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Westerwelle darf im Amt bleiben

Außenminister zollt NATO nun doch "Respekt" *

Weil Außenminister Westerwelle kein Wort des Respekts für den NATO-Einsatz in Libyen fand, kursierten Gerüchte über seine Ablösung. Die FDP-Spitze hat nun entschieden: Er darf auf seinem Posten weitermachen.

Die FDP will an Außenminister Guido Westerwelle festhalten, nachdem er der NATO für den Kampf-Einsatz in Libyen nun doch Respekt gezollt hat. Darauf verständigten sich am Sonntag (28. Aug.) die Spitzen der Partei. Für FDP-Chef Philipp Rösler komme eine Ablösung Westerwelles nicht infrage, hieß es. Der Außenminister habe mit seinem Lob für die »erfolgreiche« Mission spät, aber nicht zu spät eingelenkt.

Westerwelle hatte die Eroberung Tripolis durch die Rebellen zunächst auch mit der von Deutschland unterstützten Sanktionspolitik begründet – nicht aber mit den Angriffen der Militärallianz, an der sich die Bundesrepublik nach einer Enthaltung um UN-Sicherheitsrat nicht beteiligt hatte. Daraufhin hatte sich Rösler von Westerwelles distanziert: »Unser tiefer Respekt und unsere Dankbarkeit gelten auch unseren Verbündeten, die Gaddafis Mordeinheiten entscheidend in den Arm gefallen sind.«

Am Wochenende hatte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der »Bild am Sonntag« den Kampf-Einsatz gelobt: »Wir stehen fest zu unseren Verbündeten und zur NATO, für deren Einsatz ich tiefen Respekt habe.«

Westerwelle sah sich angesichts des zunehmenden Drucks zur Kehrtwende gezwungen. In der »Welt am Sonntag« sprach auch er von »Respekt« für das Bündnis. »Wir sind froh, dass es den Libyern auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen«, schrieb der ehemalige FDP-Vorsitzende in dem Gastbeitrag.

Partei-Chef Rösler betonte in der »Rheinischen Post«, dass sich alle FDP-Minister, auch Westerwelle, in der Regierung bewähren müssten. Generalsekretär Christian Linder sagte in der ARD: »Die Personalspekulationen liegen hinter uns, der Außenminister hat ebenfalls und zurecht unseren Partnern den Respekt ausgedrückt«.

Einen Plan, Westerwelle noch vor oder direkt nach den Kommunal- und Landtagswahlen in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zum Rücktritt zu drängen, gebe es nicht, so Rösler. Als mögliche Nachfolger für den Posten wurden Westerwelles Staatsminister Werner Hoyer, der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff und Entwicklungsminister Dirk Niebel gehandelt.

Der Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) stellte Westerwelle und der Regierung im »Spiegel« ein verheerendes Zeugnis aus. »Das Verhalten der Bundesregierung im Libyen-Konflikt mit der Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat ist ein einziges Debakel, vielleicht das größte außenpolitische Debakel seit Gründung der Bundesrepublik.« Westerwelle habe die westlichen Partner vor den Kopf gestoßen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2011


Westerwelles Versehen

Von Uwe Kalbe **

Westerwelle schwankte eine Weile, nun hat er sein Fähnchen in den Wind gehängt. Die NATO lobt er für ihre Militärschläge in Libyen. Dass ihm der Wind weiter kräftig ins Gesicht bläst, kann er allerdings nicht verhindern. Von Joschka Fischer wird er gescholten, Deutschland das größte Debakel seit 1949 beschert zu haben. Das wiegt schwer.

Bleib stehen, möchte man dem kleinmütigen Liberalen zurufen, nachdem bereits öffentlich die Frage eines Rücktritts erwogen wird. Immerhin hat die NATO nicht nur grob gegen Menschenrecht, sondern auch gegen die den Einsatz legitimierende UNO-Resolution verstoßen, die den Schutz der Bevölkerung wenigstens formal zum Auftrag erklärte. Sich im Sicherheitsrat zu enthalten, war richtig, wenn man schon nicht dagegen stimmen wollte. Die Zivilbevölkerung ist wie immer das eigentliche Opfer des Krieges, in dem die NATO nicht Befrieder, sondern Partei war.

