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Durch Libyen geht derzeit ein Riss von Nord nach Süd

In Tripolis herrscht Gaddafi, in Bengasi die Opposition

Von Roland Etzel *

Nach der Niederlage seiner Truppen in der Stadt Al-Brega hat der libysche Staatschef Gaddafi am Donnerstag Kampfflugzeuge in das Rebellengebiet geschickt. Ein Polizeikommandeur in Bengasi, der inoffiziellen Hauptstadt des »befreiten Ost-Libyen«, sagte gegenüber dpa, Gaddafis Truppen hätten Al-Brega bombardiert. Die Aufständischen hatten am Mittwoch nach eigenen Angaben eine Offensive der Gaddafi-Truppen in Al-Brega und der Nachbarstadt Adschdabiya gestoppt.

Die heutige Technik ist hochentwickelt genug, um die militärstrategische Lage in Libyen, das zudem zu 95 Prozent aus Wüste besteht, ziemlich exakt benennen zu können – das heißt, es könnte so sein. Zwar wird derzeit gewiss jede Fahrzeugbewegung außerhalb der Städte per Satellit gefilmt und ausgewertet, doch das Ergebnis behalten die Militärs für sich.

So darf man zwar davon ausgehen, dass die NATO, einschließlich Israels, sicher auch Russlands, recht präzise über die Frontstellung und sonstige militärische Konstellationen in Libyen informiert sind. Aber das behalten sie für sich bzw. sie machen mit ihrem Wissen Politik, indem sie entscheiden, welche Information sie an die Öffentlichkeit lancieren, überhöhen, verfälschen, unterdrücken. Bekommt man derzeit also Meldungen über militärische Details in Libyen zu Gesicht, so ist es wohl noch wichtiger als sonst, den Zusatz »nach eigenen Angaben« zu beachten, zumal die Verlautbarungen beider Seiten häufig genug einander ausschließen.

Gesichert scheint, dass Libyens westliche Region Kyrenaika mit Bengasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, überwiegend nicht mehr unter Regierungskontrolle steht. Das betrifft bis auf Surt alle Küstenstädte westlich von Bengasi bis einschließlich Misratah mit den für die Ölverschiffung wichtigen Häfen. Zum einen sind die in dieser Region ansässigen Stämme traditionell »Gaddafi-fern«, zum anderen bietet die Nähe der ägyptischen Grenze viele Möglichkeiten logistischer Unterstützung aus dem Ausland. Angriffe Gaddafi-treuer Truppen auf Adschdabiya wurden offenbar abgewehrt.

Auch in den Kufra-Oasen im Länderdreieck mit Sudan und Ägypten sollen oppositionelle Kräfte das Sagen haben. Anders sieht es offenbar in Tripolitanien und der Südostregion Fezzan aus. Auch in der im nordwestlichen Dreiländereck mit Algerien und Tunesien gelegenen Stadt Ghudamis haben Gegner Gaddafis eigenen Angaben zufolge die Herrschaft übernommen.

Dagegen dürfte das westliche Drittel des Landes zwischen Tripolis und Niger – außer Ghudamis – weiter unter Kontrolle der Gaddafi-Getreuen stehen, einschließlich des Fezzan. Dort haben sich einige Stämme gegen Gaddafi erklärt, was die militärische Lage aber nicht entscheidend beeinflusst haben kann. Eine Bastion Gaddafis ist nach Regierungsangaben neben Surt an der Küste auch Sabha im zentralen Teil Fezzans. Das ist nicht weiter verwunderlich. In Surt wurde Gaddafi geboren, in der Region Sabha residiert seine Großfamilie.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2011


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