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Politisch motivierte Tätersuche

Wer hat den US-Botschafter in Bengasi getötet: libysche oder ausländische Gottteskrieger?

Von Rainer Rupp *

Um den Tod des US-Botschafters Christopher Stevens im libyschen Bengasi am Dienstag vergangener Woche hat die Legendenbildung begonnen. Einen Tag nach dem Sturm auf das Konsulat sprachen Medien in den Vereinigten Staaten vom »Erstaunen« der US-Sicherheitsbeamten »über die Komplexität des Angriffs«. Die Angreifer – mutmaßlich islamistische Gotteskrieger mit Verbindung zu Al-Qaida – seien »gut bewaffnet und scheinbar gut informiert« gewesen. Mittlerweile ist von der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, eine ganz andere Story in Umlauf gesetzt worden. Demnach sei der Sturm auf das Konsulat »spontan« gewesen. Die Angreifer hatten versucht, das, was in Kairo passiert sei, zu wiederholen. Das ist seltsam, denn in der ägyptischen Hauptstadt gab es keine schwerbewaffneten Angreifer, nur einige Protestierer hatten die Fassade der US-Botschaft erklettert und die Flagge abgerissen – statt wie in Bengasi das ganze Gebäude niederzubrennen.

Der vom Westen unterstützte libysche Übergangspräsident Mohammed Megarif erzählt wiederum eine ganz andere Geschichte: Die Angreifer waren demnach keine Libyer, sondern ausländische Gotteskrieger, die den Sturm seit Monaten geplant und eine Sicherheitslücke ausgenutzt hatten, vor der die libyschen Sicherheitsbeamten ihre US-Kollegen wiederholt gewarnt hätten, zuletzt drei Tage vor dem Angriff.

Mit der Version des Marionettenpräsidenten von den guten Libyern und den bösen ausländischen Gotteskriegern hat sich inzwischen auch das Flaggschiff der US-Medien, die New York Times, angefreundet. So berichtete das Blatt am Montag, wie sich die einheimische Bevölkerung fürsorglich darum bemüht habe, den bereits fast leblosen Körper des Botschafters zu bergen und ins Krankenhaus zu bringen. Die politische Motivation hinter dieser Version ist leicht zu durchschauen. Nur so lassen sich die Märchen von der Dankbarkeit der Libyer gegenüber den USA für ihre Befreiung von Muammar Al-Ghaddafi aufrechterhalten, Forderungen nach einem Rückzug aus dem nordafrikanischen Land zurückweisen und die Notwendigkeit für den Ausbau der US-Militärpräsenz vor Ort untermauern.

Aber auch die »Gute Libyer vs. böse Ausländer«-Story hält nicht stand. Unter Berufung auf einen der libyschen Wachmänner, der bei dem Überfall an beiden Beinen verwundet worden war, berichteten Zeitungen des McClatchy-Medienkonzerns vergangenen Donnerstag, daß es vor dem Angriff gar keine Proteste vor dem US-Konsulat in Bengasi gegeben hat. Im Krankenhaus, wohin er nach der Attacke ausgerechnet von den Angreifern gebracht worden war, erzählte der Mann, daß vor 21.35 Uhr »nicht einmal eine Ameise vor dem US-Konsulat unterwegs gewesen« sei. Dann aber hätten plötzlich etwa 120 schwer bewaffnete Männer aus allen Richtungen den Komplex gestürmt. Von Ausländern keine Rede.

Tatsächlich hatte der libysche Sicherheitschef für die Region, Wanis Al-Scharif, in den ersten Tagen eine der größten islamistischen Milizen im Land – »Ansar Al-Scharia« (Partisanen des Islamischen Rechts) – für den Überfall verantwortlich gemacht. Diese Gruppe sei durchsetzt von libyschen Gotteskriegern, die schon im Irak und in Afghanistan gegen die Amerikaner gekämpft hätten, heißt es in einer Analyse des »Washington Institute for ¬Near East Policy«. Anführer Muhammad Zahawi bestreitet jegliche Beteiligung seiner Gruppe, räumt jedoch ein, daß einzelne Mitglieder durchaus auf eigene Faust an dem Angriff teilgenommen haben könnten, was auch die Sichtung von Fahnen und Insignien der Gruppe erklären könnte.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. September 2012


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