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Der Westen kündigt den Pakt mit Gaddafi

Von Olle Svenning *

„Wird Gaddafi zum Kaiser Nero unserer Zeit?“ fragt sich die radikale algerische Zeitung El Watan. „Könnte er wie der römische Kaiser seine ganze alte Hauptstadt in Brand stecken?“

Diese Art Fragen kann man stellen, in dem libyschen Drama wird die Hauptrolle noch immer von einem Mann gespielt, der gefangen ist von Paranoia und seiner Grandiosität. Wie Richard III. – besonders in der Filmversion.

Gaddafis erzwungene Flucht aus dem Palast gleicht nicht der der tunesischen und ägyptischen Autokraten. Beide wurden durch Aufruhr des Volkes gestürzt. Die Führer der übrigen Staaten, lange passiv, wurden mit der Zeit zu wohlwollenden Betrachtern der Widerstandsbewegung. Sie lernten um.

Als die Mobilisierung des Volkes, zuerst im östlichen Libyen, sichtbar wurde, wurde die Bombenflugzeuge der Nato-Länder bereit gemacht und Sicherheitskräfte nach Nordafrika verschifft, zusammen mit Waffen.

Ein schneller Szenenwechsel. Gaddafi war ja kurz nach dem Jahr 2000 der Mann des Westens geworden, umgeschult vom Ideologen und Mäzenaten von Terrororganisationen hatte er gelernt, mit seinem Freund Tony Blair Hände zu schütteln und zusammen mit dem ausgesprochen konservativen amerikanischen Außenminister fotografiert zu werden.

Nicolas Sarkozy, dem jetzt naiv als Befreier Libyens gehuldigt wird, ließ Gaddafi vor einigen Jahren sein Zelt im Präsidentenpalast errichten. Die zwei Männer einigten sich über Waffenhandel und Geschäfte mit Hochtechnologie. Gaddafi war ein willkommenes Mitglied von Sarkozys Mittelmeerunion. Öl für die EU und eine überwachte Hölle für die libyschen Mitbürger auf der Flucht in die Union.

Die höchste amerikanische Finanzelite kümmerte sich um Gaddafis Auslandsinvestitionen. Goldman und Sachs durften einige Dollarmilliarden platzieren. Die Finanzkrise ließ die Summe auf ein Sümmchen zusammenschmelzen. In der Universitätswelt war mehr zu verdienen; Gaddafis Sohn eroberte nicht nur einen Doktorgrad an der London School of Economics, sondern kauft sich und seine ganze Familie auch ein in die liberale vornehme Hochschule.

Es ist es wert, sich in diesen Tagen an Gaddafis freundschaftliche Allianz mit dem Westen zu erinnern, wo die Führer der Nato selbstverliebt von den demokratischen Bomben über Libyen berichten und über selbstaufopfernde humanitäre Einsätze. Die übrigen Staaten haben grob die Resolution 1973 der UNO überschritten, die nicht forderte, den Diktator zu stürzen. Die Formel, mit der der Kosovo-Krieg gerechtfertigt wurde, kann wieder benutzt werden. Die militärischen Angriffe waren nicht legal, aber legitim: Der Diktator fiel.

Als das moderne Libyen (wenn dieser Ausdruck möglich ist) vor 60 Jahren gebildet wurde, schrieb der Gesandte der UNO, Benjamin Higgins: „Libyen vereinigt in einem einzigen Land alle denkbaren Hindernisse für eine Entwicklung“. Der italienische Kolonialismus hatte jeden dritten Einwohner ausgerottet; das Land war zerstückelt und ausgetrocknet.

Wenn Gaddafis grüne Revolution, knapp zwanzig Jahre später, auf irgendetwas hinarbeitete, dann war das nicht, einen Staat zu bauen. Sein Ziel war die Volksmacht und ein Afrika, vereint gegen den Imperialismus und mit ihm als führende Gestalt. Die Volksmacht wurde schnell durch brutale autoritäre Familienführung ersetzt.

Der Antiimperialismus wurde beendet. Gaddafi vereinigte sich mit Bush gegen den Terrorismus. Heute hat er nur eine leicht wohlwollende Unterstützung vom demokratischen Südafrika. Der Westen verspricht, dreist genug nach seinen blutigen Fehlschlägen in Afghanistan und dem Irak, zu helfen, in Libyen eine neue Demokratie aufzubauen. Mächtige Länder des Westens haben den eigentümlichen und teilweise geheimen Übergangsrat in Libyen anerkannt, der schnell die Rechte der ausländischen Ölgesellschaften garantiert hat.

Der Rat verspricht freie Wahlen und eine neue Verfassung innerhalb von acht Monaten. Ägypten mit einer relativ gut funktionierenden Zivilgesellschaft, ist nach dem Aufruhr der Bevölkerung einer Militärherrschaft näher als einer Volksherrschaft. In Tunesien, mit gewissen demokratischen Traditionen schwindet das Interesse für freie Wahlen.

Libyen war niemals in der Nähe von etwas, was auch nur von weitem einer Demokratie geähnelt hätte. Die Mitglieder des zersplitterten Übergangsrates bestellten mit ziemlicher Sicherheit neulich den Mord an ihrem Oberbefehlshaber. Der Rat wird geleitet von einem Mann, der Gaddafis Justizminister war. Ein Pionier der Demokratie?

Das libysche Volk hat einen großen Sieg errungen: Es hat Gaddafi abgesetzt. Außerdem ist es ihm hoffentlich gelungen, den Westen für Demokratie in Nordafrika zu interessieren.

* Aus: Aftonbladet, 28.08.2011; aus dem Schwedischen von Renate Kirstein


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