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Mißtrauen in Bengasi

Militärchef der libyschen Rebellen getötet. Verwirrung um Hintermänner und Ursachen

Von Karin Leukefeld *

Nach dem Tod des Militärchefs der libyschen Rebellen herrscht unter diesen Mißtrauen. General Abdel Fattah Yunis war am Donnerstag abend (28. Juli) auf dem Weg von Brega nach Bengasi erschossen worden, mit ihm starben seine zwei Begleiter, Oberst Mohamed Chamis und Kommandeur Nasser Madhur. So jedenfalls stellte es der Chef des selbsternannten Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, auf einer Pressekonferenz in Bengasi dar. Yunis sei zu einer Befragung nach Bengasi beordert worden, um über die militärische Lage an der Front zu berichten. Das Fahrzeug von Yunis und seinen Begleitern sei dann von einer Gruppe bewaffneter Männer gestoppt worden. Die drei Männer seien erschossen und ihre Leichen anschließend verschleppt worden. Man habe jedoch den Anführer der Angreifer festgenommen. Obwohl Yunis Leichnam bislang angeblich nicht gefunden wurde, verhängte Abdul Dschalil eine dreitägige »Staatstrauer«, um die »großartigen Leistungen des militärischen Führers« zu würdigen. Indirekt machte der Rebellenchef Anhänger des libyschen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi für den Mord verantwortlich.

Zunächst hatte es geheißen, Yunis sei an der östlichen Front nahe der Stadt Brega festgenommen worden. Er sollte demnach dafür verantwortlich gemacht werden, daß der militärische Vormarsch der Aufständischen auf Tripolis bislang nicht sonderlich erfolgreich verläuft. Dschalil bezeichnete dies bei seiner Pressekonferenz jedoch als Gerüchte von »Ghaddafi-treuen Kräften«, die versuchten, die von Bengasi aus operierende Opposition zu spalten.

Noch während oder unmittelbar nach der Pressekonferenz im Tibesti-Hotel, in dem viele ausländische Reporter untergebracht sind, sollen bewaffnete Männer das Gebäude gestürmt haben. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, die Journalisten seien in Sicherheit gebracht worden, und sprach von einer unübersichtlichen Lage in Bengasi. Die Angreifer zählten demnach offenbar zu der einflußreichen Obeidi-Sippe, der auch Yunis angehörte. Sie hätten dem Nationalen Übergangsrat vorgeworfen, den General und seine Begleiter getötet zu haben.

Tatsächlich bleiben zentrale Fragen offen. So wurde nicht gesagt, wo sich der Angriff auf Yunis ereignete, noch wo die Leichen geblieben sind. Unklar ist auch, wo und wie der angebliche Anführer der Angreifer festgenommen wurde. Auch sein Name wurde nicht genannt.

Abdul Fattah Yunis war bis zum Februar 2011 Innenminister der libyschen Regierung. Seit dem Militärputsch 1969, der Oberst Ghaddafi an die Macht gebracht hatte, galt Yunis als dessen enger Vertrauter und als die Nummer zwei im Machtapparat. Vor seiner Ernennung zum Innenminister war Yunis verantwortlich für die Ausbildung der libyschen Sondereinheiten. Unmittelbar nach Beginn des Aufstands im Februar sagte sich Yunis von Ghaddafi los und schloß sich den Rebellen von Bengasi an. Allerdings hielten sich hartnäckig Gerüchte, Yunis habe den Kontakt zu Ghaddafi nie abgebrochen. Im Machtkampf um die militärische Führung der Aufständischen hatte Yunis sich schließlich gegen den Exillibyer Khalifa Hifter durchsetzen können, der aus den USA eingeflogen worden war. Hifter hatte dort in enger Kooperation mit der CIA die libysche Exilopposition organisiert.

Die Unruhe nach dem Tod von Yunis sorgt auch am Sitz der Vereinten Nationen für wachsendes Mißtrauen gegenüber dem libyschen Übergangsrat. Wie eine Korrespondentin der britischen BBC aus New York berichtete, nehmen innerhalb des UN-Sicherheitsrates die Bedenken gegenüber den Aufständischen zu. So warnte der südafrikanische UNO-Botschafter am Donnerstag (Ortszeit) davor, daß die Unterstützung der Aufständischen gegen UN-Beschlüsse verstoßen könne. Bisher haben 30 Staaten den Übergangsrat diplomatisch anerkannt, darunter die USA, Frankreich, Deutschland, die Türkei und Großbritannien. Demgegenüber lehnt die Afrikanische Union seit Beginn des Konflikts eine einseitige Parteinahme für die Aufständischen ab und kritisierte die Forderungen westlicher Staaten nach einem Rücktritt von Oberst Ghaddafi.

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2011


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