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47 Tote, 188 Gewählte

Libyen: Liberale erringen Mehrheit im Parlament. Rivalisierende Rebellengruppen liefern sich ­weiter Gefechte um Flughafen von Tripolis. Außenminister bittet UN um Hilfe

Von Karin Leukefeld *

Mit einem Tag Verspätung hat die libysche Wahlkommission am Montag in Tripolis die Ergebnisse der Parlamentswahlen bekanntgegeben. Wegen anhaltender Kämpfe um den internationalen Flughafen der Hauptstadt war die Veröffentlichung der Resultate zunächst verschoben worden. Die UN-Unterstützungsmission für Libyen (UNSMIL) hat wegen der verschlechterten Lage ihre Mitarbeiter »vorläufig« aus dem Land abgezogen.

Bei den Wahlen am 25. Juni 2014 waren lediglich Einzelkandidaten zugelassen, Listen waren nicht erlaubt. Die Stimmenauszählung ergab, daß Liberale die Mehrheit der Sitze erringen konnten. Alle 1714 Frauen und Männer, die angetreten waren, wurden als »unabhängig« registriert. 188 der 200 Parlamentssitze seien besetzt worden, erläuterte ein Sprecher der Wahlkommission. Die restlichen zwölf Sitze konnten nicht vergeben werden, weil in den betreffenden Wahlbezirken die Stimmabgabe boykottiert oder wegen zu großer Unsicherheit abgesagt worden war. Nur 42 Prozent der 1,5 Millionen Berechtigten hatten an der Wahl teilgenommen, einige der nun gewählten Abgeordneten erhielten weniger als 1000 Stimmen.

Das letzte Parlament Libyens war im Juli 2012 gewählt worden, und wurde von islamistischen Gruppen und Parteien dominiert, die der Muslim-Bruderschaft nahestehen. Nachdem die Abgeordneten im Februar 2014 ihre Amtszeit nicht turnusgemäß beendet, sondern bis Dezember verlängert hatten, war es zu einem Aufstand gekommen. De facto wurde das alte Parlament durch bewaffnete Einheiten des ehemaligen Generals Khalifa Haftar gestürzt.

Abzuwarten bleibt nun, ob und wie sich die neuen Abgeordneten zu politischen Fraktionen formieren werden. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zitierte am Montag namentlich nicht genannte Analytiker, die davon ausgehen, daß die Islamisten nur 30 Sitze erringen konnten. Möglich sei, daß sich nun die bewaffneten Auseinandersetzungen um die Macht zwischen religiös motivierten Kämpfern und säkularen Milizen verschärfen. Derweil gingen die Kämpfe um den internationalen Flughafen von Tripolis auch am Dienstag weiter. Seit dem 13. Juli wurden dort bei Gefechten mindestens 47 Personen getötet. Ein ausgehandelter Waffenstillstand war am Wochenende gebrochen worden. Die Infrastruktur des Flughafens sei weitgehend zerstört, auch etliche Flugzeuge seien betroffen, berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP. Die Autobahn, die vom Flughafen ins 25 Kilometer entfernt liegende Zentrum von Tripolis führt, wurde bei den Kämpfen zwischen Milizen aus Misrata und Zintan ebenfalls beschädigt. Beide Rebellengruppen waren während des Krieges 2011 gegen den damaligen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi von NATO-Staaten und von Katar ausgerüstet worden.

Der amtierende libysche Außenminister Mohammed Abdelaziz bat nun die Vereinten Nationen, beim Aufbau einer neuen libyschen Armee und der Polizeikräfte zu helfen. Die UN sollen seinen Wünschen zufolge auch den Flughafen und die Ölförderanlagen schützen, die bereits teilweise unter der Kontrolle von konkurrierenden Milizen stehen. Der libysche Staat scheint zu zerfallen, es gibt Berichte von Angriffen auf staatliche Institutionen, Bewaffnete sollen Fahrzeuge der Zentralbank angegriffen haben. Die Banken sind geschlossen. Das philippinische Außenministerium teilte am Montag mit, daß ein in Libyen arbeitender philippinischer Bauarbeiter von Kämpfern einer namentlich nicht genannten Miliz geköpft worden sei. Der Mann sei am 15. Juli an einem Kontrollpunkt entführt worden und wurde offenbar getötet, weil er kein Muslim gewesen sei, sagte Außenamtssprecher Charles Jose. Der Mann sei in einem Wagen mit einem pakistanischen und einem libyschen Kollegen unterwegs gewesen. Zunächst hätten die Entführer von der Firma des Mannes 160000 US-Dollar gefordert, später hätten sie der Firma gesagt, sie sollten in einem Krankenhaus nach ihrem Mitarbeiter suchen. Dort fand man die sterblichen Überreste des geköpften Mannes. Inzwischen seien die rund 13000 philippinischen Bürger in Libyen zum Verlassen des Landes aufgefordert worden. Der einzige sichere Weg aus Libyen heraus ist derzeit der Landweg nach Tunesien.

Wie unsicher selbst die Straßen nach Ägypten sind, zeigte am Wochenende ein Überfall libyscher Kämpfer auf einen Grenzposten, bei dem 21 ägyptische Soldaten getötet wurden. Die Kämpfer hatten Angaben des ägyptischen Militärs zufolge mit Mörsergranaten und Maschinengewehren angegriffen und ein Munitionsdepot gesprengt, als die Militärs gerade das abendliche Fastenbrechen während des Ramadan feierten, der in der kommenden Woche zu Ende geht.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 23. Juli 2014


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