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UNESCO-Kritik am NATO-Krieg

Organisation nennt Angriff auf libysches Staatsfernsehen "nicht akzeptabel" *

Der Luftangriff der NATO auf Anlagen des libyschen Staatsfernsehens Ende Juli ist bei der UNESCO auf scharfe Kritik gestoßen.

Die Bombenattacke auf die Übertragungsanlagen des libyschen Staatsfernsehens am 30. Juli sei nicht akzeptabel gewesen, erklärte die Generaldirektorin der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Irina Bokowa.

Die UNO-Resolution 1738[pdf-Datei, EXTERNER LINK] aus dem Jahr 2006 verurteile eindeutig Gewalt gegen Journalisten und Medienmitarbeiter in Konfliktsituationen, so die Generaldirektorin. Auch in den Genfer Abkommen sei festgehalten, dass Journalisten als Zivilisten gelten, selbst dann, wenn sie an Propagandamaßnahmen mitwirkten. »Medien zum Schweigen zu bringen, ist niemals eine Lösung«, betonte Bokowa weiter. »Medien sollten nicht Ziel von Militäraktionen sein.«

Bei dem Angriff waren nach Angaben der UNESCO drei Medienmitarbeiter getötet worden. Zudem habe es 21 Verletzte gegeben. Die NATO hatte den Angriff mit dem Mandat des UNO-Sicherheitsrates zum Schutz der Zivilbevölkerung begründet. Es sei darum gegangen, Gaddafis Einsatz des Satellitenfernsehens »als Mittel zur Einschüchterung des libyschen Volkes und zu Aufrufen zur Gewalt gegen Zivilisten zu verhindern«, hieß es in einer am Paktsitz in Brüssel verbreiteten Erklärung.

Die libysche Führung beschuldigte unterdessen die NATO, in einem Dorf im Westen des Landes 85 Zivilisten getötet zu haben. Der Ort Madscher südlich der Stadt Sliten sei am Montagabend aus der Luft getroffen worden, sagte Regierungssprecher Mussa Ibrahim vor Journalisten am Ort des Geschehens. Dabei seien 33 Kinder, 32 Frauen und 20 Männer ums Leben gekommen. Nach seinen Angaben fielen insgesamt sechs Bomben auf das Dorf. Die NATO bestritt diese Vorwürfe. »Das war eindeutig ein militärisches Ziel, und wir erwarten keine zivilen Opfer«, sagte der Militärsprecher des NATO-Einsatzes, der kanadische Oberst Roland Lavoie, im Bündnis-Hauptquartier in Neapel. Er erklärte, das Bündnis habe zwei zu einem Militärlager umfunktionierte frühere Bauernhöfe angegriffen. Es sei »sehr wahrscheinlich«, dass dabei Soldaten getötet worden seien.

Die EU beschloss indes neue Sanktionen gegen die Regierung von Staatschef Muammar al-Gaddafi. Wie das französische Außenministerium am Dienstag mitteilte, wurden sie am Vortag gegen zwei mit der Regierung verwobene Unternehmen verhängt. Den Angaben zufolge handelte es sich um die Ölfirma Al-Scharara und eine mit Verwaltungsfragen befasste Organisation. Damit seien nun 42 Unterstützer Gaddafis und 49 Organisationen mit Sanktionen belegt.

In Bengasi habe der Präsident des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, Mustafa Abdeldschalil, jetzt seine Regierung entlassen, wurde jetzt gemeldet.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2011

UN official deplores NATO attack on Libyan television station

8 August 2011 – The head of the United Nations agency entrusted with safeguarding press freedom today deplored a recent North Atlantic Treaty Organization (NATO) attack on Libyan State broadcasting facilities last month which killed three media workers and injured 21 people.

“Media outlets should not be targeted in military actions,” UN Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) Director-General Irina Bokova said in a statement, citing a Security Council resolution from 2006 that condemns acts of violence against journalists and media personnel in conflict situations.

