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Junckerland in Schneiderhand?

Ein Politikwechsel ist bei den Neuwahlen in Luxemburg unwahrscheinlich

Von Anina Valle Thiele, Luxemburg *

In Luxemburg sind am Sonntag (vorgezogene) Neuwahlen. Obwohl Premier Juncker über eine Geheimdienstaffäre strauchelte, sieht alles danach aus, dass seine CSV auch die nächste Regierung stellt.

Jean-Claude Juncker, der das Großherzogtum seit 18 Jahren ununterbrochen regiert, wird wohl mit seiner konservativen Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) die Wahl wieder gewinnen. Trotz Geheimdienstskandal und einem Showdown im Parlament, bei dem der Koalitionspartner sich mit der Opposition verbündet hatte, um Neuwahlen zu forcieren. Zwar ist sein sozialdemokratischer Kontrahent Etienne Schneider allemal charismatischer als ein Peer Steinbrück. Doch obwohl Junckers Image Kratzer erlitten hat, ist sein Ansehen als Landesvater noch immer fast unangefochten, gilt sein Sieg am Sonntag als sicher. Juncker, der angibt, keine Ambitionen mehr in der Europapolitik zu haben, konnte ähnlich wie Merkel den Wahlkampf bequem aussitzen. Seine Popularität scheint anzuhalten – auch wenn die Hälfte der Luxemburger mittlerweile angibt, einen Wechsel zu wünschen.

Bei »Juncker on Tour« und in Fernsehtalkshows wirkt der Premier, dem sich tiefe Falten ins Gesicht gegraben haben, zwar etwas müde, ist sonst aber ganz der Alte. Immer einen flapsigen Spruch auf den Lippen, schüttelt er Hände und verteilt Küsschen. Die Rentnerinnen sind entzückt.

Sein Kontrahent Etienne Schneider dagegen ist der junge, joviale, sportliche Typ. Auf Wahlplakaten wirkt er etwas missionarisch – fast wie Ben Kingsley als Mahatma Gandhi in jung. Der Ökonom Schneider verspricht soziale Lösungen für die in Luxemburg drängenden Probleme: die im EU-Durchschnitt zwar vergleichsweise niedrige, doch wachsende Arbeitslosigkeit, der überteuerte Mietmarkt, die steigende Staatsverschuldung von aktuell 24,9 Prozent. Sein Auftreten ist selbstsicher, aber nicht frei von Schnöseligkeit. »Mehr Wachstum schaffen, um mehr Steuereinnahmen reinzubekommen« lautet eine von Schneiders Devisen. In weiten Kreisen gilt Schneider, der mit seiner Homosexualität offen umgeht, im Grunde als wirtschaftsfreundlich, als »Neoliberaler«, während Juncker gerade den zahlreichen Staatsbeamten als Garant des Wohlstands gilt. Ganz entgegen linker, landläufiger Meinung rühmt sich Juncker, dem Neoliberalismus im Land Einhalt geboten zu haben. Im christlich-sozialen Luxemburg erhalten Leiharbeiter den gleichen Lohn wie Festangestellte, prekäre Beschäftigung ist noch immer die Ausnahme, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis der weit überwiegende Normalfall. Im Prinzip erfolgt eine zwingende Lohnanpassung gemäß Preissteigerung und die Sozialsysteme funktionieren vergleichsweise gut.

Und auch seine eigene »Vision« für die Europäische Union verpackt Juncker als »sozial« und spricht sich etwa für soziale Mindeststandards im Bereich der Arbeitnehmerrechte, des Kündigungsschutzes oder sogar beim Mindestlohn aus. Schneider hingegen wirkt wie ein Aufsteiger, wenn auch wie einer, der etwas kann. Dass er nur zwei Jahre, nachdem er in die Regierung gewählt wurde, nun schon Premier werden will, empfinden vor allem Konservative als anmaßend.

Das kleine Land, das rund eine halbe Million Einwohner zählt, darunter knapp 45 Prozent Ausländer, ist mehr als ein Finanzplatz. Im Süden in Belval, Schifflingen, Esch-sur-Alzette und Differdingen florierte einst die Stahlindustrie. Nun werden auch hier die Arcelor-Stahlindustriewerke, aufgekauft durch Mittal, sukzessive aufgegeben. Die Krise hat längst auch das reiche Großherzogtum eingeholt. Dennoch geht es den Luxemburgern nicht schlecht. Der (»nicht-qualifizierte«) Mindestlohn liegt aktuell bei 1870 Euro und vor allem die Gehälter für Staatsbeamte sind – dank solider Steuereinnahmen – im europäischen Vergleich noch immer üppig, wenn auch die Lebenshaltungskosten hoch sind. Mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit steht das zweitkleinste Land der EU im europäischen Vergleich gut da.

