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Solana: "Politische Ziele können nicht mit Gewalt erreicht werden."

Die Politik sieht aber anders aus und der Bürgerkrieg in Makedonien eskaliert

Einen "gnadenlosen Kampf" verhieß am 8. Juni 2001 die makedonische Regierung den albanischen Extremisten. Gleichzeitig vermied sie es den Kriegszustand auszurufen, nachdem ihr von der NATO, den USA und von der EU abgeraten worden war. Auch innenpolitisch wäre der Übergang zum Kriegszustand, welcher der Regierung jede Menge Ausnahmerechte geben würde, im Augenblick wohl nicht durchsetzbar. Jedenfalls gibt es im Parlament nach Auskunft des Regierungschefs Georgievski dafür keine Mehrheit.

Am Wochenende (9./10. Juni) verschärften sich die Kämpfe. Am 7. Juni hatten die UCK-Kommandos einen Waffenstillstand angeboten - unter der Bedingung, dass auch die Regierungstruppen ihre Kämpfe einstellten -, doch die Einsätze gingen weiter. Sie konzentrierten sich vor allem auf die Umgebung der Stadt Kumanovo. Nach Angaben aus Regierungskreisen müsse eine humanitäre Katastrophe verhindert werden, denn die Wasserversorgung für die rund 100.000 Einwohner der Stadt sei unterbrochen, nachdem die Talsperre, aus der das Trinkwasser stammt, in einem Gebiet liegt, das von der UCK kontrolliert werde.

Die Sonntagszeitungen und Pressedienste berichteten am 10. Juni, dass bis zu 800 albanische Kämpfer in die Siedlung Aracinovo am Rande von Skopje eingedrungen seien. UCK-Chef Hoxha sagte, seine Kämpfer hätten den Ort erobert, um "die Bevölkerung zu beschützen", nachdem die mazedonische Armee in der Umgebung Mörsergranaten abgefeuert habe. Aracinovo ist nur etwa drei Kilometer von den ersten Vororten Skopjes entfernt. Der Ort wird von Albanern verwaltet und gilt als wichtiger Umschlagplatz für Schmuggelware.

"Wir müssen zugeben, dass die Ortschaft besetzt ist", sagte Innenminister Ljube Boskovski am Samstag (9. Juni) in Skopje. Damit hat sich die Lage dramatisch verschärft. Die Sicherheitskräfte warteten auf einen Befehl, in die Ortschaft vorzustoßen, sagte der Innenminister. Die Rebellen seien mit Maschinengewehren und Mörsern ausgerüstet und hätten strategische Stellungen bezogen. Etwa zwei Drittel der Kämpfer stammten von außerhalb, während ein Drittel aus Aracinovo selbst komme. Regierungstruppen hielten die Ortschaft 15 Kilometer nordöstlich von Skopje umstellt.

Unterdessen flohen rund 2.500 albanische Zivilisten aus dem Dorf. Sie stammten überwiegend aus Aracinovo, berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR. "Die Flüchtlinge sagen, dass sie ihr Dorf wegen andauernder Kämpfe am Ortsrand und wegen des mazedonischen Truppenaufmarsches verlassen", sagte eine Sprecherin. In der Ortschaft lebten zuletzt etwa 10.000 fast ausschließlich albanische Einwohner und 7.000 Flüchtlinge. Seit Freitag, dem 8. Juni, befindet sich auch wieder Javier Solana, der EU-Beauftragte Außenpolitik ("Mr. GASP"), in Skopje. Seine Vermittlungsbemühungen um eine Ende der Gewalt sind vorerst gescheitert. Nach zweitägigen Verhandlungen mit den Führern der makedonischen und albanischen Parteien blieb ihm am Samstag nur ein neuerlicher Appell an die Konfliktparteien, die Kämpfe einzustellen. Seine Botschaft ist dem Vokabular der Friedensbewegung entnommen: "Politische Ziele können nicht mit Gewalt erreicht werden."

