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Gericht bestätigt Macht Rajoelinas

Neuer madagassischer Präsident darf zwei Jahre im Amt bleiben

Nach wochenlanger politischer Krise hat Madagaskar einen neuen Präsidenten: Das Oberste Verfassungsgericht des Landes bestätigte am Mittwoch (18. März) den bisherigen Oppositionsführer Rajoelina im Amt.

Antananarivo (AFP/ND). In der Gerichtsentscheidung, die AFP vorliegt, erklärten die Richter die Machtübertragung des Militärs an den 34-jährigen Andry Rajoelina für gültig. Nach dem Rücktritt von Staatschef Marc Ravalomanana könne Rajoelina bis zu zwei Jahre als Übergangspräsident im Amt bleiben. Nach der madagassischen Verfassung liegt das Mindestalter für das Präsidentenamt allerdings eigentlich bei 40 Jahren.

Rajoelina, der bisherige Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, hatte am Dienstag (17. März) den zähen Machtkampf mit Ravalomanana für sich entschieden. Der bisherige Staatschef trat zurück und übertrug die Macht zunächst einem »Militärdirektorium«. Die Armee lehnte dies jedoch ab und übertrug die Befugnisse an Rajoelina.

In seiner ersten Rede als neuer Präsident hat Rajoelina der Armut in Madagaskar den Kampf angesagt. Diesen Kampf werde er ins Zentrum seiner Arbeit stellen, sagte Rajoelina kurz nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts vor 15 000 begeisterten Anhängern in Antananarivo.

Rajoelina versprach unter anderem, sich für niedrigere Preise für Reis und andere Grundnahrungsmittel einzusetzen. In Anspielung auf seinen Vorgänger Ravalomanana, dem das größte Firmenimperium Madagaskars samt einem Lebensmittelkonzern gehört, sagte Rajoelina: »Ich werde keinen Reis und kein Öl verkaufen.«

Rajoelina kündigte außerdem an, das umstrittene Präsidentenflugzeug zu verkaufen und für das Geld ein Krankenhaus bauen zu lassen. Der Kauf der Boeing 737 hatte in Madagaskar für Unmut gesorgt. Ravalomanana soll für die Maschine, die vorher dem Disney-Konzern gehörte, umgerechnet rund 45 Millionen Euro bezahlt haben. Als Oppositionsführer hatte Rajoelina dem 59- jährigen Ravalomanana unter anderem den Ausverkauf des Landes an ausländische Firmen vorgeworfen.

Des weiteren versprach Rajoelina »wirkliche Demokratie«, die Wiederherstellung der nationalen Einheit, die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und eine Strafverfolgung Ravalomananas.

Der monatelange Machtkampf zwischen den beiden Rivalen hatte sich am Wochenende zugespitzt, als die Opposition die Machtübernahme durch eine Übergangsregierung erklärt hatte. Bei dem Konflikt kamen seit Mitte Dezember mehr als hundert Menschen ums Leben.

* Aus: Neues Deutschland, 19. März 2009

Personalien: Durchstarter

Den Segen des Obersten Verfassungsgerichts hat er: Andry Rajoelina, Madagaskars mit 34 Jahren laut Verfassung um sechs Jahre zu junger Präsident. Angesichts eines drohenden Bürgerkrieges hat sich das Oberste Verfassungsgericht dennoch entschieden, die Übertragung der Macht vom bisherigen Präsidenten Marc Ravalomanana zunächst ans Militär und dann auf Rajoelina als legal zu bestätigen.

Den Rückhalt der Justiz kann Rajoelina gut gebrauchen, denn international stößt die Machtübernahme mittels Abstimmung mit den Füßen und militärischer Unterstützung statt über die Wahlurnen auf Skepsis. Am heutigen Donnerstag berät der Sicherheitsausschuss des regionalen Staatenbundes des südlichen Afrikas SADC über die Lage in Madagaskar. SADC hat wie auch die Afrikanische Union das undemokratische Vorgehen der Opposition kritisiert. Trotzdem dürfte die normative Kraft des Faktischen eine Rückkehr des 2006 für eine zweite fünfjährige Amtszeit gewählten Marc Ravalomanana verhindern.

Rajoelina hat damit den 59-jährigen Ravalomanana mit dessen eigenen Waffen geschlagen: Kanalisierung der Unmut über die desaströsen sozialen Verhältnisse: 70 Prozent fristen von weniger als einem US-Dollar pro Tag ihr Dasein.

