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Erster Zuschlag für libysches Öl

Westliche Politiker rufen zu "wirtschaftlichem Engagement" auf. Anhaltende Gefechte in Sirte und Bani Walid

Von Karin Leukefeld *

Die derzeitigen Kämpfe in Libyen konzentrieren sich Agenturmeldungen zufolge nach wie vor auf die Hafenstadt Sirte und die Wüstenstadt Bani Walid. Das Muammar Ghaddafi nahestehende Onlineportal Mathaba.net berichtete, daß Kämpfer des Nationalen Übergangsrates (NTC) vor zwei Tagen in den Hafen von Sirte eingedrungen seien, nachdem dieser von NATO-Kampfflugzeugen bombardiert worden war. Die »Kämpfer der Jamahiriya« hätten sie zurückgeschlagen. Unabhängige Berichterstattung aus Sirte gibt es nicht, ausländische Journalisten berichten zumeist von der Frontseite der NTC-Kämpfer. Diese sagten Reportern vor Sirte, sie hätten Außenbezirke der Stadt einnehmen können. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Donnerstag die Wiedereinnahme des Flughafens durch NTC-Kämpfer. Dieser war seit zwei Wochen umkämpft, nun habe man die »volle Kontrolle« übernommen. Zuvor hatten NATO-Kampfflugzeuge erneut massive Angriffe auf die Stadt geflogen.

In Tripolis haben unterdessen Hunderte Libyer für bessere medizinische Versorgung demonstriert. Vor der Wohnung von Mahmud Dschibril, dem Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates, hielt eine Frau ein Plakat mit der Aufforderung »NATO, vergeßt unsere Verletzten nicht« in die Luft. Unbestätigten Berichten zufolge sollen in den vergangenen Monaten bis zu 50000 Menschen getötet und 30000 verletzt worden sein.

Dschibril hat erklärt, bei der zukünftigen Entwicklung Libyens keine Führungsrolle mehr spielen zu wollen. Bis zur »völligen Befreiung« Libyens werde er seine Arbeit fortführen, so Dschibril am Donnerstag in Tripolis. Gemutmaßt wird, daß er von islamistischen Kräften des Übergangsrates unter Druck gesetzt werde. Möglich ist aber auch, daß der in Ägypten und den USA ausgebildete Ökonom und Politikwissenschaftler seine persönliche Zukunft eher in der Wirtschaft sieht. Von 2007 bis 2011 leitete er in Libyen das Nationale Wirtschafts- und Entwicklungsforum, in dem er für Privatisierung, Liberalisierung und enge bilaterale Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Konzernen, Universitäten und Krankenhäusern eintrat.

Ebenfalls am Donnerstag (29. Sept.) ist eine Delegation von US-Senatoren unter Leitung des Republikaners John McCain zu Gesprächen mit Vertretern des Übergangsrates in Tripolis zusammengetroffen. Bei einer Pressekonferenz unterlief McCain ein bemerkenswerter Versprecher, als er mit den Worten begann, daß er davon geträumt habe, die befreite Hauptstadt Iraks zu besuchen, seit er im April in Bengasi gewesen sei. Auf den Hinweis, daß er sich in Libyen befinde, sagte McCain, er sei so oft im Irak gewesen, daß er meine, er wäre immer noch dort. Die neue Regierung müsse alle Interessensgruppen einbeziehen und die bewaffneten Formationen unter ihre Kontrolle bringen, so McCain. Ghaddafi und seine Familien müßten »der Gerechtigkeit zugeführt« werden. Der Senator rief zum freien Handel und zu Investitionen in Libyen auf. Der Konzern ConocoPhillips hat als erste US-Firma den Zuschlag für den Kauf libyschen Öls nach der Aufhebung der Sanktionen erhalten. 381000 Barrel Rohöl will sie an Deutschland und Frankreich liefern.

Auch Außenminister Guido Westerwelle ermunterte deutsche Unternehmen zum Engagement. Bei einem deutsch-libyschen Treffen des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft in Berlin erklärte er »elementares Interesse am Wiederaufbau« in Libyen. Dafür sei es wichtig, daß auch »das wirtschaftliche Leben wieder in Gang« komme.

* Aus: junge Welt, 1. Oktober 2011


Dschibril will gehen

Libyens Ratschef: Nicht in neuer Regierung **

Bei der zukünftigen Entwicklung Libyens will der Chef des Nationalen Übergangsrates, Mahmud Dschibril, keine Führungsrolle mehr spielen. Tripolis (AFP/nd). Er werde kein politisches Amt in der neuen Regierung übernehmen, sagte Dschibril in Tripolis. Das Exekutivbüro des Übergangsrates werde seine Arbeit aber bis zur »völligen Befreiung« Libyens fortführen, versicherte Dschibril, der sich im Übergangsrat dem Widerstand der Islamisten ausgesetzt sieht. Der Rat hatte erklärt, die Bildung einer Übergangsregierung zu verschieben, bis das Land vollkommen unter Kontrolle sei.

Der republikanische US-Senator Mark Kirk sagte nach einem Besuch in Libyen, Dschibril habe ihm gegenüber erklärt, vorgezogene Wahlen zu befürworten. Zudem habe er versichert, dass die Islamisten lediglich auf 10 bis 15 Prozent der Stimmen kommen würden. Unklar war, ob Dschibril mit seinen Äußerungen vom ursprünglichen Zeitplan für die Wahlen abwich, der nach der Einnahme der Hauptstadt Tripolis Ende August von den früheren Rebellen verkündet worden war. Dieser sieht vor, dass der Übergangsrat acht Monate lang bis zur Wahl einer verfassunggebenden Versammlung regieren kann.

Unterdessen wurde offenbar der Sprecher Muammar al-Gaddafis von den Kämpfern der neuen libyschen Führung gefasst. Mussa Ibrahim sei am Donnerstag nahe Gaddafis Heimatstadt Sirte gefasst worden, sagte ein Kommandeur des Nationalen Übergangsrates der Nachrichtenagentur AFP. Ein weiterer Kommandeur der neuen Führung bestätigte die Festnahme. Kämpfer aus der Stadt Misrata hätten Ibrahim gefasst, erklärte der Kommandeur Mohammed al-Marimi. Noch in der vergangenen Woche hatte Ibrahim laut dem in Syrien ansässigen Fernsehsender Arrai zum »Widerstand« aufgerufen.

** Aus: neues deutschland, 1. Oktober 2011


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