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Hilflose Diplomatie der Vereinten Nationen

UN-Resolution muss Basis der Aktionen in Libyen bleiben, fordert Ban Ki-moon - und weiß, dass es nicht so ist / Security Council resolutions must remain basis for action on Libya – UN chief

Am 5. Mai 2011 kam in Rom die sog. "Kontaktgruppe", bestehend aus etwa 20 Staaten - überwiegend NATO-Mitglieder -, zusammen, um über das weitere Vorgehen gegen Libyen zu beraten. Im Ergebnis wurde eine großzügige finanzielle Unterstützung der "Opposition", d.h. vor allem des selbst ernannten "Übergangsrats" beschlossen. Dass damit keine Schulen und Krankenhäuser gebaut, sondern eher Panzer, Hubschrauber und Raketen gekauft werden, weiß man in Rom, Washington und auch im Hauptquartier der UN in New York. Außerdem müssen die Staaten nicht selbst in die Tasche greifen. Vielmehr will man sich - einer Ankündigung Hillary Clintons zufolge - des im Ausland eingefrorenen Vermögens des libyschen Staates bemächtigen. Das libysche Vermögen im Ausland wird auf 30 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Als kleine, versteckte Mahnung konnte eine Botschaft an die Konferenz von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verstanden werden, worin die Kontaktgruppe erinnert wird, dass alles, was in Bezug auf Libyen geschieht, auf der Grundlage der beiden UN-Resolutionen 1970 (2011) und 1973 (2011) zu geschehen hat. (Siehe unten im Kasten.)

Die Kriegsallianz dürfte das Papier schnell weggesteckt haben. Denn erstens wissen die Führungsmächte der Allianz, dass das UN-Mandat von Anfang an für ihre Kriegszwecke nur ein legitimatorisches Feigenblatt darstellte. Zum zweiten lassen sich die ununterbrochenen Angriffe auf libysche Ziele - darunter auch zivile Einrichtungen - entweder als bedauerliche Kollateralschäden oder als notwendig im Sinne der Resolution interpretieren. Dort hieß es, die Staatengemeinschaft könne "alle Mittel" einsetzen, die dem Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung dienlich sind. Und wenn man den Privatpalast eines Gaddafi-Sohnes ins Visier nimmt und ihn selbst und andere Familienmitglieder tötet, sei das unumgänglich, da in Libyen die zivilen Unterkünfte von Mitgliedern der Gaddafi-Familie ja auch politischen Zwecken zur Unterdrückung der Bevölkerung dienen können.

Vor wenigen Tagen hat der neu ernannte Menschenrechtsbeauftragte Russlands, Konstantin Dolgow, die "übermäßige Gewaltanwendung der Alliierten in Libyen kritisiert. "In den letzten Tagen stieg leider die Intensität der Raketen- und Luftangriffe der Koalition auf Objekte in Tripolis ... Es gibt Informationen, wonach diese Einsätze nicht nur gegen Militär-, sondern auch gegen Infrastruktur- und Zivilobjekte unternommen werden", sagte Dolgow am 3.Mai einem Interview für die Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti. Doch auch sein Aufruf, die Bestimmungen der Resolution des UN-Sicherheitsrates "strikt zu befolgen" dürfte ungehört verhallen. Es geht der Kriegsallianz nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung, sondern um den Sturz Gaddafis und um die Einsetzung eines dem Westen hörigen Regimes.

Das völkerrechtswidrige Treiben der NATO hätte der UN-Generalsekretär durchaus auch beim Namen nennen können - doch wäre er damit bei den USA und ihren Verbündeten postwendend in Ungnade gefallen. Sie haben ihn schließlich ins Amt gehoben, also hat er im Wesentlichen auch deren Politik mitzutragen. Ban Ki-moon tut das bis zur Selbstverleugnung und verliert dabei an Ansehen bei vielen Staaten der Dritten Welt, aber auch bei Russland, China, Indien und Brasilien, die dem Krieg skeptisch gegenüberstehen.

Der im Folgenden dokumentierte Bericht aus dem UN-News-Centre vom 5. Mai über die Botschaft des UN-Generalsekretärs an die "Kontaktgruppe" ist ein gutes Beispiel für dessen angepasste und hilflose Diplomatie.

Pst

Security Council resolutions must remain basis for action on Libya – UN chief *

5 May 2011 – Secretary-General Ban Ki-moon today stressed that the resolutions adopted by the Security Council in response to the Libya crisis – which is now in its third month – must remain the basis of international action as well as any ceasefire agreement between the Government and rebels.

In a message to the second meeting of the Contact Group on Libya, Mr. Ban emphasized the “paramount importance” of resolutions 1970 and 1973, the texts adopted in March that imposed sanctions against the Libyan authorities and authorized Member States to take “all necessary measures” to protect civilians, respectively.

“As the Contact Group seeks to move the process forward, it is important that future actions continue to be based on these resolutions. Maintaining consensus will be crucial in ensuring coherence, effectiveness and success,” he stated in the remarks, delivered by B. Lynn Pascoe, the Under-Secretary-General for Political Affairs.

