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Genua und Skopje

Was tun gegen den Imperialismus, der jetzt Globalisierung genannt wird?

Eine kleine Polemik zur Generallinie
Von Jürgen Elsässer


Im Folgenden dokumentieren wir aus einem längeren Beitrag des Autors für die Zeitschrift KONKRET den Ausschnitt, der sich mit der Situation in Mazedonien befasst.

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Am 25. Juli stürmten mehrere tausend Demonstranten in der mazedonischen Hauptstadt Skopje die Filialen der westlichen Großmächte. Die deutsche Botschaft wurde mit einem Steinhagel eingedeckt und sauber entglast, anschließend McDonalds verwüstet, und der amerikanischen Botschaft blieb ähnliches nur dank eines höheren Absperrgitters und Panzerglas erspart. Ersatzweise wurden sämtliche Fahrzeuge der OSZE in Brand gesetzt. Die Wut hatte sich an der Mitteilung des mazedonischen Verteidigungsministeriums entzündet, wonach zwei Kfor-Hubschrauber eine Ladung unbekannten Inhalts zu UCK-Stellungen gebracht hatten - man vermutete Waffennachschub.

Wahrscheinlich würden die meisten Globalisierungsgegner Genua und Skopje nicht in einem Atemzug zu nennen, doch das liegt an einem blinden Fleck in ihrer Analyse. Für sie ist Globalisierung im wesentlichen der weltweite Angriff der Finanzmärkte, also ein ökonomischer Vorgang. Völlig unterbelichtet ist, daß sich die ökonomische Veränderung nicht im Selbstlauf vollzieht, sondern mit Gewalt, immer häufiger mit direkter militärischer Gewalt, durchgesetzt wird. Schlimmer noch: Wer das zum Thema macht, wird als Verschwörungstheoretiker abgetan. So bezeichnet Bernhard Schmid in seinem Beitrag "Falsche Freunde" (KONKRET 8/01) die Europäisierung - den vielleicht wichtigsten Teil der Globalisierung - euphemistisch als "Übertragung einiger Bestandteile politischer Souveränität und Regulierungsmacht auf andere ... Ebenen". Dies sei ein "objektiver Prozeß", dem sich nur einige Verrückte entgegenstemmen, die ihn "als Ergebnis einer von außen gesteuerten Verschwörung uminterpretieren".

Was anderes als eine "von außen gesteuerte Verschwörung" war denn der Angriff der Nato-Staaten auf Jugoslawien? Hat die Uno zugestimmt? Wurde die Bevölkerung in den westlichen Staaten befragt? Wurde wenigstens den Parlamenten die Möglichkeit zur Beschlußfassung gegeben? Ein Kriegskabinett aus vier Leuten - Clinton, Albright, Schröder und Fischer - entschied während der Rambouillet-Konferenz über den Angriff auf Jugoslawien - selbst Blair und Jospin zögerten. Die zwei wesentlichen Propagandalügen zur Täuschung der Öffentlichkeit - Racak und der "Hufeisenplan" - waren klassische Geheimdienstoperationen. Das hätte Thema in Genua sein müssen: Daß Globalisierung mit Notwendigkeit Krieg bedeutet, daß beispielsweise Jugoslawien nur durch zehnjährige Militärblockade und elfwöchiges Luftbombardement für die westlichen Konzerne und Banken geöffnet werden konnte. Bis zum Oktober 2000 war die industrielle Basis des Landes in Staats- oder Belegschaftsbesitz, ausländische Beteiligung war nur bis zu 49 Prozent möglich und auch das nur mit Zustimmung der Arbeiter. Die erste Maßnahme der neuen Regierung war ein Privatisierungsgesetz, erst dadurch - und nicht durch die "invisible hand" der Ökonomie - ist der freie Kapitalverkehr mit dem Westen möglich geworden. Jetzt will die Deutsche Bahn das Eisenbahnnetz und die Bahnhöfe, Ron Sommer die serbische Telekom, VW ist an Zastava interessiert, IWF und Weltbank würgen das Land mit Knebelkrediten.