Anzeichen eines Bürgerkriegs

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juni war es in der makedonischen Stadt Bitola (im Süden des Landes) zu Ausschreitungen gegen die albanische Minderheit gekommen. Auslöser dafür war der Tod von fünf makedonischen Soldaten, die am 5. Juni bei Tetovo in einen UCK-Hinterhalt geraten waren und grausam ermordet wurden. Nato-Generalsekretär George Robertson nannte die Ermordung der Soldaten einen "feigen und sinnlosen Akt". Drei der Getöteten stammten aus Bitola. Vorwiegend slawische Bewohner Bitolas haben etwa 50 Häuser und Geschäfte geplündert oder angezündet, die Albanern oder makedonischen Moslems gehören. Unter anderem wurde auch eine Moschee angezündet, wie das staatliche Fernsehen berichtete. Bei den Ausschreitungen wurden insgesamt 13 Menschen verletzt.

Am 8. Juni berichteten die Zeitungen aus dem NATO-Hauptquartier, dass die NATO Makedonien "konkrete Hilfe" angeboten hätte. Sollte die Regierung in Skopje es wünschen, dass die Nato dort eine ähnliche Rolle einnehme wie bei der Entwaffnung albanischer Extremisten in Südserbien, "so würden wir darauf antworten", sagte Generalsekretär Robertson beim regulären Treffen der Nato-Verteidigungsminister am 7. Juni in Brüssel. Zugleich appellierte die Nato an die Regierung in Skopje, auf Dialog zu setzen und militärische Gewalt nur anzuwenden, wenn sie "erforderlich" und "angemessen" sei. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping sprach sich für eine permanente politische Vertretung von Nato und EU in Skopje aus, damit sie genug "Druck" auf die verfeindeten Kräfte ausüben könnten.

Wenn man sieht, wie sträflich die NATO im Kosovo und in Südserbien ihre Pflicht zur Entwaffnung der UCK vernachlässigt hat, klingt das Angebot an Skopje, eine "ähnliche Rolle" in Makedonien einzunehmen, wie ein Hohn. Im Kosovo konnte nicht nur von "Entwaffnung" keine Rede sein, die NATO hat es auch nicht geschafft, die Grenzen zu Makedonien zu kontrollieren. So ist es der UCK in den vergangenen Monaten gelungen, Waffen und anderes Kriegsmaterial sowie ausgebildete "Kämpfer" massenhaft nach Makedonien einzuschleusen. Scharpings Ankündigung bedeutet nichts anderes als die Aufforderung an Makedonien, sich unter ein NATO/EU-Protektorat zu begeben.
Pst
Quellen: Tageszeitungen vom 7., 8. und 9. Juni sowie die Sonntagszeitungen (FAZ, Welt, HNA) vom 10. Juni, Netzeitung (fortlaufend)




Pressestimmen

Stephan Israel schrieb in der Frankfurter Rundschau am 8. Juni 2001 u.a.:

Die Regierungstruppen kämpfen derzeit an zwei Fronten. Sie kämpfen gegen die Rebellen und gegen ihr eigenes Versagen. Mit jedem Todesopfer in den Reihen der Soldaten wächst in der slawischen Mehrheit nicht nur die Wut auf die albanische Minderheit, sondern auch der Zorn über den Misserfolg der Armeeoffensive.
Die mazedonische Polizei nahm am Donnerstag zwei Männer fest, die auf das Büro von Staatspräsident Boris Trajkovski geschossen haben sollen. Nach Informationen der mazedonischen Nachrichtenagentur MIA soll einer der Schützen Mitglied einer Polizei-Sondereinheit sein.

Die junge welt ("wp") kommentierte am 8. Juni:

Sechs in einem Hinterhalt getötete mazedonische Soldaten und ein versuchtes Attentat auf Präsident Boris Trajkovski: In Mazedonien herrscht Krieg. Da muß nicht erst der Kriegszustand ausgerufen werden, dieser Zustand existiert. Dennoch beschwören NATO und EU die Regierung in Skopje, den Kriegszustand nicht zu verhängen. Ein solcher könne das Problem nicht lösen, sondern einzig Verhandlungen, gibt der EU-Sonderbevollmächtigte und Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana den mazedonischen Verantwortlichen Nachhilfe- Unterricht in friedlicher Konfliktlösung. Er muß es ja wissen.

