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USA suchen Asyl für Libyens Staatschef

NATO fliegt weiter Luftangriffe / Gaddafis Truppen setzen offenbar Streumunition ein *

Trotz der anhaltenden NATO-Bombardements hält sich Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi an der Macht. In der Stadt Misrata sollen seine Truppen Streumunition eingesetzt haben. Washington sucht laut Medienberichten nach einem Asylland für Gaddafi.

Die USA suchen offenbar intensiv nach einem Asylland für Muammar al-Gaddafi, obwohl der Machthaber Libyen auf keinen Fall freiwillig verlassen will. Wie die Onlineausgabe der »New York Times« am Sonnabend (16. April) berichtete, würden die Sondierungen mit großer Diskretion geführt und konzentrieren sich auf Afrika.

Die Suche eines Exillandes werde erschwert, weil Gaddafi wahrscheinlich Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag drohten, schreibt die »New York Times«. Dies gelte für den Anschlag auf einen PanAm-Jumbo 1988 über dem schottischen Lockerbie, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen, und Gräueltaten in Libyen. Ein Ausweg wäre, ein Aufnahmeland für den Staatschef zu finden, das sich nicht vertraglich zur Anerkennung dieses Gerichts verpflichtet hat, so das Blatt unter Berufung auf hohe US-Regierungsbeamte. Dazu gehörte etwa die Hälfte der afrikanischen Staaten.

Am Wochenende waren die Milizen der libyschen Regimegegner auf den Ölhafen Al-Brega vorgerückt. Bei den Kämpfen mit Gaddafis Truppen sollen sieben Aufständische getötet und 27 weitere verletzt worden sein, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Sonntag. Gaddafis Truppen hätten sich immer noch als waffentechnisch und taktisch überlegen gezeigt, sagte ein verwundeter Kämpfer dem Sender.

Wie die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch am Freitag (15. April) in New York berichtete, haben die Truppen Gaddafis Streumunition gegen Zivilisten eingesetzt. In der Nacht zum Donnerstag seien mindestens drei solcher Granaten über einem Wohnviertel der Stadt Misrata explodiert. Experten hätten die Munition begutachtet und als Mörsergranaten spanischer Produktion identifiziert. Streumunition sind Bomben oder Granaten, die sich in der Luft öffnen und zahlreiche kleinere Sprengsätze freigeben. Ein Sprecher der Regierung in Tripolis wies die Angaben über den Einsatz von Streumunition zurück.

Nach libyschen Oppositionsangaben feuerte die Armee in der Nacht zum Sonntag (17. April) erneut Raketen auf Misrata. NATO-Flugzeuge hätten am Tag zuvor 145 Einsätze geflogen, teilte die Militärallianz in Brüssel mit. Das waren so viele wie an den Vortagen. Dennoch verlangte der Kommandeur der Anti-Gaddafi-Truppen, General Abdulfattah Junis, am Sonntag in einem Interview mit Al-Dschasira eine »effizientere Leistung der NATO«.

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, sieht trotz der Luftangriffe noch kein Ende der Herrschaft Gaddafis. Militärisch herrsche ein Patt. »Die Gegend um Tripolis, also die Einflusszone Gaddafis, ist bevölkerungs- und stammesmäßig stärker als der Osten, wo die Rebellen die Überhand haben«, sagte Uhrlau gegenüber Journalisten. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière ist eine humanitäre Aktion unter Beteiligung der Bundeswehr in Libyen derzeit nicht wahrscheinlich. »Letztlich fußt alles auf einer Anfrage der Vereinten Nationen, und diese Anfrage wird zur Zeit nicht für wahrscheinlich gehalten«, sagte der CDU-Politiker am Sonntag im Deutschlandfunk.

* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2011


Aufschrei der Heuchler

Berichte über Einsatz von Streubomben in Libyen. NATO-Staaten geben sich entsetzt

Von Knut Mellenthin **


Die libyschen Streitkräfte sollen bei den Kämpfen um die Stadt Misurata drei oder vier Mörsergranaten mit Streumunition eingesetzt haben. Danach befragt, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton: »Ich bin über nichts überrascht, was Oberst Ghaddafi und seine Leute tun. Das ist eine besorgniserregende Meldung.« Noch viel weiter kann man die Heuchelei kaum treiben. Zwar ist die Mehrheit der Staaten der Welt einem Ende 2008 geschlossenen Abkommen beigetreten, das den Einsatz von Streumunition verbietet. Die USA gehören jedoch nicht zu den Unterzeichnern. Die NATO und ihre Verbündeten haben in früheren Kriegen massenhaft Streubomben und Streugranaten eingesetzt. So wurden im Jugoslawien-Krieg (1999) nach offiziellen Angaben 1392 Streubomben über 333 Zielen abgeworfen. Sie enthielten insgesamt rund 290000 Stück sogenannte Submunition. Jedes von diesen zerlegt sich wiederum in etwa 2000 Splitter, die besonders grausame Wunden verursachen. Gegen Afghanistan setzten die USA allein in den ersten Kriegsmonaten mindestens 1210 Streubomben mit 250000 Stück Submunition ein. Für den Irak-Krieg (2003) sind genaue Zahlen nicht bekannt. Mehrere tausend Stück Submunition liegen dort heute noch als Blindgänger herum. Israel warf im Libanon-Krieg (2006) riesige Mengen Streubomben auf mindestens 378 Ziele – nach unvollständigen Erkenntnissen einer UN-Abteilung – ab. Bis zu einer Million nicht explodierte Stücken Submunition gefährden die Bevölkerung Südlibanons. Allein im ersten Halbjahr nach Kriegsende wurden 162 Menschen durch solche Blindgänger verletzt, 26 starben.

Ein Sprecher der libyschen Regierung dementierte die Meldungen am Wochenende. Sein Land setze diese Waffen aus moralischen und rechtlichen Gründen nicht ein. Während die meisten Aussagen zu dem angeblichen Beschuß mit Streumunition sehr vage und unzuverlässig sind, behauptet die US-Organisation Human Rights Watch (HRW), ihre Vertreter hätten ein Granatenteil gesehen. Dieses gehöre eindeutig zu der von der spanischen Firma Instalaza hergestellten Mörser-Streumunition MAT-120. Spanien hat die Ächtung dieser Waffen unterschrieben und angeblich alle Bestände im Jahr 2009 vernichtet. Geht man aber auf die Internetseite von Instalaza und klickt auf der Bilderleiste oben die »Productos« an, erscheint an dritter Stelle die MAT-120 mit Kurzbeschreibung

** Aus: junge Welt, 18. April 2011


h3>Zerstörungen Von Uwe Sattler ***

Der Aufschrei über die jüngsten Meldungen aus Libyen klang in westlichen Hauptstädten zaghaft. Dabei war man in den vergangenen Wochen nie müde geworden, den Machthaber in Tripolis – zu Recht – für das Vorgehen gegen die Bevölkerung zu geißeln. Ganz still war es in Madrid. Verständlich, denn die Splittergranaten, die Gaddafis Armee gegen die Einwohner Misratas einsetzte, stammen aus spanischer Produktion. Selbst große Medien hielten sich mit Kommentaren zu den Terrorwaffen, die vor allem Kinder noch Tage nach dem Abschuss zerfetzen können, zurück: Von der Staatengemeinschaft mehrheitlich geächtet, lautete die Sprachregelung zur Streumunition. Offenbar wollte man die klare Aussage umgehen, dass nicht nur Libyen, sondern auch Staaten wie die USA und Russland die Konvention zum Verbot dieser Waffen nicht unterschrieben haben und damit nach wie vor gute Geschäfte gemacht werden.

Streumunition aus Spanien, Kampfjets aus Frankreich, Geschütze aus Schweden – es waren vor allem westliche Staaten, die Gaddafi mit Waffen versorgten, deren Einsatz sie nun anprangern. Und weshalb wurde an Tripolis gerade Streumunition geliefert, eine Waffenart, die dafür entwickelt wurde, »weiche Ziele« – sprich Zivilisten – anzugreifen? Wollte man dem Handelspartner und Wachhund gegen afrikanische Migranten, dem »extravaganten Freund«, wie Spaniens Ex-Premier Aznar am Wochenende sagte, Mittel an die Hand geben, um möglichst lange an der Macht zu bleiben? Die Granaten aus Spanien haben wohl das letzte bisschen Glaubwürdigkeit der Behauptung der westlichen Koalition, in Libyen gehe es ihr nur um den Schutz der Bevölkerung, zerstört.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. April 2011


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