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Deutsche Bomben gegen Gaddafi

Neuauflage der "Irak-Masche": Enthaltsamkeit vorgeben, aber kräftig mitmischen beim Krieg

Von René Heilig *

Trotz der Enthaltung bei der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat mischt Deutschland kräftig mit beim Krieg gegen das Gaddafi-Regime. Nun sollen Munition und Ersatzteile an die NATO-Partner geliefert werden, weil deren Vorräte nach über 100 Angriffstagen zur Neige gehen.

Bereits in der vergangenen Woche versandte die NATO eine Anfrage an alle Bündnispartner. Man sei auf der Suche nach Technik und Bauteilen für Bomben für die Anti-Gaddafi-Operation »Unifield Protector«. Die Bitte um Nachschub wurde aus Berlin positiv beantwortet, will »Spiegel online« aus Regierungskreisen erfahren haben.

Letzte Meldung:

NATO will nun doch keine deutschen Bomben

Im Frühjahr bereits Bordwaffenmunition geliefert

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) stellte gestern (29. Juni) in Abrede, dass Deutschland Bomben für den Libyen-Krieg liefert. Zwar habe die NATO-Agentur Namsa angefragt, sich jedoch für das Angebot einer anderen Nation entschieden, erklärte er im Bundestag-Verteidigungsausschuss. Er bekräftigte aber, dass die Bundesregierung grundsätzlich zur Lieferung von Waffen- und Munition für den Einsatz bereit sei und schilderte technokratisch den üblichen Ablauf von Lieferungen an NATO-Partner. Damit habe er deutlich gemacht, dass er Nachschub aus Deutschland für Kriege der NATO nicht als politisches Problem betrachtet, kritisierte der Verteidigungsexperte der Linksfraktion Paul Schäfer.

De Maizières Ministerium bestätigte derweil, dass Deutschland die kriegsführenden Verbündeten bereits im Frühjahr mit Munition für Bordkanonen versorgt hat.

Ebenfalls gestern wurde bekannt, dass die Bundesregierung einen UN-Bundeswehr- und einen -Polizeieinsatz für Südsudan plant, ohne das es dafür bereits ein UN-Mandat gibt. Der neue Staat Südsudan wird erst am 9. Juli gegründet. Auch für den gestern im Kabinett beschlossenen UNAMID-Militäreinsatz in Darfur liegt noch kein Mandat der UNO vor. »Für Militäreinsätze darf es keine Vorratsbeschlüsse geben«, betonte Jan van Aken, Außenpolitikexperte der Linksfraktion, denn damit werde unter anderem das Parlamentsbeteiligungsgesetz ausgehebelt.

(Neues Deutschland, 30. Juni 2011)



Die unerwartete Dauer des Krieges zermürbt nicht nur Gaddafis Truppen, sondern geht auch an die Substanz der Angreifer. Bereits vor Wochen hatten Mitglieder der Allianz über Bombenmangel geklagt. So bat Dänemark die Niederlande um Hilfe. Norwegen hat das Ende seiner möglichen Kriegsbeteiligung für den 1. August angemeldet.

Krieg ist teuer, die Kosten übersteigen das Vermögen der beteiligten Staaten. Seit Beginn der Angriffe am 31. März wurden von der NATO 12 887 Flugzeugeinsätze, davon 4850 direkte Angriffe aufgelistet. Eine Eurofighter-Flugstunde kostet 73 992 Euro, die eines Tornados 43 000 Euro. Die USA berechnen für eine eingesetzte F-15 oder F-16 pro Stunde 10 000 Dollar. Teuer sind auch Bomben. Kanada hat erst im Mai 1300 gegen Libyen häufig benutzte Paveway-Laserbomben bestellt. Für 10 000 Dollar pro Stück. Auch die US-Air-Force hat volle Depots. Doch die Bomben der Nordamerikaner taugen nicht für in Europa hergestellte Flugzeuge der Verbündeten.

Die Paveway-Bomben der Bundeswehr dagegen passen. Zudem hat die Deutsche Luftwaffe Ersatzteile für Tornados und Eurofighter, die unter anderem von Großbritannien und Italien geflogenen werden. Der Austausch von Munition und Technikkomponenten ist Bestandteil von NATO-Abkommen zur Versorgungssicherheit.

Glaubt man dem Bericht über das Treffen der NATO-Verteidigungsminister am 8. Juni, war Nachschub kein Thema der Tagung, obwohl die sich mit Libyen befasste. Die aktuelle Anfrage kam vielmehr auf der Arbeitsebene. Absender ist die NATO Maintenance and Supply Agency (NAMSA). Dort hat man elektronisch Zugriff auf vorhandene oder produzierbare Rüstungsgüter in den 28 Mitgliedstaaten. Das Verfahren weckt bei der Bundestagsopposition Unmut, weil so die für Entscheidungen dieser Tragweite zuständige parlamentarische Ebene ignoriert wird. Die Lieferungen müssen nicht einmal vom Bundessicherheitsrat genehmigt werden, da Deutschland lediglich NATO-Partner bedient. Die Linksfraktion will die Nachschubfrage auf der heutigen Tagung des Verteidigungsausschusses thematisieren.

