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Wintershall in der Wüste

Deutsche Konzerne setzen wieder mehr auf Ölförderung – auch in Libyen

Von Hermannus Pfeiffer *

Kaum schien Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi entmachtet, wurden erste Stimmen laut, die sich um Deutschlands Energiezukunft sorgen. Libyen war bis zur Krise viertgrößter Erdöllieferant, deutsche Konzerne sind hier seit langem aktiv.

Deutsche Energiekonzerne werden häufig noch unterschätzt. Dabei spielen sie international eine immer schwergewichtigere Rolle bei der Förderung von Energierohstoffen, vor allem als Service-Dienstleister und als Anbieter von Technologien. So ist der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent Wintershall auch in Libyen vor Ort im Geschäft. Seit der Jahrtausendwende setzt die Tochter des Chemiekonzerns BASF zudem verstärkt auf eigene Förderung, vor allem in Russland. Im vergangenen Jahr wurden 133 Millionen Barrel (à 159 Liter) an Erdöl und Erdgas gefördert – eine Steigerung um rund 70 Prozent.

Wintershall machte schon vor Gaddafis Militärputsch 1969 Geschäfte mit Tripolis. Bereits ein Jahrzehnt zuvor begann man, Erdöl im Wüstenstaat zu fördern und zu verarbeiten. Seither wurden laut Firmenangaben über 150 Bohrungen abgeteuft und mehr als zwei Milliarden US-Dollar investiert. Vor fünf Jahren gab es dann von Gaddafi den Zuschlag für ein weiteres Explorationsgebiet im Südosten des Staates, dessen Fläche fünf Mal so groß ist wie die Deutschlands. Hier leben lediglich fünf Millionen Einheimische; hinzu kamen zwischen Tripolis im Nordwesten und Tobruk an der Grenze zu Ägypten bis zum Kriegsausbruch fast zwei Millionen Ausländer, die für die Ölindustrie arbeiten.

Die Kontakte der BASF-Tochtergesellschaft zum Gaddafi-Regime müssen als eng angesehen werden. Sie betreibt acht Ölfelder in der libyschen Wüste. An diesen Projekten ist die russische Gazprom zu 49 Prozent beteiligt. Vor der Küste des Landes fördert Wintershall außerdem in einem Konsortium mit der staatlichen libyschen National Oil Corporation (NOC) und der französischen Total aus dem Offshore-Feld »Al Jurf« im ökologisch labilen Mittelmeer. Auch BP, die italienische Eni und andere Multis sind dabei, wenige hundert Kilometer von Malta entfernt Öl und Gas zu fördern.

Aktiv ist seit 2003 auch RWE Dea. Mit insgesamt sieben Konzessionen von der libyschen Ölgesellschaft NOC verfügt der deutsche Energieriese über eine ausbeutbare Konzessionsfläche, die größer ist als Nordrhein-Westfalen.

Als sich die Lage in Libyen im Spätwinter zugespitzt hatte, kam es Ende Februar zu einer spektakulären militärischen Aktion der Bundesrepublik. Am helllichten Tag landeten zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr mitten in der Wüste. Die Soldaten evakuierten 200 Deutsche und EU-Bürger aus einem Camp der Wintershall und flogen sie nach Kreta aus. In Berlin war die Entscheidung für die Mission an einem Freitagabend gefallen, nachdem immer mehr Europäer in das vergleichsweise komfortable Wintershall-Wüstenlager geflüchtet waren. Es besitzt eine eigene Landebahn. Fast 400 lokale Mitarbeiter überwachen seither die weiträumige Hochtechnologieanlage. Die Erdölproduktion wurde laut Firmenangaben Ende Februar wegen der Unruhen unterbrochen und »sicher eingeschlossen«. Aktuell plant Wintershall noch nicht die Wiederaufnahme der Produktion, beobachtet aber die Situation.

Vor den Auseinandersetzungen förderte Libyen insgesamt 1,6 Millionen Barrel Öl pro Tag, was etwa zwei Prozent der globalen Erdölförderung ausmachte. Europa nahm etwa 90 Prozent ab. Den fast totalen Ausfall Libyens nutzten andere Förderländer aus: »Besonders Saudi-Arabien hat seine Produktion kräftig ausgedehnt, um die libyschen Förderausfälle auszugleichen«, erklärt Leon Leschus, Energieexperte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes. Nach einem Ende der Kämpfe könnte sich das Ölangebot erhöhen und bestenfalls auf lange Sicht zu sinkenden Rohölpreisen führen.

Doch bis dahin dürften noch Monate vergehen. »Dabei wird vieles davon abhängen, in was für einem Ausmaß die Ölförderanlagen durch den Konflikt beschädigt wurden«, sagt Leschus. Trotzdem dürften Heizöl, Benzin und Diesel zwischen Rostock und München auch bei einem längerfristigen Ausfall Libyens nicht knapp werden, weil die drei deutschen Hauptlieferanten Russland, Norwegen und Großbritannien weiterhin in die Bresche springen können. In allen drei Ländern fördert auch Wintershall.

* Aus: Neues Deutschland, 24. August 2011


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