“The NATO strike is also contrary to the principles of the Geneva Conventions that establish the civilian status of journalists in times of war even when they engage in propaganda,” she added. “Silencing the media is never a solution. Fostering independent and pluralistic media is the only way to enable people to form their own opinion.”

NATO issued a statement saying that the strike was conducted in accordance with Security Council resolution 1973 adopted in March, which authorizes the use of “all necessary measures” to protect civilians in Libya, where the regime of Muammar al-Qadhafi has conducted a military offensive against citizens seeking both greater freedoms and his removal from power.

Source: UN News Centre, 8 August 2011; www.un.org



Totschlagargument

Von Roland Etzel **

Es war fast schon wieder vergessen: Am 30. Juli hatte die NATO in Tripolis Einrichtungen des libyschen Fernsehens bombardiert. Drei Menschen starben, 21 wurden verletzt. Hier fand man das nicht weiter der Rede wert. Der sonst sehr eifrige Afrika-Beauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, schwieg, ebenso einschlägige Berufsverbände von dju bis DJV, und auch eine prominente Reportergruppe entdeckte wohl doch Grenzen für ihr Engagement.

Die bulgarische UNESCO-Generaldirektorin Bokowa ist bislang die einzige, die den kriegerischen Akt als Verstoß gegen die UN-Resolution 1738 erkannt hat und die NATO an die seit 2006 fixierte Pflicht erinnerte, »Journalisten und Medienvertreter« – welcher Herkunft auch immer – »in bewaffneten Konflikten vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen ...« Der französische NATO-Oberst Lavoie widersprach mit dem staunenswerten Argument, die Zerstörung der TV-Station sei gerechtfertigt gewesen, weil der Sender »Einschüchterung, Hass und Zwietracht zwischen den Libyern gesät« habe. Der Begriff Totschlagargument war selten passender.

Wenige Tage nach Beginn des NATO-Luftkrieges, am 25. März, hatte die UNESCO-Chefin die Konfliktparteien schon einmal mit einer Botschaft bedacht. Damals erging die Aufforderung, Libyens antike römische Bauten – Weltkulturerbe – beim Krieg zu verschonen. Das sagten die Befehlshaber der französischen Kriegsmaschinerie umgehend zu und haben sich daran gehalten. Vielleicht sollte man Redaktionen in Kriegsgebieten raten, ihre Gebäude mit antiken Musealien zu umstellen, gewissermaßen als tote Schutzschilde; die lebenden gelten nichts mehr.

** Aus: Neues Deutschland, 10. August 2011 (Kommentar)


NATO verteidigt Libyen-Angriffe

Luftattacke bei Sliten richtete sich gegen »legitimes Ziel«. Tripolis spricht von 85 Toten ***

Die NATO hat Vorwürfe der libyschen Regierung, wonach bei einem Luftangriff des Militärpakts auf ein Dorf südlich der Küstenstadt Sliten 85 Zivilisten getötet wurden, als »unbewiesen« bezeichnet. Die NATO habe bisher keinen Beweis für zivile Opfer bei dem Luftangriff in der Nacht zu Dienstag, sagte der kanadische Oberst Roland Lavoie am Dienstag auf einer aus der Kommandozentrale in Neapel per Video übertragenen Pressekonferenz. Gleichzeitig behauptete er, der Angriff habe sich gegen ein »legitimes Ziel« gerichtet. Bombardiert wurden laut Lavoie ehemalige landwirtschaftliche Gebäude in dem Dorf Madscher, die nun von der Armee Ghaddafis genutzt wurden. Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim hatte zuvor vor Journalisten in dem südlich der Küstenstadt Sliten gelegenen Ort gesagt, bei dem Angriff seien 33 Kinder, 32 Frauen und 20 Männer getötet worden.