Globalisierung in Mazedonien

Auch das kleine Nachbarland wurde 1999 sturmreif geschossen. "Die frühere jugoslawische Teilrepublik Mazedonien leidet wie kein anderer Nachbarstaat der BR Jugoslawien an den Folgen des Kosovokrieges: aufgrund seiner Eskalation verlor Mazedonien mit Jugoslawien seinen wichtigsten Handelspartner und zugleich seine Hauptexportroute nach Mittel- und Westeuropa. Darunter litten nicht nur die Absatzmärkte, auch die Einfuhren wurden erschwert und verteuerten sich. Die Folgen waren der Einbruch des Außenhandels sowie das Versiegen wichtiger Rohstoffquellen", heißt es in einer Studie der Bankgesellschaft Berlin. Die vom Krieg erzeugte Wirtschaftskrise wird nun vom Westen genutzt, um sich die Reichtümer des Landes unter den Nagel zu reißen. Zwar werden - anders als in Jugoslawien - bestimmte Wirtschaftssektoren schon seit Jahren von Deutschland kontrolliert: Es ist der wichtigste Handelspartner (Import/Export-Anteil 17 Prozent), über eine österreichische Partnerbank Mehrheitseigner der größten Bank (die ihrerseits ein Drittel aller Finanztransaktionen abwickelt), der Dinar ist an die Mark gekoppelt. Aber den industriellen Kernbereich haben die Mazedonier bisher einigermaßen abschotten können. Die früheren Staatsbetriebe wurden zwar privatisiert, aber bevorzugt und zu recht günstigen Preisen an ihre Beschäftigen und Manager abgegeben - eine "reine Insider-Privatisierung", klagt das Bundeswirtschaftsministerium. Folglich blieb die ausländische Teilnahme an der Privatisierung "weit hinter den Erwartungen zurück" - und es waren ausgerechnet die Griechen, die bekanntlich der Nato-Balkanpolitik nicht besonders wohlwollend gegenüberstehen, die bis 1999 mit Aufkäufen in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar an der Spitze der Auslandsinvestoren lagen (Deutschland: 1,1 Milliarden) und unter anderem die staatliche Ölraffinerie OKTA erwarben.

Nach dem Krieg gab die mazedonische Regierung den westlichen Interessen nach und erarbeitete ein radikaleres Privatisierungsprogramm. "Die Stoßrichtung scheint klar: Die Insider-Dominanz soll durchbrochen werden, wenigstens für künftige Privatisierungen", freut sich das Bundeswirtschaftsministerium. Im Januar 2001 wechselte ein Filetstück der Zukunftstechnologie den Besitzer: Die Aktienmehrheit der mazedonischen Telekom ging an die ungarische Matav, die ihrerseits mehrheitlich der Deutschen Telekom gehört.

Mit der Offensive der UCK hat sich in der bürgerlichen Regierung Mazedoniens Panik ausgebreitet. Da der Westen dem Land die Selbstverteidigung geradezu verbietet - Ende Juli reiste Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in die Ukraine, Skopjes wichtigsten Waffenlieferanten, um weitere Unterstützung zu unterbinden - wächst der Einfluß derer, die die Kapitulation vor der UCK für unabwendbar halten und das Beste daraus machen wollen - für sich selbst: Unter der Devise "nach uns die Sinflut" verhökern sie alles, was nicht niet- und nagelfest ist. "In nicht weniger als vier Monaten haben die Agentur für Privatisierung und die Behinderten- und Rentenversicherung Aktien von 37 Unternehmen zum Discount verkauft", berichtete die Nachrichtenagentur Aimpress im Mai 2001. "Dafür bekamen sie gerade elf Millionen Mark - genau den Betrag, den Verteidigungsminister Ljuben Paukovski persönlich auf den Konten seiner Verwandten deponierte, und das auf dem Höhepunkt des albanischen Aufstandes ... Das außergewöhnlich profitable Messegelände in Skopje wurde für gerade sechs Millionen Mark verkauft, die gut erhaltene und renommierte Ohrid Tourist für 288.000 DM - sie ist das Zehnfache wert." In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß Paukovski neben Präsident Trajkovski zu den Tauben im mazedonischen Regierungsestablishment gehören, die - im Unterschied zu den Falken um Premier Ljubco Georgievski - zu weitgehenden Zugeständnissen an die albanischen Rebellen bereit sind.

So befördert der Krieg der UCK die Privatisierung, und der auf seiner Grundlage von Nato und EU oktroierte "Frieden" wird das Werk vollenden: Wesentlicher Teil des Vetragspakets, das EU-Unterhändler Javier Solana und sein US-amerikanischer Kollege James Pardew in den letzten Wochen bei den Verhandlungen in Ohrid unterbreiteten, ist eine weitgehende Dezentralisierung des Landes. Lokale Selbstverwaltungsorgane sollen neben juristischen und polizeilichen auch zusätzliche wirtschaftliche Kompetenzen erhalten - zum Beispiel die Kontrolle über die auf ihrem Gebiet liegenden staatlichen Unternehmen (über die bisher die Regierung in Skopje verfügt). Da die Albaner mehrheitlich nicht in diesen Unternehmen, sondern in Klein- und Familienbetrieben arbeiten, ist zu erwarten, daß sich in den künftig von ihnen regierten Landesteilen der Ausverkauf der Staatsindustrie beschleunigen wird.