Doch Guido Westerwelle liegt schon im Staub und kann nichts mehr hören. Wer den Krieg in Libyen nur deshalb für falsch hielt, weil sein Ausgang ungewiss war, steht nach dem Sieg der Allianz natürlich dumm da. Was vorher falsch war, wird nun plötzlich richtig, da die Kriegsbeute aufgeteilt wird. Der Einwand, Deutschland habe Gaddafi mit Sanktionen doch kräftig geschadet, wirkt natürlich kläglich. Der Grüne Fischer wusste das von Anfang an, seine Partei und die SPD standen gleich auf der gewinnträchtigen Seite. Auf der Seite des Krieges; seiner Sieger sowieso.

** Aus: Neues Deutschland, 29. August 2011


Nie wieder Sonderweg

Libyen und die Jagd auf Westerwelle

Von Knut Mellenthin ***


Guido Westerwelle ist für Linke ganz und gar kein Sympathieträger. Das Beste, was man über seine Rolle als deutscher Außenminister sagen kann, ist, daß er kaum in Erscheinung tritt. Aber Menschenjagden, gehässige Intrigen und lärmige Gerüchtepolitik sind stets widerlich. Ganz besonders gilt das in diesem Fall, wo eine noch stärkere Beteiligung Deutschlands an der Kriegsmacherei der NATO durchgesetzt und wo eine zwar halbherzige, aber im Grundsatz richtige Entscheidung »korrigiert« werden soll.

Westerwelle hat sich im UN-Sicherheitsrat am 17. März enthalten, als über die Resolution 1973 entschieden wurde, die von der NATO anschließend – und vorhersehbar – als Freibrief für die militärische Erzwingung eines »Regime change« in Libyen mißbraucht wurde. Mit ihm enthielten sich auch die Vertreter Chinas, Rußlands, Brasiliens und Indiens. Ein klares Nein wäre besser gewesen, zumal wenn es von einer der beiden Vetomächte gekommen wäre. Aber das Auftreten des deutschen Außenministers war dennoch außergewöhnlich, überraschend und, man muß es sagen, respektabel. Es signalisierte, daß man nicht in jedes militärische Abenteuer der Verbündeten mit hineinstolpern muß.

Selbstverständlich war diese Entscheidung kein Alleingang des Außenministers. Sie wurde damals von der gesamten Bundesregierung getragen und entsprach insbesondere der Haltung der Kanzlerin, die nach Artikel 65 des Grundgesetzes die Richtlinien der Politik bestimmt. Das – nicht wirklich konsequent durchgehaltene – Fernbleiben Deutschlands vom Angriffskrieg gegen Libyen wurde von Anfang an von den Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen verurteilt. In den Mainstreammedien, vor allem im Spiegel und in den Blättern des Springer-Konzerns, wurde eine Kampagne gegen die Libyen-Politik der Bundesregierung und hauptsächlich gegen die Person des Außenministers eröffnet.

Nachdem die NATO die Rebellen anscheinend erfolgreich an die Macht gebombt hat, sehen Intriganten aller Parteien den Moment gekommen, wo die Jagd auf Guido Westerwelle mit dem Abschuß beendet und damit zugleich ein klares Signal für künftige Kriegseinsätze gesetzt werden sollte. Daß der Außenminister zunächst der NATO im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Politikern weder »Dank« noch »Respekt« für das angerichtete Chaos bekunden mochte, wurde als total skandalös beschrieen. Daß Westerwelle es dann gestern in Springers Welt am Sonntag doch noch tat, wurde als unglaubwürdiges und viel zu spätes »Einknicken« verhöhnt. Es mag sein, daß er die Fraktionsklausur seiner Partei, die morgen beginnt, noch überstehen wird. Politisch tot ist er so oder so.

Als Ergebnis scheint jetzt schon festzustehen, daß es keine »deutschen Sonderwege«, also schlichtweg kein selbständiges Agieren im Rahmen der NATO mehr geben soll. Künftig darf nie wieder ein Krieg ausgelassen werden. In Libyen kann der versäumte Bundeswehreinsatz vielleicht schon demnächst nachgeholt werden.

