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Waffen schweigen auf Madagaskar

Ende eines zögerlichen Putsches in Antananarivo bringt 34-Jährigen an die Spitze

Von Marc Engelhardt, Nairobi *

Nach wochenlangen Protesten trat Madagaskars Präsident Ravalomanana ab. Oppositionsführer Rajoelina ernannte sich erneut zum Nachfolger, in den Straßen feiert man das Ausbleiben eines Bürgerkriegs.

Schüsse, Explosionen und das Donnern schwerer Geschütze hallten die Nacht zum Dienstag (17. März) durch Madagaskars Hauptstadt Antananarivo. Es schien, als habe der seit Wochen befürchtete Bürgerkrieg zwischen Anhängern von Präsident Marc Ravalomanana und denen von Oppositionsführer Andry Rajoelina begonnen. Nachdem oppositionstreue Soldaten mit Panzern den Sitz des Präsidenten und die Zentralbank in ihre Gewalt gebracht hatten, nahm die seit Wochen andauernde Krise allerdings ein überraschend schnelles Ende. Nicht einmal zwölf Stunden später erklärte Ravalomanana, der sich gemeinsam mit Anhängern in seinem Palast am Stadtrand verschanzt hatte, seinen Rücktritt. »Der Präsident hat die Macht ans Militär übergeben«, bestätigte Ravalomananas Sprecher Andry Ralijaona am Dienstagnachmittag (17. März). »Deren hochrangigster Anführer ist Hyppolite Ramaroson.« Mit der Machtübergabe an den Marineadmiral wahrt Ravalomanana die Verfassungsmäßigkeit. Doch kurz nach der Rücktrittserklärung sah es so aus, als könne niemand den Aufstieg Rajoelinas an die Spitze des armen Inselstaats verhindern.

Der 34-jährige, Spitzname: TGV (nach dem französischen Expresszug), zog mit gewohnter Rasanz und Selbstzufriedenheit in einem Triumphzug durch die Stadt. Dort feierten die Madagassen vor allem das Ausbleiben von Kämpfen. Denn obwohl der ehemalige Radiomoderator und Werbeprofi Rajoelina vor allem in der Hauptstadt Rückhalt genießt, hatten die Bewohner der Armenviertel in den vergangenen Wochen eine Rückkehr zur Normalität herbeigesehnt – egal, mit wem an der Spitze.

Beide Führer sind sich ähnlich. Sie sind reich und stammen aus der Wirtschaft, nicht der Politik. Beide waren zunächst Bürgermeister der Hauptstadt und profilierten sich als Hoffnungsträger. Beide besitzen Radio- und Fernsehsender, die in den vergangenen Wochen zu Propagandamaschinen verkommen sind. Und beide waren bis zum Schluss bereit, für die politische Macht über Leichen zu gehen – mehr als 130 Menschen, so die bisherige Bilanz, sollen seit Ende Januar ums Leben gekommen sein. Ravalomanana, dessen Palast am Stadtrand von einem »menschlichen Schild« aus Hunderten treuen Anhängern geschützt wurde, hatte noch am Dienstagmorgen angekündigt, er sei bereit, im Kreis seiner Verteidiger zu sterben. Wo sich Ravalomanana nach seinem Rücktritt befand, war unklar. Er hatte angekündigt, auf Madagaskar bleiben zu wollen. Seine neue Macht verdankt Rajoelina vor allem dem Militär. Nach wochenlangem Zaudern setzte sich am Montag die oppositionsnahe Fraktion um Oberst André Andrianarijaona durch. Kurz darauf begann der Sturm auf den Präsidialsitz. Zweite Kraft hinter Rajoelina ist Frankreich. Ravalomanana, reichster Mann des Landes, hatte die ehemalige Kolonialmacht mit seiner Politik oft vors Schienbein getreten, etwa als er darüber sinnierte, Englisch als Staatssprache einzuführen. Die Franzosen bauten Rajoelina mit auf und gewährten ihm zwischenzeitlich sogar in ihrer Botschaft Asyl.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2009

Abgewirtschaftet

Von Martin Ling **

Der Bürgerkrieg scheint abgewendet: Madagaskars gewählter Präsident Marc Ravalomanana hat die Macht einem Militärdirektorium übergeben. Den Machtkampf gegen seinen 34-jährigen Herausforderer Andry Rajoelina hat er damit fürs Erste verloren.

Ravalomanana hat offenbar das Rad überdreht. Seit 2001 krempelte er ganz Madagaskar radikal um. Als Vorbild diente ihm sein Unternehmen Tiko. Seinen Erfolg in der Wirtschaft versuchte Ravalomanana auf den Staat zu übertragen, indem er viele der so genannten Tiko Boys ins Parlament und in die Administration holte. Doch sein nach der Wiederwahl 2006 begonnener Madagaskar-Aktionsplan, mit dem ein dauerhaftes und schnelles Wachstum durch die Stimulierung der Marktkräfte erreicht werden sollte, ging an der Armut der Bevölkerung vorbei. Die Liberalisierung sorgte für wachsende Einkommensunterschiede und volle Kassen bei seinem Konzern. Die Bevölkerung wählte Ravalomanana zwei Mal für den Wandel, doch die Dividende für die Mehrheit blieb aus.

Ob sich daran unter der Militärherrschaft etwas ändert, ist zu bezweifeln. Und auch Rajoelina hat bisher nur den Unmut kanalisiert und sich nicht mit alternativen Konzepten profiliert. Madagaskar braucht alsbald Neuwahlen für einen Neuanfang. Das Militär ist keine Lösung.

** Aus: Neues Deutschland, 18. März 2009 (Kommentar)




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