Dennoch wächst vor allem im Süden die Jugendarbeitslosigkeit. Diese und der zu knappe Wohnraum bei horrenden Mieten waren dominierende Wahlkampfthemen. Aber auch die Frage des Ausländerwahlrechts wurde in den vergangenen Wochen noch zum Medienthema. Obwohl die Wahlpflicht in der Verfassung festgeschrieben ist, dürfen immerhin rund 45 Prozent der in Luxemburg lebenden Nicht-Luxemburger am kommenden Sonntag nicht wählen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 19. Oktober 2013


Neuanfang mit den Alten

Parlamentswahl in Luxemburg: Regierungsparteien wollen mit "Mister Euro" und "Lust auf morgen" punkten. Gewerkschaft sieht KP-Programm "ganz auf Linie"

Von Uli Brockmeyer **


Luxemburg wird seit einigen Wochen von einem heftigen Wahlkampf durcheinandergewirbelt. Insgesamt neun Parteien sind angetreten, um bei vorgezogenen Parlamentswahlen möglichst viele ihrer Vertreter in die Chambre des Députés, die Abgeordnetenkammer, schicken zu können. Straßen, Plätze, Zäune und Laternen zeigen sich im »Schmuck« unzähliger Wahlplakate mit den Porträts von Spitzenkandidaten und den unterschiedlichsten Losungen der Parteien. Da heißt es etwa »Zusammen für Luxemburg« oder »Fair und sozial« bei der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV), die mit Jean-Claude Juncker punkten will, ihrem langjährigen Premierminister, der im vergangenen Dezember sein 30. Jahr als Mitglied unterschiedlicher luxemburgischer Regierungen feiern konnte, und der sich weit über Luxemburg hinaus als langjähriger Chef der Eurogruppe einen Namen als »Mister Euro« gemacht hat.

Und dann sehen wir überall einen Herrn mit ziemlich kahlem Schädel, der als bisheriger Wirtschaftsminister eine Menge Verantwortung für den wirtschaftlichen Abstieg Luxemburgs auf sich geladen hat. Es ist Etienne Schneider von der Luxemburgischen Sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP), die in den vergangenen Jahren in Koalition mit der CSV die Regierung stellte. Herr Schneider, der allzu gern neuer Premier werden möchte, läßt von den Plakaten verkünden, daß er »Lust auf morgen« hat, denn das ist der offizielle Wahlslogan seiner Partei.

Das Motto gibt eigentlich zu denken, denn die LSAP hat den entscheidenden Anteil daran, daß die Kammerwahlen nicht wie geplant im Mai nächsten Jahres – zusammen mit den Wahlen zum EU-Parlament – stattfinden können. Die hiesigen Sozialisten hatten nämlich erkannt, daß sie angesichts des stetigen Sozialabbaus – den sie natürlich in ihrer Wahlkampagne heftig abstreiten – bei Wahlen zum regulären Termin 2014 einen kräftigen Einbruch bei ihren Wählerstimmen zu erwarten hätten. Um den Abschwung bei der Wählergunst ein wenig abzumildern, nutzten sie im Juli einen eher nichtigen Anlaß, um die Koalition mit Junckers CSV aufzukündigen und damit die Auflösung des Parlaments und der Regierung zu provozieren.

Über Wochen und Monate waren in Luxemburg quasi scheibchenweise etliche Skandale um den einheimischen Geheimdienst SREL durchgesickert. Da ging es um massenweise Datensammlungen über großherzogliche Untertanen, vor allem solche, die Verbindungen in damalige sozialistische Länder hatten oder einfach nur dorthin in Urlaub reisten. Es ging um illegale Abhöraktionen durch die hiesigen Schlapphüte und vor allem um bisher nicht aufgeklärte Verstrickungen in eine Serie von Bombenattentaten in den frühen 80erJahren, die in einem seit Monaten laufenden Gerichtsverfahren jetzt möglicherweise aufgeklärt werden sollen. Die simple Tatsache, daß der Premierminister – ebenso wie andere Regierungschefs der EU- und NATO-Länder – darüber nicht öffentlich reden wollte, führte schließlich am 10. Juli zum offenen Bruch der Koalition.

Ein durchaus angenehmer Nebeneffekt des faktischen Austritts der Sozialisten aus der Regierung besteht darin, daß sie über ihre Regierungsarbeit keine Rechenschaft ablegen müssen und statt dessen nun von einem »Neuanfang« reden können. Ob die Wähler ihnen das abnehmen, wird sich am Sonntag abend zeigen.

