Mazedonien nicht mit humanitären Motiven
verwechselt werden.
Die humanitäre Katastrophe darf nicht instrumentalisiert werden
Im Kosovo-Krieg ist deutlich geworden, dass das erklärte Ziel der
Intervention, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, nicht
erreicht wurde. Nach dem Krieg konnte die zweite Flüchtlingswelle –
der Serben, Sinti und Roma – ebenso wenig verhindert werden. Wir
befürchten, dass es in Mazedonien erneut zu Flüchtlingsströmen
kommt, die von den politischen Entscheidungsträgern Akteuren
instrumentalisiert werden. Anschließend werden die humanitären
Hilfsorganisationen mit der Bewältigung der Konfliktfolgen
konfrontiert. Mit Flüchtlingen darf keine Politik ge-macht werden!
Politische Handlungsempfehlungen:
-
Der Deutsche Bundestag darf dem Bundeswehr-Einsatz in
Mazedonien unter NATO-Kommando nicht zustimmen.
- Die Vereinten Nationen und oder die OSZE sollen unverzüglich die
Friedenskonsolidierung in Mazedonien übernehmen und mit einer
entsprechenden Finanzierung ausgestattet werden: statt NATO sollen
UN-Blauhelme in Mazedonien eingesetzt werden. Diese müssen
auch den Waffennachschub der UCK wirksam unterbinden.
-
Die Vereinten Nationen müssen eine Balkan-Konferenz einberufen,
um zu einer regionalen politischen Lösung beizutragen.
-
Die EU sollte ihre Anstrengungen in der Krisendiplomatie verstärken
und einen zivilen Konfliktbearbeitungsprozess in Mazedonien
initiieren, der unterhalb der Regierungsebene zu einem friedlichen
Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen beiträgt.
-
Die Bundesregierung muss darauf achten, dass im
Mazedonien-Konflikt eine klare und strikte Trennung der Aufgaben
und Rollen von Militär und Hilfsorganisationen eingehalten wird.
-
Die von der Bundesregierung für das Jahr 2002 geplanten Kürzungen
der BMZ-Haushaltsmittel für soziale und wirtschaftliche Entwicklung
in Mittel- und Osteuropa sollten wieder zurückgenommen werden.
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