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Offen und kooperativ

Die "Revolutionäre", denen der Westen vertraut: Zu den führenden Protagonisten im libyschen Bengasi gab es schon vor dem Aufstand gute Beziehungen

Von Knut Mellenthin *

Anläßlich der aktuellen Diskussionen im westlichen Lager über Waffenlieferungen an die libyschen »Rebellen« taucht wieder einmal das Argument auf, man wisse noch gar nicht, wer und was sich alles hinter diesem Bündnis heterogener Kräfte verbirgt. Muammar Al-Ghaddafi selbst hat den Vorwurf ins Spiel gebracht, viele seiner Gegner seien militante Islamisten und Terroristen. Die Phantomgruppe »Al-Qaida im Islamischen Maghreb«, die für Anschläge in Algerien und anderen Ländern Nordafrikas verantwortlich zeichnet, tut ihren Teil, um diese Behauptung glaubwürdig erscheinen zu lassen und für ihre eigene Propaganda zu nutzen. Am 24. Februar verkündete sie in einem Internetstatement, sie wolle den libyschen »Rebellen« jede nur mögliche Hilfe leisten, um zum Sturz Ghaddafis beizutragen. Linke Kriegsgegner ebenso wie rechte Interventionsskeptiker operieren mit der Furcht vor dem militanten Islam.

Tatsächlich aber kennen die westlichen Regierungen zumindest die Führer der libyschen »Revolution« ganz genau, halten schon seit einigen Jahren Kontakt zu ihnen, und haben Grund, sich auf sie zu verlassen. Ob unter dem Fußvolk dieses Aufstands muslimische Fundamentalisten und vielleicht sogar Veteranen der Kriege in Afghanistan und im Irak sind, ist demgegenüber eine untergeordnete Frage. Denn erstens stellen diese Kräfte, wenn ihnen nicht die massive Luftunterstützung der NATO zugute käme, keinen ernsthaften militärischen Faktor dar. Und zweitens ist die gesamte Opposition des Landes, da ihre Strategie in erster Linie auf enger Kooperation mit dem Westen aufbaut, zwangsläufig auf diejenigen ihrer Führer angewiesen, die in Washington, Paris, London oder auch Berlin als vertrauenswürdig gelten.

Die personelle Zusammensetzung des am 27. Februars gegründeten »Nationalen Übergangsrats« (TNC) und der am 23. März ins Leben gerufenen »Übergangsregierung« – die bisher nicht mehr als ein Torso mit »Ministern« für wenige zentrale Ressorts ist – entspricht dieser Ausgangslage. Schon die rasante Geschwindigkeit, mit der diese Gremien gebildet wurden, nachdem die Demonstrationswelle gerade erst am 17. Februar begonnen hatte, läßt eindeutig darauf schließen, daß auf sehr soliden Vorarbeiten aufgebaut werden konnte. Wenn diese nicht eng mit dem Westen koordiniert gewesen wären, hätte dieser schwerlich derart kurzentschlossen und zielstrebig in den Bürgerkrieg eingegriffen.

Premierminister der »Übergangsregierung« ist – die Schreibweisen variieren erheblich – Mahmoud Dschibril. Er hat 1980 und 1984 in Pittsburgh, Pennsylvania, akademische Grade in den Politischen Wissenschaften und in strategischer Planung erworben. Anschließend unterrichtete er lange an derselben Universität und war maßgeblich an amerikanisch beeinflußten Trainingsprogrammen für leitende Manager in Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Jordanien, Bahrain, Marokko und Tunesien beteiligt. Erst 2005, nach Einleitung der »Normalisierung« zwischen der Regierung in Tripolis und dem Westen, kehrte er wieder nach Libyen zurück und stieg sofort in wirtschaftspolitische Führungspositionen auf. Er verdankte das, wie viele andere »Reformer«, von denen etliche jetzt bei der Opposi­tion engagiert sind, der Protektion von Saif Al-Islam, einem Sohn Ghaddafis. Dschibrils Aufmerksamkeit galt hauptsächlich der Reprivatisierung der Wirtschaft und der Öffnung der Erdöl- und Erdgasressourcen für westliche Konzerne. Dschibril galt bei US-Diplomaten, wie aus mehreren von Wikileaks veröffentlichen Botschaftsdepeschen hervorgeht, als aufgeschlossener Gesprächspartner mit einem klaren Verständnis für die Bedürfnisse des Westens.

Dem »Übergangsrat« gehörte Dschibril von Anfang an nicht an, wohl mit Blick auf sein künftiges Regierungsamt. Er war aber zusammen mit Ali Al-Issawi damit beauftragt, die Auslandskontakte zu pflegen. Unter anderem sprachen die beiden am 10. März mit Präsident Nicolas Sarkozy, bevor Frankreich als erstes Land der Welt den TNC als einzige legitime Vertretung Libyens anerkannte. Al-Issawi war libyscher Wirtschaftsminister und Generaldirektor der für die Privatisierung zuständigen Zentralbehörde gewesen. Er verlor diese Posten, als er das seiner Ansicht nach zu langsame Tempo der Reformen kritisierte, und war zuletzt Botschafter in Indien.

Ein guter Bekannter des Westens ist auch Ali Tarhouni, der in der »Übergangsregierung« das Amt des Finanzministers hat. Der Sechzigjährige hat den größten Teil seines Lebens in den USA verbracht. Er promovierte an der Michigan State Universität in Wirtschaft und Finanzwesen und arbeitete jahrelang an der University of Washington als Dozent. Erst im März dieses Jahres kehrte er nach Libyen zurück. Er ist verheiratet mit einer amerikanischen Anwältin, die im Justizministerium der USA arbeitet.

An der Spitze des »Übergangsrats« steht Mustafa Mohammed Abdul Dschalil. Nach einer langen Laufbahn im libyschen Gerichtswesen wurde er 2007 Justizminister – und hatte dieses Amt bis zu seinem Rücktritt am 15. Februar 2011 inne. Wahrscheinlich hatte er mit den »Revolutionären« schon länger in enger Verbindung gestanden. In Berichten US-amerikanischer Diplomaten, die mit ihm als Justizminister Ghadaffis zu tun hatten, wird er als offen und kooperativ beschrieben.

* Aus: junge Welt, 1. April 2011


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