No border, no nation?

Wie blind ein Teil der Globalisierungsgegner - vor allem der von der autonomen Szene beeinflußte - für diese Zusammenhänge ist, beweist die zentrale Losung des antirassistischen Grenzcamps in Frankfurt/M. Anfang August: "No border, no nation". Genau die Ziele, die die Nato-Staaten mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien und mit der von ihnen unterstützten UCK-Aggression gegen Mazedonien verfolgten, nämlich die Öffnung der Grenzen und die Zerstörung der Staatssouveränität zugunsten ungehinderter Kapitalinfiltration - vulgo: zur Durchsetzung der Globalisierung - werden auf diese Weise Teil eines angeblich fortschrittlichen Programms. Nicht einmal der Hinweis, die Losung solle nicht dem Kapital, sondern den Flüchtlingen den Weg ebnen, mag überzeugen. Zwar ist das für Deutschland und andere Schurkenstaaten durchaus gerechtfertigt, doch will man dieses Prinzip im Ernst weltweit und auch auf dem Balkan predigen? Dort wäre doch das Gegenteil wichtig, daß nämlich die Grenze zwischen Kosovo und Mazedonien endlich abgeschottet wird, und auch die Athener Behörden tun gut daran, von den angeblichen Flüchtlingen aus Albanien lieber einen zuviel als einen zuwenig zurückzuschicken - nur zu oft sind darunter Terroristen der UCK, die bereits Aktionen in Griechenland angekündigt hat.

Wie will man das entfesselte Kapital der Großmächte daran hindern, einen Staat nach dem anderen mit ökonomischen und schließlich militärischem Terror kaputtzumachen und dann dessen Filetstücke zu vertilgen? Müßte es nicht darum gehen, die Zusammenarbeit mit den Nationalisten - besser: Souveränisten - der bedrohten Staaten zu suchen, zumindest mit den Antikapitalisten unter ihnen? Wie hilfreich deren Agieren für uns in den Metropolen ist, zeigt nicht zuletzt die geschilderte Randale in Skopje Ende Juli: Hatte Deutschland zuvor noch mächtig Stimmung für einen "robusten" Nato-Einsatz gemacht (vgl. KONKRET 8/01), so fuhr den Verantwortlichen mit jener Nacht der Schrecken in die Glieder. "Vorsicht vor Mazedonien", kommentierte "Bild" tags darauf, und Scharping meinte auf die Frage nach einer möglichen Nato-Intervention: "Die Lage hat sich in den letzten Stunden eher verschlechtert als verbessert." In der Folge kündigten die CDU/CSU-Fraktion und zuletzt mehr als 30 Abgeordnete der Regierungskoalition ihr Veto gegen die Entsendung von Bundeswehrtruppen an.

Ein Bündnis mit den vom Imperialismus Unterjochten hat auch Lenin vorgeschlagen, mit der Propagierung des "Selbstbestimmungsrechts der Völker" wollte er kommunistische und antikoloniale Bewegungen verbinden. Über die gefährliche Doppeldeutigkeit dieser Losung ist bereits viel geschrieben worden (vg. KONKRET 12/99), und heute wird sie unter anderem von der UCK zur Legitimation ihres Terrors benutzt. Deshalb führt an einer Schärfung und Aktualisierung des Leninschen Ansatzes kein Weg vorbei. Wie wär's mit "Proletarier aller Länder und bedrohte Staaten - vereinigt Euch!" als Grundlage für eine neue Internationale? Vielleicht könnte man sogar einen chinesischen Ladenhüter entstauben und vom Kopf auf die Füße stellen, die "weltweite Einheitsfront gegen die beiden Supermächte" - im aktuellen Fall wären damit die USA und Deutschland gemeint.

Natürlich blieben dann immer noch viele brisante Fragen offen, etwa welche der beiden Supermächte in welcher Region gefährlicher ist und ob beispielsweise Israel eher zu den Protagonisten oder zu den Opfern der neuen Weltordnung gehört. Aber auf der Basis einer soliden strategischen Analyse könnte man darüber konstruktiver streiten als bisher.

Aus: KONKRET, September 2001



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