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Streit mit den Milizen

Viele Exrebellen in Libyen wollen Waffen erst abgeben, wenn der Staat die volle Kontrolle über das Land hat. So kann der sie nie bekommen

Von Karin Leukefeld *

Die Entwaffnung von Tausenden Rebellen in Libyen entwickelt sich für die Nationale Übergangsregierung zu einem Problem. Bis zum 1. Januar 2012 soll ein Generalstabschef ernannt werden, um die neue Armee aufzubauen. Die Personalentscheidung soll ein Komitee von 25 Offizieren treffen, die von den Milizen ausgewählt werden. Bei einem ersten Treffen vor wenigen Tagen sah es nicht so aus, als ob die zerstrittenen bewaffneten Gruppierungen sich auf eine Person einigen können.

Am vergangenen Sonntag (25. Dez.) hatten Verteidigungs-, Innen- und Planungsminister einen Vorschlag vorgelegt, wie die Milizen in die neue Armee und Polizei eingegliedert werden sollen. Wer das nicht will, könnte in ein Ausbildungsprogramm für andere Berufe integriert werden oder mit staatlicher Hilfe ein Geschäft aufmachen, so die Ressortchefs.

Offiziere der bisherigen Armee, wie Oberst Baschir Al-Queidat, zeigen sich unzufrieden mit der langsamen Entwicklung. Der Übergangsrat mache den Milizen Angebote, weil er »Angst vor der Macht der Revolutionäre« habe. Al-Queidat forderte mehr Befugnisse, um die nichtregulären Truppen endgültig zu entwaffnen.

Die auch mit Hilfe des Auslands ausgerüsteten Brigaden wollen ihre teilweise schweren Waffen allerdings erst dann abgeben, »wenn der Staat wirklich die Kontrolle« habe, sagte ein Milizenvertreter dem Onlineportal Middle East Online. Die Hoheit allerdings wird der Übergangsrat erst dann haben, wenn die Milizen entwaffnet sind. Die Anordnung des Übergangsrates an alle Einheiten, bis zum 20. Dezember aus Tripolis abzuziehen, wurde von den meisten Gruppen ignoriert.

Man wolle nicht nur für die Sicherheit Libyens eingesetzt werden, sagte Milizenvertreter Fraj Al-Soueihli. Man wolle an der politischen Gestaltung und dem wirtschaftlichen Reichtum des Landes beteiligt werden. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, halten Milizen seit der Eroberung von Tripolis zentrale Schaltstellen in der libyschen Hauptstadt besetzt, darunter den internationalen Flughafen.

Als Vertreter des nach eigenen Angaben größten Zusammenschlusses von Milizen, der »Union der Libyschen Revolutionäre«, forderte Al-Soueihli 40 Prozent aller politischen Ämter des Nationalen Übergangsrates. Sitz der Rebellenunion ist die wochenlang umkämpfte Hafenstadt Misrata. Man vertrete 70 Prozent der ehemaligen Rebellen, so Al-Soueihli. Die Kämpfer seien »Symbole der Revolution« und hätten das verdient.

Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind Rebellen von Misrata für die rücksichtslose Verfolgung von dunkelhäutigen Libyern verantwortlich, den Tawergha. Rund 10000 der afrikanisch stämmigen Tawergha – Nachfahren von Sklaven, die im 18. und 19. Jahrhundert nach Libyen gebracht worden waren – wohnten in der gleichnamigen Küstenstadt, rund 40 Kilometer von Misrata entfernt. Einwohner der Hafenstadt machten sie für Morde und Vergewaltigungen im Auftrag Muammar Al-Ghaddafis verantwortlich, dessen Truppen von Tawergha aus versucht hatten, den Widerstand Misratas zu brechen. Obgleich die Vorwürfe nicht belegt wurden, begann die Misrata-Brigade, ein Zusammenschluß von Rebellen, im September eine mörderische Jagd auf die Tawergha. Sie zerstörten und verbrannten deren Häuser und änderten das Ortsschild in »Neu-Misrata« um. Der britische Reporter Andrew Gilligan fand eine Geisterstadt vor und sprach von »ethnischer Säuberung«. In seinem Bericht im Sunday Telegraph zitierte er eine Wandparole, in der sich die Misrata-Brigade als diejenige rühmte, die Tawergha »von Sklaven und Schwarzhäutigen gereinigt« habe.

* Aus: junge Welt, 29. Dezember 2011


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