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Ende einer Freundschaft

Berichte über enge Kooperation westlicher Geheimdienste mit Libyen. Auch Deutschland war dabei

Von Knut Mellenthin *

Die Mainstreammedien tun überrascht: War die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten des Westens und Libyens etwa enger, als man bisher wußte? Sollte es gar stimmen, daß die US-amerikanische CIA und der britische MI6 gefangene libysche Islamisten an ihr Heimatland ausgeliefert haben, wo ihnen Folter und unmenschliche Haftbedingungen drohten?

Die internen Papiere aus dem Büro des früheren libyschen Geheimdienstchefs Mussa Kussa, über die seit dem Wochenende berichtet wird, verraten in Wirklichkeit nichts wesentlich Neues. Sie bereichern das Bild aber um viele interessante Details.

Die Dokumente wurden angeblich am Freitag von Peter Bouckaert, dem Direktor der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), im ehemaligen Hauptquartier des libyschen Auslandsgeheimdienstes in Tripolis entdeckt. Angeblich war HRW von der Rebellenführung gebeten worden, bei der »Sicherstellung« des Aktenmaterials zu helfen. Dabei fand Bouckaert nach eigener Darstellung drei Ordner, von denen einer mit »CIA« und zwei mit »MI6« beschriftet waren. Er fotografierte die Papiere – und übergab das Material sofort mehreren Zeitungen, darunter dem britischen Independent und dem neokonservativen Wall Street Journal.

CIA-Briefe

Die Geschichte ist an sich schon nicht völlig überzeugend, und sie wird noch fragwürdiger durch den Umstand, daß HRW enge Beziehungen zum US-Außenministerium nachgesagt werden, dem wiederum die CIA untersteht. Deren Sprecherin Jennifer Young­blood verweigerte einen Kommentar zu den Akten, rang sich aber immerhin zu dem vielsagenden Satz durch: »Es kann nicht überraschen, daß die CIA mit ausländischen Regierungen zusammenarbeitet, um unser Land vor Terrorismus und anderen Bedrohungen zu schützen.«

Ersten Berichten zufolge enthält das Material unter anderem zahlreiche Briefe der CIA, in mindestens einem Fall auch des MI6, in denen die Auslieferung von Gefangenen angeboten wurde. Begleitet von Formulierungen, daß man eine humane Behandlung der Überstellten erwarte, teilten die Dienste ihren libyschen Kollegen mit, welche Auskünfte man von diesen Personen erwartete. In einem Fall soll ein Katalog mit 89 im Verhör zu stellenden Fragen beigefügt worden sein. Gelegentlich meldeten die Amerikaner aber auch ihr Interesse an, bestimmte Gefangene persönlich zu vernehmen. In einem Brief der CIA vom 15. April 2004 wurden im Zusammenhang mit solchen Überstellungen »jüngst entwickelte Vereinbarungen« erwähnt.

Noch vor dem Bekanntwerden der Akten hatte der Militärkommandeur der Rebellen in Tripolis, Abdel Hakim Belhadsch, Journalisten mehrerer Medien über seine eigenen Erfahrungen mit dieser Kooperation berichtet. Er war, aus Afghanistan kommend, im Februar 2004 von der CIA auf dem Flughafen von Kuala Lumpur (Malaysia) verhaftet und anschließend in ein Geheimgefängnis des Dienstes in der thailändischen Hauptstadt Bangkok geschafft worden. Dort sei er von Amerikanern unter Folter verhört und schließlich an Libyen ausgeliefert worden, wo er bis zum März 2010 gefangengehalten wurde.

Gute Beziehungen

Daß US-Dienststellen gefangene »Dschihadisten« und »Terrorismusverdächtige« an ihre Heimatländer auslieferten, um sie mit dortigen Methoden verhören zu lassen, ist seit langem bekannt. Das Wall Street Journal schrieb am 3. September, daß diese Praxis zumindest bis 1995 zurückreiche, als die USA eine solche Kooperation mit Ägypten begannen.

