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"Für die Konzerne zahlt sich das in der Tat aus"

Polizei- und Militärapparat in Libyen wird zügig nach EU-Vorgaben ausgebaut. Ein Gespräch mit Andrej Hunko *


Andrej Hunko (Die Linke) ist Mitglied im EU-Ausschuß des Deutschen Bundestages und in der parlamentarischen Versammlung des Europarats.


Sie monieren, daß ein EU-Projekt zum Schutz Asylsuchender in Libyen nicht zustande kommt, während der Aufbau des Polizei- und Militärapparates dort floriert. Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Teil der Politik der Mitgliedstaaten der EU ist es, Flüchtlinge nicht nur an den eigenen Grenzen, sondern möglichst vorgelagert abzuwehren. Die EU hat die Polizeimis­sion EUBAM (European Union Border Assistance Mission) gestartet, um in Libyen eine Gendarmerie nach italienischem Vorbild zu schaffen. Diese dem Militär unterstehende Truppe wird zunächst zur Überwachung der Grenzen eingesetzt. Später könnte sie auch dazu dienen, Ölanlagen von Konzernen aus der EU zu überwachen. Bislang sind daran etwa 20 deutsche Polizisten beteiligt.

Für die Teile der libyschen Bevölkerung, die flüchten müssen, wird es so noch schwieriger, nach Europa zu kommen. Das von der EU geförderte Projekt SAHARA-MED zum Aufbau des Schutzes für Geflüchtete kann hingegen nicht begonnen werden: Laut Bundesregierung haben die »libyschen Partner« die Zusammenarbeit mit dem italienischen Flüchtlingsrat abgelehnt. Das geht aus den Antworten auf eine kleine Anfrage hervor, die Die Linke kürzlich an die deutsche Bundesregierung gerichtet hat.

Welche Rolle nimmt die Bundesregierung bei der Flüchtlingsabwehr ein?

Deutschland ist in diesem Fall nicht federführend, weil die italienische Regierung hierbei maßgeblich engagiert ist. Italien errichtet Anlagen zur Überwachung der libyschen See- und Landgrenzen. Diese werden an italienische Kontrollräume angeschlossen. Ziel ist es, Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa zu hindern. Werden sie noch in libyschen Hoheitsgewässern aufgespürt, ersparen sich EU-Mitgliedstaten die Befassung mit Asylanträgen.

In Libyen ist der Schutz von Geflüchteten aber nicht garantiert. Berichtet wird über schwere Mißhandlungen durch Polizei oder Milizen. Dennoch schickt Italien Drohnen an die südliche Grenze von Libyen, um dort die Grenzüberwachung zu unterstützen. Gesagt werden muß: Die deutsche Bundesregierung unterstützt dieses Vorgehen generell. Besonders geht es wohl darum, Ölplattformen, bei denen italienische, britische und deutsche Konzerne engagiert sind, durch eine militarisierte Polizei zu schützen.

Die Linke lehnt das gesamte System ab. Die Bundesregierung muß Druck machen, es einzustellen und durch humanitäre Flüchtlingspolitik zu ersetzen: Und sie muß sich dafür einsetzen, daß in Libyen humanitäre Standards eingehalten werden. Von Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte ist dieser Staat weit entfernt.

Wie sind deutsche Firmen in den Militär- und Polizeiaufbau in Libyen eingebunden?

Deutsche Einrichtungen beteiligen sich an der Aufrüstung zur Überwachung im Mittelmeer. Ein Fraunhofer-Institut, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Rüstungskonzern EADS entwickeln ein satellitengestütztes System, um kleine Boote schon bei der Abfahrt zu entdecken. Für die Konzerne zahlt sich das kürzlich in Kraft getretene gnadenlose europäische Abschottungssystem EUROSUR in der Tat aus: Sie liefern zu. Ziel ist es, Alarm an alle Beteiligten eines Netzwerks von Mittelmeeranrainern auszugeben, damit die EU-Staaten gar nicht erst in die Verlegenheit kommen, Asylanträge prüfen zu müssen. Libyen hat bereits erklärt, mitarbeiten zu wollen; auch Tunesien und Ägypten sollen dazu von der EU überredet werden.

Die EU-Migrationspolitik gerate zu einem quasi-geheimdienstlichen Unternehmen, sagen Sie. Wie meinen Sie das?

Ein ausgeklügeltes Spionage- und Ausspähungssystem wird entwickelt, um Auswanderungsbewegungen zu überwachen. Es unterliegt keiner parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle mehr. Die EU-Grenzagentur FRONTEX, mit Hauptsitz in Warschau, die so agiert, ist dem EU-Parlament nicht rechenschaftspflichtig. Wir können ihre Vertreter nicht einmal in EU-Ausschüsse zitieren. Das ist eines der maßgeblichen Demokratie-Probleme auf europäischer Ebene. Ich fordere die Bundesregierung auf, die angebliche Sicherheitskooperation mit Libyen einzustellen sowie darauf hinzuwirken, das EUROSUR-System insgesamt zu beenden.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014


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