Das Urheberrecht für diese Art doppelzüngiger Politik liegt allerdings bei Rot-Grün. Als Kanzler hatte Gerhard Schröder (SPD) 2003 öffentlich die deutsche Gefolgschaft im US-Krieg gegen Irak verweigert. Insgeheim unterstützte man die Angreifer logistisch, stellte Basen, bewachte US-Kasernen, lieferte Geheimdiensterkenntnisse sowie Waffen und Gerät.

Nun wittert die SPD – voran der Abgeordnete Rolf Mützenich, der die Stimmenthaltung in der UNO und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) scharf verurteilt hatte – Unstimmigkeiten zwischen der Kanzlerin und dem Außenminister. Merkel könne »sich hierbei nicht länger heraushalten«. Sie hatte jedoch bereits zu Beginn der Angriffe indirekte Hilfe angeboten. Man ersetzte in Afghanistan US-AWACS-Aufklärer, die nun vor Libyen fliegen, und gestattet die Nutzung deutscher Airports und Häfen für die Kriegslogistik.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011


Deutschland, Nachschubland

Von René Heilig **

Deutschland wird gebraucht, es darf und will Nachschub liefern. Die Anfrage der NATO ist da, und Verteidigungsminister Thomas de Maizière hatte jüngst – als es in Brüssel um deutsche »Friedenstruppen« für das Nach-Gaddafi-Libyen ging – gesagt, dass er jede Frage konstruktiv beantwortet. Super! Endlich können die meisten Koalitionsabgeordneten wieder ruhig schlafen, und auch die SPD-Genossen um Herrn Mützenich samt den kompatiblen Künast-Grünen können sich wieder besser fühlen. Die haben sich ja so geschämt, als Deutschland sich beim Flugverbotsbeschluss des UN-Sicherheitsrates der Stimme enthielt.

Mit dem bisschen »moralischer« Unterstützung für die NATO-Bomben-Partner und dem ewigen Embargoverschärfungsgerede konnte man keinen Staat machen. Jedenfalls keinen neuen libyschen, in dem die Menschenrechte ebenso heimisch sind wie ausländische Erdölkonzerne. Wie soll die Welt auch begreifen, dass Deutschland Einfluss nimmt auf die Neugestaltung Afrikas, wenn man nicht einmal den Weg übers Mittelmeer wagt?

Doch nun werden Bomben »made in Germany« übers Mittelmeer geflogen. Im Namen eines demokratischen Tyrannensturzes sollen sie Leiber zerreißen, Häuser und Fabriken zerstören und – na, das wäre aber eine Freude (nicht nur, aber insbesondere) für die Kanzlerin – den Diktator in Tripolis töten.

** Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011 (Kommentar)


Tripolis: Vorwand für NATO-Bomben

Haftbefehl gegen Gaddafi zurückgewiesen / Zuma: Friedensbemühungen werden untergraben ***

Die libysche Regierung hat den Haftbefehl gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi als Vorwand für die Luftangriffe der NATO zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag sei lediglich ein »Vorwand für die NATO, die versucht, Gaddafi zu töten«, sagte Justizminister Mohammed al-Gamudi in Tripolis. Er betonte zugleich, dass Libyen den Gründungsvertrag des Gerichtshofs nicht unterzeichnet habe und dessen Rechtsprechung daher nicht anerkenne. Vizeaußenminister Chaled Kaaim sprach von einer »vorhersehbaren Entscheidung«. Er bezeichnete den Gerichtshof als »politisches Gericht«, das nur die Interessen seiner europäischen Geldgeber vertrete.

Wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte der IStGH am Montag einen Haftbefehl gegen Gaddafi erlassen. Auch gegen seinen ältesten Sohn Seif al-Islam sowie gegen Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi ergingen Haftbefehle. Den drei Beschuldigten wird nach Angaben des Gerichts vorgeworfen, den Sicherheitskräften des Landes Aufträge zu Morden, Verfolgung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erteilt zu haben.

Nach Ansicht des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma untergräbt der Haftbefehl gegen Gaddafi die afrikanischen Friedensbemühungen in Libyen. Zuma sei »extrem enttäuscht und besorgt« über die Entscheidung der Richter in Den Haag, sagte der Sprecher des Präsidenten, Zizi Kodwa, dem südafrikanischen Radiosender SABC.

Es sei »unglücklich«, dass der IStGH eine solche Entscheidung fälle, während der Libyen-Ausschuss der Afrikanischen Union (AU) Fortschritte bei der Vermittlung in Libyen erzielt habe, erklärte Kodwa. Sowohl Gaddafi als auch die Rebellen würden Bereitschaft zu einer Lösung signalisieren.