Als die serbische Regierung 1998 verzweifelte Anstrengungen unternahm, mit den Vertretern der Kosovo-Albaner in einen Dialog zu treten, um mit ihnen Möglichkeiten der Selbstverwaltung zu erörtern, stieß sie in Pristina auf taube Ohren. Doch die NATO unter der Führung Solanas stellte die Dialogverweigerer unter ihren Schutz und bombardierte ein Jahr später Jugoslawien bis an den Rand der Existenzunfähigkeit. Das war kein Kriegszustand, es gab nicht einmal eine Kriegserklärung.

Die Befriedung durch Bomben hat keineswegs einen Dialog zwischen den Volksgruppen im Kosovo in Gang gesetzt, sondern den albanischen Ethnoterror voll zur Entfaltung gebracht. Nun hat die kosovo-albanische UCK die großalbanische Idee auch nach Mazedonien exportiert. Skopje weigert sich zu Recht, mit den Invasoren zu verhandeln. Eine gerechte Regelung der zwischennationalen Beziehungen in Mazedonien obliegt allein den Mazedoniern slawischer und albanischer Herkunft. Die Anerkennung der Albaner als zweite Staatsnation mag eine durchaus legitime Forderung sein. Doch sie kann und darf nicht unter dem Druck der kosovarischen UCK erfüllt werden. Denn dieser Bande ist es noch nie um ein gleichberechtigtes Zusammenleben gegangen, sondern stets um nationale Exklusivität. Deshalb besteht ihr wirkliches Ziel in der Annexion der Tetovo-Region und deren Vereinigung mit dem Kosovo. Groß-Kosovo als Vorstufe zu Großalbanien.

Die Süddeutsche Zeitung ("pm") schrieb ebenfalls am 8. Juni:

Man darf ihn nicht alleine lassen. Wenn sich Ljubco Georgievski, der mazedonische Premierminister, an der Seite hochmögender Kollegen aus dem Westen zeigt, dann nimmt er ziemlich artig die Rolle des auf Versöhnung bedachten Staatsmannes an, spricht von Verfassungsänderungen und vom fairen Ausgleich mit der albanischen Minderheit im Lande. Sobald er sich aber allein zu Hause wähnt, ist es vorbei mit den leisen Tönen. ...

... die halb nationalistische, halb kriminelle Albaner-Miliz UCK provoziert die Staatsmacht nach Kräften. Jedoch läge es in der Verantwortung Georgievskis, der eine aus slawischen und albanischen Mazedoniern gebildete so genannte Regierung der nationalen Einheit führt, nach einem geraden diplomatischen Weg aus der Krise zu suchen.

Das aber verweigert er. ... Der EU-Außenpolitiker Javier Solana hat mit seinen Kriseninterventionen manche Eskalation abwenden können. Doch das allein reicht nicht mehr. Die EU muss einen ständigen – und starken – Vertreter in Skopje platzieren, um Georgievski auf die Rolle des Versöhners festzulegen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb am 8. Juni:

Das Kalkül der UÇK scheint aufzugehen. Dem Mord an fünf mazedonischen Soldaten hat Präsident Georgievski die Drohung mit dem Kriegsrecht folgen lassen. Aufgebrachte Mazedonier haben die Drohung vereinzelt schon in die Tat umgesetzt. Die Mehrheitsgesellschaft Mazedoniens entlarvt sich, scheint es, unter dem terroristischen UÇK-Druck selbst. Wieder einmal wäre dann bewiesen: Gewalt zahlt sich politisch aus ... doch gibt es Anzeichen, daß diese Strategie vielleicht nicht mehr verfängt. Nato-Generalsekretär Robertson hat in ungewohnter Klarheit jede Unterstützung der UÇK kategorisch abgelehnt. Wenn obendrein über eine gemeinsame Vertretung von Nato und EU in Skopje nachgedacht wird, gibt der Westen so klar wie selten zuvor zu erkennen, daß er nicht mehr bereit ist, sich von kühl kalkulierenden Rebellen einerseits und einer uneinsichtigen Regierung andererseits an der Nase herumführen zu lassen. ...


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