Daran hat der 2002 angetretene Ravalomanana trotz gegenteiligen Anspruchs wenig bis nichts zu ändern vermocht. Rajoelina, der einst als Diskjockey die Kommunikation mit den Zuhörern pflegte, um danach als Medienunternehmer mit der ersten digitalen Druckerei der Insel und dem Fernsehund Radiosender Viva durchzustarten, ist nun an seinem vorläufigen Ziel: mächtigster Mann in Madagaskar.

Seine verlautbarten politischen Ziele sind denen seines Vorgängers so unähnlich nicht: Er werde den Kampf gegen die Armut ins Zentrum seiner Arbeit stellen. Rajoelina versprach vor 15 000 Anhängern gestern unter anderem, sich für niedrigere Preise für Reis und andere Grundnahrungsmittel einzusetzen. In Anspielung auf seinen Vorgänger Ravalomanana, dem das größte Firmenimperium Madagaskars samt einem Lebensmittelkonzern gehört, sagte Rajoelina: »Ich werde keinen Reis und kein Öl verkaufen.« Wenn er Amt und Geschäft nicht verquickt, wäre in der Tat schon etwas gewonnen.

Martin Ling



Madagaskar: Armee entscheidet den Machtkampf zugunsten Frankreichs

Von Raoul Wilsterer ***

Antananarivo. Für ein – vorläufiges – Ende des madagassischen Machtkampfes sorgt in diesen Tagen das Militär. Dabei deutet manches darauf hin, daß die ehemalige Kolonialmacht Frankreich (1896–1960) die sich über Monate hinschleppende Entscheidung abrupt herbeiführte. Zunächst waren am Montag in der Hauptstadt Antananarivo »oppositionstreue Soldaten« (Berliner Zeitung) mit Panzern auf die Zentralbank sowie den Amtssitz von Präsident Marc Ravalomanana vorgerückt. Tags drauf gab Ravalomanana, der sich im Präsidentenpalast verschanzt hatte, klein bei und die Staatsgewalt in die Hände der Armeeführung. Welche Rolle der korrupte, milliardenschwere Multiunternehmer zukünftig zu spielen gedenkt und welche ihm von der neuen Herrschaft zugestanden wird, blieb auch am Mittwoch offen.

Die Generalität schuf unterdessen Fakten und erhob Oppositionsführer Andry Rajeolina zum neuen Staatsoberhaupt, zu dem sich dieser am Samstag zuvor bereits selbst erklärt hatte. Dieser trage jetzt die Verantwortung für das Land, sagte Vizeadmiral Hyppolite Rarison Ramaroson bei der »Übergabezeremonie« (AFP). Der Präsident von Gnaden der Armee, der während der Straßenkämpfe im Februar zeitweise Asyl in der französischen Botschaft gefunden hatte, setzt nun auf eine zweijährige Konsolidierungsphase, an deren Ende Neuwahlen stehen sollten.

Der lange Zeitraum unterstreicht die Labilität der Lage: Unklar bleibt die zukünftige wirtschaftliche Orientierung. Hatte Ravalomanana einen korrupten neoliberalen Kurs gesteuert, der ausländischem Kapital den Zugang zu Boden und Bodenschätzen – zum Beispiel Nickel und Kobalt – öffnete, setzt Rajeolina auf die nationale Bourgeoisie ebenso wie auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Paris. Diese waren vom bisherigen Präsidenten, der 2002 das Amt vom zuletzt autokratisch herrschenden Didier Ratsiraka übernommen hatte, mehrfach in Frage gestellt worden. Ratsiraka lebt seit seiner Flucht im Juli 2002 im französischen Exil. Von Paris-Neuilly aus sprach er sich jüngst für Rajeolina aus. Als neuer Präsident dürfte dieser innerhalb der nächsten Wochen so manchen aus dessen alter Gefolgschaft in führende Positionen bringen.

Auf daß auch alles legal erscheine, bestätigte am Mittwoch das Verfassungsgericht von Madagaskar die »Machtübertragung« an den 34jährigen Medienunternehmer Rajeolina – und verstieß damit gegen die Verfassung der südostafrikanischen Inselrepublik: Diese sieht für das Amt des Präsidenten ein Mindestalter von 40 Jahren vor. Trotzdem wurde in Antananarivo gefeiert (Foto) – unter Aufsicht.

*** Aus: junge Welt, 19. März 2009


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