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Linke fliegen auf NATO

Lothar Bisky und zwei weitere Abgeordnete der Fraktion GUE/NGL im Europaparlament unterstützen Forderung nach Flugverbotszone über Libyen

Von Arnold Schölzel *

Am heutigen Donnerstag (10. März) stimmt das Europaparlament im französischen Strasbourg über einen »Gemeinsamen Resolutionsantrag« aller Fraktionen mit Ausnahme der föderalen Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) zur »Südlichen Nachbarschaft und speziell Libyen« ab. Das Papier unterstützt unter anderem die mögliche Entscheidung des UN-Sicherheitsrats über eine Flugverbotszone in Libyen. Allerdings wird der Antrag vom deutschen GUE/NGL-Fraktionsvorsitzenden Lothar Bisky (Die Linke) und den Mitgliedern der Parlamentariergruppe Miguel Portas (Bloco de Esquerda, Portugal) und Marie-Christine Vergiat (Front de Gauche, Frankreich) befürwortet. Portas schloß sich in einer Rede am Mittwoch im Plenum der Forderung nach einer Flugverbotszone ausdrücklich an. Nach jW vorliegenden Informationen war ursprünglich beabsichtigt, daß die drei Abgeordneten für die Fraktion unterzeichnen. Das wurde aber nach Protesten anderer Abgeordneter fallengelassen. Eine Aussprache in der Fraktion über das Thema kam am Dienstag abend nach diesen Quellen nicht zustande.

Der Antrag bekundet »Solidarität mit dem libyschen Volk« und fordert ein »sofortiges Ende des brutalen diktatorischen Regimes von Oberst Ghaddafi«. Unter Punkt zehn heißt es dann: Das Europäische Parlament fordere von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und den Mitgliedstaaten, »sich für eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrats bereitzuhalten, einschließlich der Möglichkeit einer Flugverbotszone mit dem Ziel, das Regime davon abzuhalten, die Zivilbevölkerung anzugreifen«.

Gegen die Unterstützung des Antrags, der auch Erklärungen der Partei Die Linke widerspricht, wandten sich mehrere Abgeordnete der GUE/NGL. Sabine Lösing (Die Linke, Deutschland) bezeichnete die Unterstützung einer Flugverbotszone als »Autorisierung von Krieg«, der »als Angriffskrieg betrachtet werden« sollte. Willy Meyer (Izquierda Unida, Spanien) warnte in einem Brief an Bisky, Portas und die Länderdelegationen in der Fraktion, die GUE/NGL könne »diese rote Linie nicht überschreiten«. Er verwies auf die Äußerung von US-Verteidigungsminister Robert Gates, wonach »eine Flugverbotszone mit einer Attacke zur Zerstörung der libyschen Luftabwehr beginnt«, d. h. mit einer militärischen Intervention. Die Resolution demonstriere erneut die doppelten Standards in bezug auf humanitäre Krisen oder kriminelle Handlungen von Staaten, mit denen die Gemeinschaft Assoziationsabkommen habe. So habe die »Aggression Israels gegen Libanon oder das Massaker an der Zivilbevölkerung in Gaza die internationale Gemeinschaft nicht veranlaßt, eine Flugverbotszone in Israel einzurichten«. Die beiden Abgeordneten der Griechischen Kommunistischen Partei KKE, Georgios Toussas und Charalampos Angourakis, sowie die Abgeordneten der Portugiesischen Kommunistischen Partei kündigten ihr Nein zu der Resolution an.

Vertreter aller übrigen Fraktionen des Parlaments forderten am Mittwoch die Errichtung einer Flugverbotszone in Libyen. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit appellierte zugleich an die EU, die Interimsregierung in Libyen rasch anzuerkennen. Diese Forderung sowie die nach einer Flugverbotszone hatte der frühere libysche Planungsminister und Gründungsmitglied des Nationalrates des Landes, Mahmud Dschebril, bereits am Dienstag in einer Rede vor Abgeordneten des Europaparlaments in Strasbourg erhoben.

* Aus: junge Welt, 10. März 2011


Kriegstreiberei

Libyen-Resolution im EU-Parlament

Von Arnold Schölzel **


Noch steht nicht fest, wie sich die Mitglieder der deutschen Linkspartei in der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke heute bei der Abstimmung des Europaparlaments zu Libyen verhalten. Die Tatsache, daß der Fraktionsvorsitzende Lothar Bisky den von allen anderen Fraktionen eingebrachten Resolutionsantrag, in dem u.a. die Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen unterstützt wird, befürwortet, setzt allerdings eine Zäsur. Das »unverantwortliche Gerede« – so am Sonntag (6. März) der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke – über militärische Interventionen, und nichts anderes verbirgt sich hinter »Flugverbotszone«, hatte die Linkspartei bislang scharf verurteilt bzw. als Kriegstreiberei bezeichnet. Um nichts anderes handelt es sich.

Selbst unter sogenannten Falken in den USA, die sich um völkerrechtliche Aspekte in solchen Situationen und auch jetzt keine Gedanken machen, beginnt gerade eine Debatte darüber, ob die Kosten einer Intervention in Libyen nicht höher sind als der Nutzen. Über die tatsächliche Lage in dem Land gibt es offenbar selbst in den westlichen Stabsquartieren nur wenige verläßliche Informationen, weitgehend unbekannt scheinen die politische Ausrichtung und die Zusammensetzung der aufständischen Kräfte zu sein. Es heißt nicht, sich auf die Seite Ghaddafis zu schlagen, wenn man darauf hinweist, daß bislang allein die Propaganda westlicher Medien mit Vokabeln wie »Völkermord«, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« und anderem einen »Grund« geliefert hat, militärisch einzugreifen. Dieselben Medien, die vor wenigen Tagen noch – um es freundlich auszudrücken – äußerst zurückhaltend über die Hunderten Toten bei den Aufständen gegen Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten berichteten, werden derzeit nicht müde, mit Wendungen wie »Schlächter seines Volkes« und »Der Revolutionär frißt seine Kinder« Emotionen zu schüren. Das Verfahren ist bekannt. Es ähnelt dem, das vor den Kriegen zur Auflösung Jugoslawiens, vor der Invasion des Irak und bei der Zerstörung Afghanistans zu beobachten war. Jeweils nach einigen Jahren warben dann die beteiligten PR-Agenturen, die von der westlichen Wertegemeinschaft mit der Fabrikation von Bildern und »Nachrichten« für hohe Beträge beauftragt wurden, mit ihren effizienten Leistungen.

Es wird gesagt, bei Kriegsbeginn spalte sich die Linke. Der Satz enthält einen Fatalismus, der politisch lähmt. Richtig ist: Der immense Propagandaaufwand, der heutigen imperialistischen Kriegen vorhergeht, dient weniger der Täuschung des Kriegsgegners als der Täuschung der mehrheitlich (noch) kriegsunwilligen eigenen Bevölkerung und der Spaltung des Antikriegslagers. Wer jetzt die EU-Resolution unterstützt, hilft dabei – von der Frage nach den ihn leitenden Prinzipien ganz abgesehen.

** Aus: junge Welt, 10. März 2011 (Kommentar)


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