Der MI6 soll, dem Bericht des Independent zufolge, besonders eng mit dem libyschen Geheimdienst zusammengearbeitet und in einigen Fällen auch Informationen über in Großbritannien lebende Libyer nach Tripolis weitergeleitet haben. Das Blatt erwähnt ein Schreiben, mit dem der MI6 seine libyschen Kollegen darüber informierte, daß ein namentlich genannter Oppositioneller aus britischer Haft entlassen worden sei, nachdem das zuständige Gericht ihm bescheinigt hatte, er stelle keine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Die New York Times zitierte aus einem Brief des MI6 zur Auslieferung eines gefangenen Libyers: »Das war das Mindeste, was wir für euch tun konnten, um die bemerkenswerte Beziehung zu demonstrieren, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben.«

Schon seit Jahren war bekannt, daß der damalige libysche Geheimdienstchef Mussa Kussa kurz nach dem 11. September, am 3. Oktober 2001, zu mehrtägigen Gesprächen mit hochrangigen Vertretern des MI6 und der CIA nach London geflogen war. Anwesend war auch der Staatssekretär für Nahost-Angelegenheiten im US-Außenministerium, William Burns. Das war der Beginn einer immer intensiver gestalteten Zusammenarbeit. Aus den von Wikileaks veröffentlichten Depeschen weiß man, daß US-Dienststellen bei mehreren Gelegenheiten betonten, Libyen sei »ein Spitzenpartner bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus«. Außenministerin Condoleezza Rice lobte sogar öffentlich Libyens »exzellente Kooperation mit den USA« in der Terrorismusbekämpfung.

* Aus: junge Welt, 5. September 2011


Geheimdienste kooperierten mit Gaddafi

CIA ließ Terrorverdächtige in Libyen verhören / Übergangsrat kündigte Sturm auf Bani Walid an **

In Libyen gefundene Dokumente enthüllen nach Presseberichten eine teils enge Kooperation zwischen westlichen Geheimdiensten und dem libyschen Staat unter Muammar al-Gaddafi. So habe die CIA unter anderem achtmal Terrorverdächtige in das für seine Folterpraxis bekannte Land zur Befragung geschickt, meldete die »New York Times«. Und der britische MI-6 habe für die Libyer sogar Telefonnummern überprüft.

Die CIA habe unter Präsident George W. Bush Terrorverdächtige nach Libyen geschickt und Fragen für die Verhöre nahegelegt, berichteten das »Wall Street Journal« und die »New York Times«. Tripolis habe dafür gefordert, Oppositionsführer Abu Abdullah al-Sadik nach Libyen zu bringen. Sadik soll ein Pseudonym von Abdel Hakim Belhadsch sein, der heute Truppen der neuen libyschen Führung befehligt.

Die britische Zeitung »The Independent« berichtete, Großbritannien habe Gaddafis Agenten mit Informationen über libysche Oppositionelle im Exil versorgt. Bei ihren Berichten stützen sich die Zeitungen auf Dokumente des ehemaligen libyschen Außenministers Mussa Kussa, die Forscher der Organisation Human Rights Watch vergangene Woche in Tripolis gefunden hatten. Unter den Fundstücken soll sich auch ein Brief des früheren britischen Premiers Tony Blair an Gaddafi-Sohn Saif al-Islam aus dem Jahr 2007 befinden. Darin habe Blair dem Adressaten bei dessen Doktorarbeit geholfen. Der Brief beginne »Lieber Ingenieur Saif« und sei unterzeichnet mit »die besten Wünsche, hochachtungsvoll, Tony Blair«.

Die »Sunday Times« berichtete, 2006 seien die Gaddafi-Söhne Chamis und Saadi zu Führungen durch die Zentralen der Armee-Spezialeinheiten SAS und SBS eingeladen worden. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in London fanden die Besuche allerdings nicht statt.

Weder die britische noch die US-amerikanische Regierung wollten zu den Berichten Stellung nehmen. Auch die Bundesregierung äußerte sich nicht dazu, ob es in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit mit libyschen Geheimdiensten gab. Zu nachrichtendienstlichen Vorgängen werde nicht Stellung genommen, sagte ein Sprecher.

Deutsche Sicherheitsbehörden erhielten in der Vergangenheit aber offenbar Informationen von Gaddafis Geheimdienst. »Es ging in erster Linie um Informationen für den Anti-Terrorkampf und damit um die Sicherheitsinteressen Deutschlands«, sagte der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer laut Zeitungsberichten. Gemeinsame Aktionen habe es nicht gegeben, versicherte Schmidbauer, von 1991 bis 1998 Staatsminister im Kanzleramt.

Der Westen hatte Gaddafi jahrzehntelang geächtet. Erst nach der Jahrtausendwende begann eine Annäherung an das ölreiche Land. Ende 2003 hatte Gaddafi den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt. Außerdem entschädigte Tripolis die Angehörigen westlicher Opfer von Libyen zugeschriebenen Terroranschlägen.

