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Eine Erfolgsgeschichte? NATO beendet Libyenkrieg

Ein Beitrag von Andreas Flocken in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


In dieser Woche hat die NATO ihren Luftkrieg gegen Libyen beendet. Sieben Monate hat die Operation Unified Protector gedauert. Mehr als 26.000 Einsätze wurden geflogen, ohne dass es eigene Verluste gegeben hat. Für NATO-Generalsekretär Rasmussen gehört die Militäroperation in Nordafrika zu den erfolgreichsten in der Geschichte der Allianz:

O-Ton Rasmussen
„We have fully complied with the historic mandate of the United Nations to pro-tect the people of Libya, to enforce the no-fly zone and the arms embargo. Op-eration Unified Protector is one of the most successful in NATO history.”

Für Rasmussen hat die NATO das UN-Mandat voll umgesetzt - nämlich die Bevölkerung vor den Gaddafi-Truppen zu schützen und das verhängte Waffenembargo durchzusetzen. Das wichtigste Ergebnis des Luftkrieges nennt der NATO-Generalsekretär allerdings nicht: den Sturz von Mummar al Gaddafi. Das ist nicht verwunderlich. Denn der Regimewechsel war durch die UN-Resolution 1973 nicht gedeckt – obwohl es für die libyische Bevölkerung ein Segen ist, dass die Gaddafi-Herrschaft beendet wurde.

Anders als vom NATO-Generalsekretär behauptet, nahm es die Allianz mit dem UN-Mandat allerdings nicht so genau. Um den Schutz der Bevölkerung ging es lediglich am Rande. So sieht es nicht nur der ehemalige Bundeswehr-General Klaus Reinhardt:

O-Ton Reinhardt
„Der Hauptgrund war, dass man Gaddafi absetzen wollte, und ihn von seiner Position vertreiben wollte. Das war ja ganz zu Beginn gleich politisch wieder und wieder gesagt worden. Und das wurde ja auch letztendlich zum zentralen Thema dieses Einsatzes und hat mit dem ursprünglichen Plan, [die] Zivilbevölkerung zu schützen, nur sehr begrenzt zu tun.“

Die NATO war praktisch die Luftwaffe der Aufständischen und somit Kriegspartei. Schutz der Bevölkerung? Nach Angaben der neuen libyschen Führung sind in dem Krieg mindestens 30.000 Menschen getötet worden. Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Ehrhart
„Es ist müßig zu fragen, wären auch 30.000 Leute gefallen, hätte die NATO nicht eingegriffen, hätte also Gaddafi sein Massaker wahrgemacht, das er indirekt angekündigt hat. Tatsache ist: 30.000 Leute sind tot. Und das gehört zur Bilanz dazu.“

Von der NATO verdrängt wird auch, dass das verhängte UN-Waffenembargo in der Praxis nur für die libyschen Streitkräfte galt – nicht aber für die Auf-ständischen. Frankreich und andere Staaten haben dafür gesorgt, dass den Rebellen Waffen und Munition nicht ausgingen.

Offiziell wurde die Militärintervention in Libyen also mit dem Schutz der Zivilbevölkerung begründet - praktisch ging es aber um einen Regimewechsel. Die UN-Resolution 1973 wurde von der NATO überdehnt. Für Kritiker hat sie das Mandat instrumentalisiert, um den libyschen Machthaber zu stürzen. Es darf daher bezweifelt werden, dass China und Russland, aber auch andere Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, künftig eine ähnliche UN-Resolution passieren lassen werden.

Die positive Bilanz des NATO-Generalsekretärs muss auch in einem anderen Punkt relativiert werden. Die Zukunft Libyens ist nach dem Ende der Gaddafi-Herrschaft ungewiss. Der Hamburger Konfliktforscher Hans-Georg Ehrhart:

O-Ton Ehrhart
„Wir wissen noch nicht was kommt, wie der innenpolitische Prozess verläuft, ob das Land stabil bleibt. Es ist interessant, dass die NATO jetzt direkt raus ge-gangen ist. Ich habe gehört, auch mit der Begründung, man wolle sich nicht in einen eventuellen internen Konflikt verwickeln lassen. Also ganz so sicher scheint sie sich nicht zu sein.“

Verdrängt wird vom NATO-Generalsekretär außerdem, dass die Militäraktion im Bündnis höchst umstritten war. Der ehemalige Bundeswehr-General Klaus Reinhardt ist inzwischen aber erleichtert:

O-Ton Reinhardt
„Ich bin froh, dass die NATO nicht auseinander gefallen ist, wie das am An-fang ja viele gesagt haben; dass die NATO ihre Kohärenz behalten hat.“

An der Militäroperation hat sich nur eine Minderheit der 28 Bündnismitglieder beteiligt. Deutschland stand mit seiner Skepsis nicht alleine da. Hinter die Er-folgsmeldungen aus Brüssel muss daher ein dickes Fragezeichen gesetzt werden.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 5. November 2011; www.ndr.de/info


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