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Rette sich aus Libyen, wer kann

Brennende Großtanks, marodierende Milizen und ein umkämpfter Flughafen lassen Ausländer flüchten

Von Roland Etzel *

Bei dem Großfeuer in der libyschen Hauptstadt Tripolis hat ein zweiter Treibstofftank Feuer gefangen. Die Lage sei »sehr gefährlich«, teilte die libysche Regierung am Montag mit.

Es brennt in Libyen und das an seinen empfindlichsten Stellen, wo sich Erdgas und vor allem Öl in gigantischen Reservoirs befinden. Zwar wird noch nicht wieder so viel Öl gefördert wie vor dem Bürgerkrieg 2011, aber genug, dass sich rivalisierende Milizen einen erbitterten und rücksichtslosen Kampf um das milliardenschwere Exportgut liefern. Die libysche Regierung warnte am Montag laut AFP vor einer »humanitären und Umweltkatastrophe«, deren Folgen schwer abzusehen seien.

Das ist milde ausgedrückt. Die westlichen Staaten wissen momentan wohl nicht, was sie mehr fürchten sollen: die Explosionen und Großbrände oder Privatarmeen und Söldnerbanden. Eines der derzeit umkämpften Objekte ist der Flughafen von Tripolis. Über diesen nutzten die westlichen Botschaftsvertreter nach der Devise »Rette seich, wer kann!« jede sich noch bietende Gelegenheit, dem Kriegsmoloch Libyen zu entkommen. Klickt man die entsprechenden Informationsseiten an, findet man allerdings keine ausländische Fluggesellschaft mehr, die Tripolis oder einen anderen Flughafen des Landes anfliegt. Es gibt wohl auch keinen politischen Druck wie im Falle Israels, das ausländische Airlines nötigte, Tel Aviv trotz Beschusses durch Hamas-Raketen zu bedienen.

Den Italienern war dies sowieso zu unsicher. Sie nahmen den etwa 200 Kilometer langen Landweg zur tunesischen Grenze. Auch die deutschen Bürger sind vom Auswärtigen Amt aufgefordert worden auszureisen.

Das Botschafts- und sonstige Personal mit offiziellem Status sei am Morgen »aus Sicherheitsgründen vorübergehend evakuiert worden«, sagte eine Außenamtssprecherin am Montag in Berlin. Die Botschaft werde ihre Arbeit »in der Region fortsetzen«.

Erstaunlich ist, dass es trotz allem noch eine arbeitende Feuerwehr gibt, die sich seit Sonntag allerdings vergeblich müht, das Feuer in den Treibstofflagern zu löschen, die bei Kämpfen von Milizen mit Raketen in Brand geschossen worden waren. Die Behörden forderten inzwischen Löschflugzeuge aus dem Ausland an – in der Hoffnung, es reagieren wenigstens die Staaten, die vor drei Jahren hier Krieg führten, wie Frankreich oder die einstige Kolonialmacht Italien. Das Energieministerium forderte alle Anwohner aus einem Fünf-Kilometer-Ring um den brennenden Sechs-Millionen-Liter-Tank zur Flucht auf.

Der seit mehr als 60 Jahren in Libyen tätige deutsche Erdölproduzent Wintershall hat nach Angaben seines Sprechers schon Ende Mai entschieden, »alle verbliebenen internationalen Mitarbeiter temporär von anderen Standorten außerhalb Libyens arbeiten zu lassen«.

Gekämpft wird auch in der östlichen Metropole Bengasi. Dort sollen laut AFP bei Gefechten zwischen Regierungskräften und Milizen am Wochenende 28 Menschen getötet worden sein.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Juli 2014


Wer ließ Libyen scheitern?

Roland Etzel zum Chaos in Tripolis **

Als vor etwa 20 Jahren der Begriff »scheiternde Staaten« (failing states) Einzug in den politischen Wortschatz hielt, dachte dabei niemand an Libyen. Man hatte vor allem Somalia vor Augen: Bürgerkrieg, zerfallene staatliche Strukturen, eine machtlose Zentralregierung ... Am Horn von Afrika ist das noch immer so. Aber aktuell trifft das bezeichnete Chaos besonders auf Libyen zu.

Manch westlicher Politiker erweckt beim Dozieren über »scheiternde Staaten« den Eindruck, es handele sich bei letzteren geradezu um das Resultat von Naturkatastrophen. Das ist mindestens beschönigend, auch wenn die Schuldbilanz der ersten Welt von Land zu Land unterschiedlich ausfällt.

Bei Libyen ist es deutlich. Jeder, der sich an den NATO-Luftkrieg zum Sturz der Gaddafi-Herrschaft vor drei Jahren erinnert, konnte sehen: Es war verantwortungsloses politisches Abenteurertum des Westens, vor allem Frankreichs unter Sarkozy, in bemerkenswerter Kontinuität mitgetragen von seinem sozialistischen Nachfolger Hollande. Man wollte sich eines unbotmäßigen afrikanischen Führers entledigen. War die Art und Weise dessen schon völlig inakzeptabel, so kam hinzu, dass man nicht im mindesten wusste, wie es nach Krieg und Abzug weiter gehen sollte. Das war und ist so in Somalia und Irak und jetzt eben auch in Libyen. Dafür zahlt dessen Bevölkerung einen hohen Preis, und das auf nicht absehbare Zeit. Warum eigentlich gibt es dafür keine Anklage vor einem Internationalen Strafgerichtshof?

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Juli 2014 (Kommentar)


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