Seit den vorigen Wahlen sind Tausende Arbeitsplätze plattgemacht worden, viele Betriebe mußten ihre Produktion einstellen oder stark reduzieren. Nach offiziellen Angaben leben 15,1 Prozent der Luxemburger unter oder in der Nähe der Armutsgrenze. Soziale Errungenschaften, die von der Arbeiterklasse über Jahrzehnte erkämpft worden waren, wurden und werden Stück für Stück abgebaut, neue Steuern und Abgaben belasten besonders die arbeitenden Menschen. Die Regierung hat unter der Federführung eines »sozialistischen« Ministers eine »Rentenreform« beschlossen, die viele Luxemburger als Rentenklau bezeichnen. Derselbe Minister hat eine »Gesundheitsreform« durchgedrückt, in deren Folge immer mehr Menschen Angst vor Arztbesuchen haben, weil sie nicht wissen, ob die die geforderten Zuzahlungen für eine Untersuchung oder Behandlung und für Medikamente bezahlen können.

Bei einem Teil der Luxemburger hat diese Entwicklung bereits dazu geführt, daß sie intensiver als früher über ihre Lage und ihre Zukunft nachdenken. So hat zum Beispiel die der LSAP nahestehende Gewerkschaft OGBL in dieser Woche dazu aufgerufen, nicht CSV zu wählen, aber ansonsten keine Wahlempfehlung ausgesprochen. Bei einem Treffen mit führenden Vertretern der Kommunistischen Partei Luxemburgs erklärte OGBL-Chef Jean-Claude Reding allerdings, daß das Wahlprogramm der KPL »ganz auf der Linie« der Forderungen der Gewerkschaft liege.

** Aus: junge Welt, Samstag, 19. Oktober 2013


Großherzogtum vor den Wahlen

Im Großherzogtum Luxemburg finden an diesem Sonntag vorgezogene Wahlen zur Abgeordnetenkammer statt. Von den rund 530000 Einwohnern sind rund 225000 Bürger über 18 wahlberechtigt. Sie bestimmen die Zusammensetzung des aus 60 Abgeordneten bestehenden Parlaments. Das kleine Land ist in vier Wahlbezirke aufgeteilt, wobei im Bezirk Süden nicht nur die traditionellen Arbeiterstädte und -gemeinden liegen, sondern mit rund 90000 auch die meisten Wahlberechtigten leben.

Bei den Kammerwahlen 2009 erreichte die Christlich Soziale Volkspartei (CSV) 38,0 Prozent, die Luxemburgische Sozialistische Arbeiterpartei (LSAP) 21,6, die liberale Demokratische Partei (DP) 15,0, die grüne Partei Déi Gréng 11,7, die national-konservative Alternativ-Demokratische Reformpartei (ADR) 8,1, Die Linke 3,3 und die Kommunistische Partei Luxemburgs 1,5 Prozent. Bei den diesjährigen Wahlen treten zusätzlich die Piratenpartei und eine von einem ADR-Renegaten gegründete Partei für Integrale Demokratie an.

In Luxemburg besteht für den Einzug ins Parlament keine Sperrklausel, aber angesichts des besonderen Wahlsystems liegt die Mindestzahl der Wählerstimmen für ein Mandat bei etwa vier Prozent im Bezirk Süden und bei rund zwölf Prozent im Bezirk Osten.

Die KPL, die von 1945 bis 1993 in einigen Legislaturperioden mit bis zu sechs Abgeordneten in der Kammer vertreten war, ist in allen vier Wahlbezirken mit offenen Listen unter dem Namen »KPL – die Kommunisten« angetreten. In ihrem Wahlprogramm unterbreitet sie konkrete Vorschläge wie zum Beispiel die Erhöhung der Steuern auf Investmentfonds von gegenwärtig 0,01 Prozent auf 2,5 Prozent. Diese bescheidene Steuererhöhung allein würde dem Staat rund sechs Milliarden Euro einbringen. Durch den Verzicht auf den geplanten Kauf des Militärtransportflugzeuges A400M, würden Mittel frei, mit denen für 300 Jugendliche ein Ausbildungsplatz für drei Jahre bei Bezahlung des Mindestlohns finanziert werden könnten. Die Kommunisten hoffen, im Bezirk Süden – wo sie 2009 2,16 Prozent erreicht hatten – die notwendige Stimmenzahl für mindestens ein Mandat zu bekommen. (ub)

(junge Welt, Samstag, 19. Oktober 2013)




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