Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vor dem Makedonien-Einsatz: Ungereimtheiten und Widersprüche häufen sich

Fischer sieht UN-Mandat und kanzelt Kritiker ab - Es darf gelogen werden

Bevor der deutsche Bundestag am Mittwoch, den 29. August über einen Bundeswehr-Einsatz in Makedonien entscheidet, verändern sich schon die Bedingungen, unter denen er eigentlich entscheiden sollte. So melden etwa am 25. August die Zeitungen, dass der Umfang der NATO-Mission nicht, wie ursprünglich im NATO-Rat beschlossen, 3.500 Soldaten, sondern 4.500 Soldaten umfassen soll. "Administrative und logistische Gründe" stünden für diese Maßnahme im Vordergrund, sagte ein Vertreter der NATO gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Als weiterer Grund aber wird angeführt, "der Schutz der Streitkräfte" bedürfte weiterer Soldaten. 1.000 Soldaten sollen also 3.500 Soldaten schützen! Wovor, wo doch die 3.500 Soldaten gar nicht kämpfen, sondern nur Waffen einsammeln sollen, welche die UCK "freiwillig" abgibt? Und: Wie viele Soldaten werden noch benötigt, um die zusätzlichen 1.000 Soldaten zu schützen?

Nicht nur ein Streit um Zahlen

Irritation gab es auch über die Auskunft der NATO, die Bundeswehr solle sich mit 400 Soldaten beteiligen. Ein Sprecher der Regierung in Berlin sagte hingegen, es bleibe bei der Beschlussvorlage des Kabinetts für den Bundestag, die von bis zu 500 deutschen Soldaten ausgehe.

Noch größere Unstimmigkeiten gibt es hinsichtlich des Umfangs des Entwaffnungsprozesses. Zunächst meldeten die Agenturen, dass das Nato-Vorauskommando in Mazedonien am 24. August einen Abzug der bewaffneten Kräfte der Konfliktparteien aus dem mazedonischen Krisengebiet ausgehandelt habe. Nachdem sich augenscheinlich die albanischen UCK-Kämpfer zurückgezogen hätten, hätten die makedonischen Streitkräfte noch am selben Tag mit dem Abzug der schweren Waffen begonnen. Nach Auskunft des Kommandeurs der Nato-Truppe Task Force Harvest (TFH), General Gunnar Lange, in Skopje, habe die Nato außerdem Beobachterteams in das Krisengebiet im Nordwesten Mazedoniens geschickt. Aus Regierungskreisen in Skopje verlautete am 24. August, die Nato-Truppe wolle von der UCK 6.000 Waffen einsammeln. Das gehe aus Unterlagen hervor, welche die TFH der makedonischen Regierung übergeben habe. Unklar ist bislang, ob Skopje diese Zahl akzeptieren wird, ohne vorher über die Qualität der Waffen informiert zu sein. Westliche Diplomaten handelten indessen mit anderen Quantitäten: Die Nato wolle nur etwas mehr als 3.000 Waffen einsammeln. Ob 3.000 oder 6.000 Waffen - der Streit darüber ist angesichts einer von der makedonischen Regierung geschätzten Zahl von 70.000 UCK-Waffen relativ unerheblich. Selbst wenn diese Zahl überhöht sein sollte, so viel steht schon vor Beginn der Opereation "Wesenliche Ernte" fest: Die UCK-Kräfte behalten ein Mehrfaches an Waffen, als sie freiwillig herauszurücken bereit sind. Diejenigen, die am besten über Quantität und Qualität der Bewaffnung Bescheid wissen, halten ihre Informationen zurück: die westlichen Geheimdienste.