What started out in February as protests against the regime of Muammar Al-Qadhafi has turned into a full-fledged conflict between Government forces and the opposition – one that has led to a humanitarian crisis in the North African nation and caused more than 665,000 people, many of them third-country nationals, to flee outside its borders.

Mr. Ban noted that the ability of the international community to act decisively and swiftly to date has saved thousands of lives and prevented a humanitarian catastrophe.

At the same time, he highlighted the need to ensure unrestricted access for humanitarian assistance and to coordinate international efforts in this regard.

Since the first meeting of the Contact Group some three weeks ago in Doha, the UN has established a humanitarian presence in Benghazi and has delivered two relief shipments to the besieged port city of Misrata.

A UN humanitarian mission had been operating in Tripoli, but had to leave following the ransacking of the Organization’s facilities on 30 April. That mission is now operating out of Tunisia, and will return as soon as security conditions permit, Mr. Ban said.

“We are exploring the possibility of a temporary cessation of hostilities in order to better respond to acute humanitarian needs within Misrata and other vulnerable areas,” he stated.

Some 800 third-country nationals and 50 wounded were evacuated from Misrata yesterday, according to the Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA). In addition, 125 metric tons of food have been delivered to help more than 13,000 people living in shelters or with relatives in the Western Mountains areas.

Distributions are ongoing and further World Food Programme (WFP) convoys are expected to follow, the Office noted, adding that the supply route is facing challenges due to insecurity in some areas and there is also a lack of fuel for transporting assistance.

In addition to the humanitarian efforts, Mr. Ban highlighted the UN’s work with all stakeholders to put in place a political process that meets the aspirations of the Libyan people. His Special Envoy, Abdel Elah Al-Khatib, has continued to negotiate with both parties with the aim of achieving an immediate ceasefire.

“There is consensus that any ceasefire agreement should be credible and verifiable,” Mr. Ban noted, adding that it must also be consistent with resolution 1973, in which the Council reaffirmed its strong commitment to the sovereignty, independence, territorial integrity and national unity of Libya.

“The actions we are pursuing seek to do just that,” he stated. “We will continue working with the African Union, the League of Arab States, the Organization of Islamic Conference, the European Union and various Member States on this political path.”

The UN is also engaged in planning for peacebuilding and post-conflict reconstruction, said the Secretary-General. “The tasks that will face any transitional process that emerges will be daunting. Early planning is crucial.”

There was consensus at the international meetings held on Libya that the UN is best placed to lead planning for the longer-term effort of building strong democratic institutions, and Mr. Ban has appointed Ian Martin as his Special Advisor to lead this process.

Mr. Martin has begun to work closely with national and international partners to develop a comprehensive framework for post-conflict reconstruction and sustainable peacebuilding. In addition, an inter-agency task force coordinated by the Department of Political Affairs (DPA) has been set up to facilitate cooperation and information-sharing among the many UN entities involved.

* Source: UN New Centre, 5 May 2011; www.un.org



Ban bejubelt "neue Ära"

UNO-Chef spricht mit Blick auf Libyen von mehr Souveränität **

Die »Ära der Straflosigkeit« bei Verstößen gegen die Menschenrechte ist nach Überzeugung von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon vorbei.

»Wir steuern auf eine neue Ära der Souveränität und Verantwortung hin«, erklärte Ban am Freitag (6. Mai) in Sofia. Jeder, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie gegen sein eigenes Volk begehe, soll dafür verantwortlich gemacht werden, sagte Ban während einer internationalen Konferenz über den demokratischen Wandel in Nordafrika. Hintergrund ist die Absicht des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, in den kommenden Wochen offiziell Haftbefehl gegen drei Libyer wegen Verstoßes gegen das Humanitäre Völkerrecht zu beantragen. Dies sei »sehr ermutigend«, lobte der Generalsekretär. Man könne zudem künftig erwarten, dass der Sicherheitsrat die Zivilbevölkerung immer mehr schütze und dies in den Mittelpunkt der UNO-Tagesordnung rücke.

Bei einer ungewöhnlichen gemeinsamen Sitzung haben derweil die Vertreter der 28 NATO-Staaten und der 27 EU-Länder am Freitag in Brüssel über die Lage im Libyenkrieg geredet. Das als »informell« bezeichnete Botschaftertreffen wurde besonders beachtet, weil gemeinsame Sitzungen sämtlicher Mitglieder beider Organisationen höchst selten sind.

Russland hat indes die Beschlüsse von mehr als 20 Außenministern als unzulässige Einmischung kritisiert. Der von der Libyen-Kontaktgruppe geplante Hilfsfonds für Gegner von Staatschef Muammar al-Gaddafi gehe über den Beschluss des Sicherheitsrats zum Schutz der Zivilbevölkerung hinaus. Das sagte Außenminister Sergej Lawrow.

** Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2011


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