Zuma hatte am Sonntag (26. Juni) die NATO-Angriffe in Libyen scharf kritisiert und vor einer Ermordung Gaddafis gewarnt. Die UN-Resolution zu Libyen »ermächtigt nicht zu einem Regimewechsel oder einer politischen Ermordung«, betonte Zuma bei einem Treffen mit dem AU-Libyenausschuss in Pretoria. Das Gremium bereitet nach Informationen aus Südafrika einen neuen Plan für Libyen vor, der auf der Generalversammlung der AU in dieser Woche in Malabo (Äquatorial-Guinea) erörtert werden soll.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011

Friedensverhandlungen statt Waffenlieferungen

IPPNW-Presseinformation vom 28.6.2011

Laut Medienbericht hat die deutsche Bundesregierung in Aussicht gestellt, der NATO Technik und Bauteile für Bomben für den Libyenkrieg zu liefern. „Dieses Zugeständnis konterkariert eine Verhandlungslösung des Konflikts“, kritisiert der IPPNW-Vorsitzende Matthias Jochheim. Wir fordern Bundesaußenminister Guido Westerwelle auf, seinen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat ab Juli dafür zu nutzen, um eine sofortige Waffenruhe entsprechend der UN-Resolution 1973 herbeizuführen. Zudem sollte er die Friedensbemühungen der Afrikanischen Union unterstützen und sich für einen Stopp von Waffenlieferungen an Libyen und die gesamte Region einsetzen.

Bisher ist Deutschland allerdings Europameister bei den Rüstungsexporten. Zu den Empfängern deutscher Waffen und Lizenzen zählen selbst Diktaturen und autoritäre Regime. So genehmigte die Bundesregierung laut Rüstungsexportbericht im Jahr 2009 die Lieferung von Kommunikationsausrüstung sowie Störsendern nach Libyen in Höhe von 53.154.423 Euro. Störsender können verwendet werden, um die Kommunikation der Widerstandsbewegung per Handy, Twitter oder Facebook zu unterbinden. Mercedes Benz lieferte 2010 25 Panzertransporter in das Land. „Deutschland darf nicht länger mit seinen Waffenlieferungen zur weltweiten Gewalteskalation beitragen. Wer die Wahrung von Menschenrechten einfordert, macht sich unglaubwürdig, wenn er gleichzeitig mit Waffenlieferungen Konflikte schürt“, so Matthias Jochheim. Deshalb beteiligt sich die IPPNW an der Kampagne „Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel“, deren Ziel ein im Grundgesetz verankertes Verbot deutscher Rüstungsexporte ist.

Zudem fordert die Ärzteorganisation die deutsche Bundesregierung auf, sich für eine großzügige humanitäre Hilfe für die Kriegsopfer und Flüchtlinge in Europa einzusetzen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars Antonio Guterres sind seit dem Beginn des Aufstands gegen Machthaber Muammar al Gaddafi über 400.000 Menschen verschiedener Nationalitäten aus Libyen in das Nachbarland Tunesien geflohen. Bisher hat sich die Bundesregierung allein zur Aufnahme von 150 Flüchtlingen aus Malta durchgerungen. „Das ist angesichts der dramatischen Zahlen und der großzügigen Aufnahme durch die Nachbarländer ein Hohn. Es ist eine Schande, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs am 23. Juni in Brüssel vereinbart haben, die Kompetenzen der Grenzschutzagentur Frontex zu erweitern, statt Flüchtlinge aufzunehmen“, so Matthias Jochheim.

Nach Hinweisen von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen wurden im Rahmen von Frontex-Einsätzen immer wieder Menschen- und Flüchtlingsrechte verletzt. Seit Anfang des Jahres sind mehr als 1.600 schutzsuchende Menschen aus Libyen im Mittelmeer gestorben.

www.ippnw.de


Nun bombt Deutschland gegen Libyen mit

Presseerklärung des Bremer Friedensforums, 28. Juni 2011

Die erste Zurückhaltung Deutschlands beim NATO-Einsatz gegen Libyen, der bereits zahlreiche Todesopfer gefordert und einen Teil der Infrastruktur zerstört hat, ist jetzt einer direkten Unterstützung der täglichen Luftangriffe gewichen. Nun bombt Deutschland mit, indem es Technik und Bauteile für Bomben an das Militärbündnis liefert. Es integriert sich wieder voll ins NATO-Bündnis, das eine aggressive Militärpolitik betreibt und alle Schlichtungsvorschläge zur Herstellung eines Waffenstillstands im libyschen Bürgerkrieg ablehnt. Das Bremer Friedensforum verurteilt diese Entscheidung Deutschlands und fordert, dass die Bundesregierung stattdessen die internationalen Bemühungen um Waffenstillstand unterstützt.

Hartmut Drewes




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