Militärische "Bewährungsprobe" für die EU

Doch immer mehr verdichten sich die Gerüchte zu begründeten Meinungen, wonach es in Makedonien gar nicht in erster Linie darum ginge, die UCK zu entwaffnen, Makedonien den Frieden zu bringen und dem Balkan politische Stabilität zu verleihen. Bundesaußenminister Fischer warb am 24. August noch einmal mit Engelszungen für den Bundeswehreinsatz und hob dabei neben den genannten Begründungen auch ganz eigennützige "deutsche Interessen" hervor. "Es geht hier nicht um abstrakte Bündnissolidarität", sagte er und hob sich damit etwas von der bisherigen Argumentation seines Kanzlers ab, "es geht um unsere Interessen". Nun meinte er dies nicht vordergründig wirtschaftlich oder touristisch (wer macht schon in Makedonien Urlaub?), sondern er dachte an das Interesse Deutschlands am Ausbau Europas zu einer militärischen Komponente. Der Militäreinsatz in Makedonien sei eine "europäische Herausforderung". Die Europäische Union habe bei der Behandlung des Konflikts in Mazedonien eine wichtige Rolle übernommen. Dabei habe es zuletzt eine "nahtlose Kooperation mit der Nato" gegeben. Erstmals sei die EU dabei sogar "federführend" dabei. Zwar handle es sich "formal" nicht um eine Bewährungsprobe der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik", dennoch stehe die "Handlungsfähigkeit", sprich die militärische Handlungsfähigkeit" der Europäer zur Debatte. In so einer Situation wäre es Fischers Sicht "widersinnig, wenn Deutschland, wo ein breiter Konsens über die europäische Integration besteht, in dieser Frage sagen würde: Nein, wir nicht." Auch der US-Administration müsse man zeigen, dass man fest zum Bündnis stehe. Eine "Bündnissolidarität ŕ la carte" würde in den USA "sehr genau studiert werden". Das habe nichts mit "Gefolgschaft" zu tun, meinte Fischer, sondern das Mitmachen beim NATO-Einsatz sei Teil eines "präventiven Konfliktvermeidungspakets", zu dem es keine sinnvolle Alternative gebe. Dagegen hätte eine Ausweitung des Konflikts in Mazedonien Rückwirkungen auf die Nato-Partner Griechenland und Türkei sowie den EU- und Nato-Beitrittskandidat Bulgarien.

"...vom Balkan keine Ahnung"

Den Nichtregierungsorganisationen, die auf zivile Konfliktregelungen und die Einschaltung der Vereinten Nationen drängen, schrieb Fischer brüsk ins Stammbuch: "Wer sagt, das könnte auch das Technische Hilfswerk machen, hat vom Balkan keine Ahnung." Er verwies in diesem Zusammenhang noch einmal auf seine Argumentation, wonach die NATO völkerrechtlioch durchaus legitimiert sei, in Makedonien einzugreifen: Erstens läge eine Bitte der Regierung aus Skopje an die NATO vor, zweitens unterstütze der UN-Sicherheitsrat die NATO-Aktion und drittens sei die NATO eben wegen der Lage Griechenlands und der Türkei unmittelbar von dem Konflikt in Makedonien betroffen.

Mit dem Verweis auf das angebliche UN-Einverständnis stützt sich Fischer aber lediglich auf eine Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats vom 13. August und nicht auf einen förmlichen Beschluss des Sicherheitsrats. Der UN-SR-Präsident hat in Wahrheit nur die "Anstrengungen der EU, OSZE und NATO zur Förderung des Rahmenvertrags begrüßt" und die internationale Gemeinschaft dazu aufgefordert "zu überlegen", wie Makedonien bei der vollständigen Umsetzung des Vertrages am besten "unterstützt" werden könne. Der Vorsitzende der deutschen Sektion von IALANA (Internationale Juristenvereinigung gegen Atomwaffen), Dr. Peter Becker, Marburg, erklärte dazu in einer Stellungnahme, diese Erklärung des Sicherheitsrats-Präsidenten stelle "mitnichten" eine UN-Ermächtigung für die NATO dar. - Doch die Regierungsoffensive zur Legitimierung des Bundeswehreinsatzes nimmt es mit der Wahrheit schon wieder nicht so genau. Der Waffenstillstand sei stabil, heißt es z.B. mittlerweile in Berlin (davon hatte die Bundesregierung einen Einsatz j abhängig gemacht), und gleichzeitig melden die Agenturen, albanische und mazedonische Truppen hätten sich in der Nacht vom 23. auf den 24. August neue Schießereien geliefert. Droht uns eine Neuauflage der Propaganda vor dem Jugoslawien-Krieg 1999? Sie wird kommen, wenn sich das Einsammeln der Waffen schwieriger gestaltet, als die Regierung heute noch behauptet.

Peter Strutynski

Zurück zur Makedonien-Seite

Zur Seite "Länder/Regionen"

Zurück zur Homepage