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Die Spur des Öls

In Libyen geht es dem Westen nicht um Menschenrechte, sondern um die Ressourcen des kleinen, aber reichen Landes

Von Richard Corell *

Noch unterliegen US-Konzerne wie Halliburton in Libyen Restrikti Noch unterliegen US-Konzerne wie Halliburton in Libyen Restriktionen. Nach einem Machtwechsel in Tripolis könnte sich dies schnell ändern Die Ölkonzerne haben ein großes Interesse an Libyen. Nicht nur, um die Quellen dort auszubeuten, sondern vor allem, um über sie zu verfügen und sie gegebenenfalls nicht auszubeuten, beispielsweise um die Preise durch eine Drosselung der Förderung hochzutreiben. Bekanntlich ist der Mittelmeeranrainer das Land mit den größten Ölreserven Afrikas – noch vor Nigeria und Angola. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß die internationalen Ölmultis kein monolithisches Kartell mit gleichgerichteten Interessen sind. Auch innerhalb wird gekämpft – um die Quote nämlich, also um den Anteil an den Ölquellen, an den Profiten, an der Beute.

Wer verstehen will, weshalb die Regierungen der USA und Großbritanniens mit Hilfe der NATO auf Libyen (und nicht etwa auf das in Sachen Menschenrechte mittelalterliche Saudi-Arabien) losgehen, warum Frankreich und Italien zunächst die Führung in der »Anti-Ghaddafi-Front« übernahmen, sich dann doch »einordneten« und auch weshalb die Merkel-Regierung keine Soldaten schicken will, aber mit den Rebellen in Benghasi anbändelt – muß der Spur des Öls etwas genauer nachgehen.

Ringen um Einfluß

Als Libyen unter Muammar Al-Ghaddafi 1969 König Idriss davonjagte, gab es über die Verstaatlichungen der folgenden Jahre zunächst heftige Auseinandersetzungen mit British Petroleum (BP – damals noch in staatlichem Besitz). Das Unternehmen zog sich vollständig aus Libyen zurück. Ab 1982 verbot US-Präsident Ronald Reagan den Import von Rohöl aus dem nordafrikanischen Staat, und auch die US-Ölmultis Exxon und Mobil (damals noch nicht fusioniert) verließen das Land. Das geschah in einer Zeit relativ niedriger Ölpreise auf dem Weltmarkt. Durch den Rückzug wurde das Angebot gedrosselt.

1986 wurde das Embargo gegen Libyen verschärft. Dadurch sollten auch Außenseiter des Ölkartells in ihren Libyen-Geschäften aufgehalten werden, wie beispielsweise Amerada Hess oder Occidental Petroleum.

Während dieser Zeit waren andere kapitalistische Konzerne im Land verblieben: Vor allem waren das Elf Aquitaine (heute fusioniert in Total) aus Frankreich, ENI/Agip aus Italien, sowie Wintershall und die Veba-Öl aus der BRD. Auch Shell (Niederlande/England) hatte die Brücken nie ganz abgebrochen. Und die libysch-staatliche National Oil Company (NOC) schloß Abkommen mit Gesellschaften aus Bulgarien und Rumänien, aber auch aus Brasilien sowie mit der österreichischen OMV. Trotz der Verschärfung der Sanktionen 1992 (im Zusammenhang mit dem Lockerbie-Fall) kam u.a. die belgische Petrofina (heute auch zu Total gehörig) neu ins Spiel.

Damals zeigte sich bereits die Konstellation im Kampf um die Neuaufteilung der Ölquellen, bei der italienische, französische und schließlich deutsche Konzerne die Vormacht der US-amerikanischen und britischen Multis brechen wollten. Es sei in diesem Zusammenhang nur daran erinnert, daß die USA und das Vereinigte Königreich dem stärkeren Eindringen von Total und von russischen Ölunternehmen in den Irak 2003 mit dem Krieg zuvor kamen.

2004 lockerten die USA das Embargo, Washington nahm 2006 Libyen offiziell von der Liste der sogenannten Schurkenstaaten. Aber die größten Brocken waren da schon verteilt. Immer größer im Geschäft waren die italienische ENI, seit 2000 auch mit der Gaz de France verbunden, und die BASF-Tochter Wintershall (Erdölförderung in Libyen seit 1958). Mit großem Tamtam und Kanzler Gerhard Schröder als Emissär bei Ghaddafi wurde 2004 die Präsenz deutscher Energieriesen bekräftigt: RWE ist seit 2003 in Libyen, E.on und dessen Tochter Ruhrgas sind seit 2008 vertreten.

Die größten Abnehmer von libyschem Öl und Gas sind ENI-Agip aus Italien und BASF/Wintershall, RWE und E.on aus der BRD, gefolgt von Total und Gaz de France. Von zentraler Bedeutung ist dabei die »Greenstream«-Pipeline, die in Sizilien mit der aus Algerien kommenden Gasleitung (Trans-Mediterranean Pipeline) zusammentrifft und zu Verteilerstationen in Norditalien geführt wird.

BRD als »Biedermann«

Eine Besonderheit am Rand: Die in Italien, in der BRD und der Schweiz vertretene Tankstellenkette Tamoil gehörte der NOC. Ab 2007 durfte ein US-Investor mit dem treffenden Namen Colony Capital dort die Mehrheit übernehmen. Colony, das sonst vor allem in Hotels und Spielcasinos z.B. in Las Vegas »macht«, besitzt im übrigen auch die Mehrheit an Michael Jacksons Neverland Ranch. Hinter dem Investor steht die Familie Fertitta, der Beziehungen zur Mafia nachgesagt werden.

Neben diesem bekannten Spiel der Multis und der imperialistischen Staaten traten auch Rußland und China in Libyen auf. Die fernöstliche Volksrepublik nahm 2010 mehr als zwölf Prozent der libyschen Rohölexporte ab. Seit 2005 exploriert und fördert die staatliche Ölgesellschaft CNPC im Lande. Gasprom bot 2008 gar an, die gesamte libysche Gasproduktion abzunehmen.

Angesichts solcher »Bedrohungen« hatten die britschen und US-Konzerne am meisten durch den Krieg zu gewinnen – und zurückzugewinnen. Die in Libyen etablierten Konzerne aus Italien, Frankreich und der BRD mußten abwägen, ob sie lieber zu Gunsten der USA und Großbritanniens, oder Chinas und Rußland verlieren wollten. Der von Präsident Nicolas Sarkozy repräsentierte französische Imperialismus entschied sich für eine Vorwärtsstrategie und hat inzwischen den Schulterschluß mit Italiens obersten Oligarchen und Regierungschef Silvio Berlusconi durchgesetzt. Die zwiespältige Reaktion des US-Imperialismus darauf läßt sich an der dortigen Kritik von rechts an Obama ablesen: Entweder solle er führen oder aussteigen, so die Forderung vor allem der Republikaner. Der BRD-Imperialismus – in dem seit Schröder/Fischer bewährten Kostüm »friedlich und humanitär« unterwegs – rechnet in der Maske des Biedermanns wohl auf libysche Sympathien. Und auf fette Konzessionen.

* Aus: junge Welt, 4. Juli 2011


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