*** Aus: junge Welt, 29. August 2011


Uniformierte "Wiederaufbauhelfer"

Wüste Überlegungen: In Berlin denkt man weiter über Bundeswehrtruppen in Libyen nach

Von René Heilig ****


Die deutsche Regierung hat dem westlichen Militäreinsatz gegen das Libyen Gaddafis nicht zugestimmt, dann aber innerhalb der NATO logistische und Führungsbeihilfe geleistet. Nach dem nun greifbaren Sieg der Rebellen sucht man eine führende Rolle im Gedrängel der »Wiederaufbauhelfer«.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) steht einsam da. Union, SPD, Grüne, ja sogar seine eigenen Parteifreunde kreiden ihm die Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat an, die Deutschland nun – nachdem der endgültige Sieg der Anti-Gaddafi-Front greifbar nah ist – in die zweite Reihe der Siegverwerter befördert. Trotzig sagt Westerwelle, jeder habe »auf seine Art und Weise einen Beitrag geleistet«, um Gaddafi zu verjagen. Die kriegsführenden Verbündeten ermahnt er, sie sollten den Erfolg des libyschen Volkes »nicht okkupieren«.

Derartige Sprüche nimmt man in Paris, London und Rom nicht einmal zu Kenntnis. Und wenn – was nicht unwahrscheinlich ist – von den neuen Machthabern in Tripolis via UNO ein Hilferuf ergeht, weil die zahlreichen im Volk verstreuten Waffen nicht schweigen, werden die bislang bis zum finanziellen Ruin engagierten NATO-Verbündeten interessiert nach Deutschland schauen und skandieren: Deutschland, geh' du voran!

Gerade weil Thomas de Maizière (CDU), der deutsche Verteidigungsminister, das weiß, versucht er, die mögliche UN-Aufforderung ins Unwahrscheinliche zu reden. Noch vor kurzem sagte er eine »konstruktive Prüfung« von Truppenexport zu. Nun betont er stärker denn je: »Ich hoffe, dass eine solche Anfrage nicht nötig ist. Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht.« Was de Maizière so dem »Tagesspiegel« sagte, kontrastiert das, was Verteidigungs-Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) meint. Der warnt vor »Ausschließeritis«. Es könne sein, dass man zur Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die NATO das für notwendig halten. »Natürlich würden wir dann im Rahmen unserer eigenen Interessen und unserer internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen können.« Interessant, dass Schmidt nicht nur auf die UNO hören mag, sondern auch die eigenen Interessen, die der EU und der NATO als ausreichenden Grund betrachtet, um mal wieder deutsche Soldaten in die Wüste zu schicken. Eine andere Idee von de Maizière verdient gleichfalls Beachtung. »Soweit es um Beratung geht, ist vieles denkbar. Noch immer lagern in Libyen chemische Kampfstoffe. Das macht uns Sorge. Diese Kampfstoffe müssen vernichtet werden und dürfen nicht in falsche Hände kommen.«

Man erinnert sich an einen Skandal Ende der 80er Jahre. »Auschwitz im Sand« titelten USKolumnisten, als sie von einer Chemiefabrik im libyschen Rabita berichteten. Sie wurde einer deutschen Firma ge- und beliefert. Libyens Diktator Gaddafi wollte Kampfstoffe produzieren und die Regierung unter Helmut Kohl nichts davon wissen. BND-Chef Wieck wies das Kanzleramt mehrfach »dringlich« darauf hin, dass man die Sache ernst nehmen müsste. Nichts geschah. Erst als die USRegierung Druck machte, entschloss man sich in Bonn zu ermitteln, was man bereits seit einigen Jahren wusste.

Wenn von Beratertätigkeit im »neuen« Libyen die Rede ist, kann das Thema Polizeiausbildung nicht außen vor bleiben. Bislang war Libyen ein starkes Bollwerk der EU gegen Migration. Die Grenzdienste ließ sich Tripolis gut bezahlen. Denkbar, dass demnächst EADS »auf der Matte steht« und den neuen Machthabern den Aufbau eines hochmodernen, technisch ausgefeilten Grenzbauwerkes anbietet. So wie es in Saudi-Arabien gebaut und in Algerien geplant ist. Dann ist sicher auch wieder die Bundespolizei als Ausbilder gefragt. Deren Exporthilfe rechnet die Regierung sicher erneut als Aufbauhilfe in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ab.

Viel Arbeit also für Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die nach den Sommerferien demnächst wieder in Berlin zur Volksvertretung antreten.

**** Aus: Neues Deutschland, 29. August 2011


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