Desweiteren hat die NATO die Bombardierung des libyschen Fernsehens gegen wachsende internationale Kritik verteidigt. Es gebe keine Hinweise darauf, daß es bei dem Angriff Todesopfer gegeben habe, sagte Sprecherin Carmen Romero am Dienstag in Brüssel. Außerdem sei die Militärallianz nicht absichtlich gegen Journalisten vorgegangen. Ziel des Angriffs am 31. Juli seien Geräte gewesen, »die dazu genutzt wurden, zu Angriffen gegen Zivilpersonen aufzustacheln«. Nach offiziellen libyschen Angaben wurden drei Journalisten getötet und 15 weitere verletzt.

Die Europäische Union beschloß unterdessen neue Sanktionen gegen die libysche Staatsführung. Wie das französische Außenministerium am Dienstag in Paris mitteilte, wurden sie bereits am Vortag gegen zwei mit der Regierung verwobene Unternehmen verhängt. Den Angaben zufolge handelte es sich um eine Ölfirma namens Al-Scharara und eine mit Verwaltungsfragen befaßte Organisation. Damit seien nun 42 Unterstützer Muammar Al-Ghaddafis und 49 Organisationen mit Sanktionen belegt.
(AFP/dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, 10. August 2011


NATO im Sicherheitsrat kritisiert

UNO-Gremium diskutierte über Luftangriffe auf libysches Staatsfernsehen ****

Die Luftangriffe der NATO auf Anlagen des libyschen Staatsfernsehens Ende Juli sind jetzt auch im UNO-Sicherheitsrat scharf kritisiert worden.

Wie aus New York gemeldet wurde, kritisierten mehrere UNO-Botschafter nach einer Diskussion hinter verschlossenen Türen im Sicherheitsrat das Vorgehen der Militärallianz. Die NATO müsse die Gründe für den Angriff eingehender erklären, forderten mehrere Sicherheitsratsmitglieder. Der russische Botschafter Vitali Tschurkin erklärte, seine Regierung sei sehr besorgt wegen der Zerstörung zweier Satellitenanlagen des libyschen Staatsfernsehens.

Zuvor hatte bereits die UN-Kulturorganisation UNESCO die Bombardierung verurteilt. »Medien zum Schweigen zu bringen, ist niemals eine Lösung«, betonte Generaldirektorin Irina Bokowa. »Medien sollten nicht Ziel von Militäraktionen sein.« Die NATO hatte die Angriffe damit begründet, dass der Sender Teil des Herrschaftsapparates von Staatschef Muammar al-Gaddafi ist. Das Mandat der UNO erlaubt nur Einsätze zum Schutz der Bevölkerung.

Unterdessen hat das libysche Staatsfernsehen Bilder gesendet, die den von den Rebellen für tot erklärten Gaddafi-Sohn Chamis zeigen sollen. Die in der Nacht zum Mittwoch ausgestrahlten Aufnahmen lassen einen Mann in Offiziersuniform erkennen, der wie der Sohn Gaddafis aussieht und verletzte Soldaten in einem Krankenhaus besucht. Die Rebellen hatten wiederholt den Tod des Befehlshabers einer Eliteeinheit der Gaddafi-Streitkräfte verkündet, zuletzt in der vergangenen Woche.

Widersprüchlich blieben die Informationen über ein NATO-Bombardement bei Sliten, 160 Kilometer östlich von Tripolis, bei dem nach Angaben der Gaddafi-Regierung 85 Zivilisten getötet wurden. Die NATO hatte am Dienstag ausdrücklich erklärt, bei Sliten einen zur Armeebasis umfunktionierten Landwirtschaftsbetrieb angegriffen zu haben, ohne dass es dabei zivile Opfer gegeben habe.

Im Leichenschauhaus von Sliten wurden den Journalisten 30 Getötete gezeigt, die meisten von ihnen Männer. Aber auch zwei Kinder und zwei Frauen waren darunter.

**** Aus: Neues Deutschland, 11. August 2011


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