In Libyen bereiteten sich Truppen der neuen Führung am Wochenende darauf vor, die Wüstenstadt Bani Walid zu stürmen, angeblich eine der letzten Bastionen Gaddafis. Der Ort 150 Kilometer südöstlich von Tripolis sei von drei Seiten eingekreist, hieß es. Der Innenminister des Übergangsrates, Ahmed Dharrat, sagte am Sonntag, Bani Walid werde »heute oder morgen« befreit. Geflüchtete Bewohner berichteten, viele Gaddafi-Kämpfer hätten Bani Walid inzwischen verlassen und sich mit schweren Waffen in die Berge zurückgezogen.

NATO-Kampfflugzeuge griffen auch am Sonntag (4. Sept.) wieder vermeintliche Gaddafi-Hochburgen an, darunter Bani Walid, Buairat al-Hasun und Sirte. Nach Angaben der Zentrale in Brüssel wurden Militärunterkünfte, ein Lager der Militärpolizei und Militärfahrzeuge getroffen.

Human Rights Watch fordert von den Aufständischen indessen ein Ende willkürlicher Festnahmen von Schwarzafrikanern, die grundsätzlich verdächtigt würden, Söldner Gaddafis gewesen zu sein.

** Aus: Neues Deutschland, 5. September 2011


Ghostwriter für Ghaddafi

Support aus Washington und London

Von Knut Mellenthin ***


Zu den im ehemaligen Hauptquartier des libyschen Auslandsgeheimdienstes gefundenen Akten gehört angeblich auch der Entwurf einer Ansprache, mit der Ghaddafi im Dezember 2003 den Verzicht seines Landes auf die Entwicklung von atomaren, biologischen und chemischen, also Massenvernichtungswaffen (WMD), bekanntgeben sollte. Unterschiedlich wird berichtet, ob es die CIA oder der MI6 war, der sich als Ghostwriter des Revolutionsführers angedient habe.

Tatsächlich hat das libysche Außenministerium eine solche Erklärung am 19. Dezember 2003 verbreitet. Sie war das Ergebnis langer, komplizierter Verhandlungen um Einzelheiten und Formulierungen. Darüber schrieb das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time schon am 18. Mai 2006: »Ghaddafis Sohn Saif Al-Islam und Regierungsbeamte haben Monate mit Geheimverhandlungen verbracht, an denen Vertreter sowohl der CIA als auch des britischen Geheimdienstes MI6 beteiligt waren, um die Parameter eines Deals auszuarbeiten, mit dem Libyen seine nuklearen Ambitionen aufgeben sollte.«

Dann sei jedoch am 14. Dezember, wenige Tage vor dem geplanten Termin für die öffentliche Ankündigung des libyschen WMD-Verzichts, Saddam Hussein gefangengenommen worden. Daraufhin sei Ghaddafi in Sorge gewesen, man könnte vor diesem Hintergrund eine öffentliche Erklärung von ihm als feige und demütigend interpretieren. Er habe eine Verschiebung vorgeschlagen, sei aber von Premierminister Tony Blair bedrängt worden, so daß es schließlich zu der Bekanntgabe durch das Außenministerium gekommen sei.

Zu einem Zeitpunkt, als man sich wahrscheinlich schon grundsätzlich einig war, gab es am 4. Oktober 2003 eine als gemeinsame Aktion von CIA und MI6 deklarierte Beschlagnahme eines aus Dubai kommenden, unter deutscher Flagge nach Libyen fahrenden Schiffes. An Bord befanden sich fünf Container mit Zentrifugenteilen und anderem Gerät für die Uran-Verarbeitung. Absender war der pakistanische Atomhändler Abdul Qadeer Khan. Aus den beschlagnahmten Einzelteilen hätte nicht eine einzige komplette Zentrifuge – diese Geräte werden zur Uran-Anreicherung verwendet – zusammengesetzt werden können. Libyen besaß, als es seine »Verzichtserklärung« abgab, lediglich zwei Zentrifugen, die es schon früher erworben hatte.

Unklar ist, was der Zweck dieser medienwirksamen Geheimdienstaktion war. Daß Ghaddafi an diesem weit vorangeschrittenen Punkt der Verhandlungen noch eine Bestellung bei Khan aufgegeben hätte, ist äußerst unwahrscheinlich.

Offensichtlich ist der enge zeitliche Zusammenhang des Zwischenfalls mit dem Beginn des Streits um das iranische Atomprogramm. Am 12. September 2003 hatte die Internationale Atombehörde IAEA dem Iran erstmals ein bis zum 31. Oktober befristetes Ultimatum gestellt, alle Arbeiten an der Anreicherungsanlage bei Natanz – die damals noch im Bau war – einzustellen. Der libysche WMD-Verzicht wurde als vorbildlich für andere Staaten, konkret gemein waren Iran und Nordkorea, angepriesen. Beide tappten jedoch nicht in die Falle.

*** Aus: junge Welt, 5. September 2011


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