"Bush und Obama müßten als erste auf Anklagebank"
Libyen-Krieg: Der Westen will nicht nur Öl und Rache. Er will auch Chinas Einfluß eindämmen. Ein Gespräch mit Johan Galtung *
Professor Johan Galtung aus Norwegen gilt als Pionier der Friedensforschung.
Der Schuldige am libyschen Bürgerkrieg ist ausgemacht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Revolutionsführer Muammar Al-GHaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Finden Sie das gerechtfertigt?
Während die Ankläger und Richter vorwiegend aus dem Westen stammen, sind die meisten Angeklagten Afrikaner. Libyen war früher selbst eine Kolonie. Die Machtverhältnisse entsprechen also der alten Tradition. Damit verteidige ich Ghaddafi gar nicht. Es gibt aber ganz andere Kandidaten, die für ein Strafverfahren viel mehr in Frage kämen. Wenn man die Kriegsverbrechen in Rechnung stellt, die von den Invasoren im Irak und in Afghanistan begangen wurden, müßten Ex-US-Präsident George W. Bush und sein Nachfolger Barack Obama als erste auf der Anklagebank sitzen. Der Irak-Krieg hat schließlich über eine Million Menschenleben gekostet. Warum hat man überhaupt Libyen angegriffen und nicht etwa den Jemen oder Bahrain? Auch dort wurden und werden Zivilsten getötet. Da stimmen die Verhältnisse nicht. Deshalb haben sich fünf von 15 Staaten im UN-Sicherheitsrat bei der Libyen-Resolution der Stimme enthalten.
Und was ist mit den gravierenden Tatvorwürfen, die man Ghaddafi macht?
Ich halte sie für einen Vorwand. Das Völkerstrafrecht wird im Interesse des Westens angewandt. Die Methoden von Ghaddafis Clan und des Bengasi-Clans in ihrer Auseinandersetzung unterscheiden sich nicht wesentlich. Trotzdem hat die NATO einseitig Partei für die Rebellen aus Bengasi ergriffen. Ich glaube, daß Ghaddafi in Libyen und ganz Afrika mehr Unterstützer hat als seine Widersacher.
Um wen handelt es sich da überhaupt? Noch immer wissen wir sehr wenig über die politischen Ziele der libyschen Rebellen.
Es ist eine alte Geschichte. 1981 hat die CIA die »National Front for the Salvation of Libya« (NFSL – Nationale Front für die Erlösung Libyens) aus dem Boden gestampft. Sie stützte sich auf den Bengasi-Clan. Der war zugleich der Clan von König Idriss II, den Ghaddafi 1969 durch einen Putsch entmachtet hatte. Um Libyen zu verstehen, muß man nicht nur die Geographie kennen, sondern auch wissen, daß es ein Land der Clans ist. Das ist im Irak oder in Afghanistan nicht anders. Die CIA hat mit ihrem klugen Schachzug 1981 auf den richtigen Clan gesetzt und in Bengasi militärische Strukturen etabliert. Seither kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen. Auf diese Unterminierung reagiert das betroffene Regime dann mit seiner Geheimpolizei und mit Folter, was die Lage nur noch verschlimmerte. Der aktuelle Konflikt schwelt also schon seit 30 Jahren.
Trotzdem ist der jetzige Bürgerkrieg in dieser Dimension etwas Neues und reiht sich überdies in die Aufstände in der arabischen Welt ein. Vorwände mag es geben, aber sie schaffen allein noch nicht die Bedingungen für einen Krieg.
Es gibt mehrere Gründe. Zum einen gibt es Öl. Zum anderen – und viel wichtiger! – ist Ghaddafi ein alter Feind. Zu Beginn der 70er Jahre verbannte er die US-Amerikaner von ihrem Militärstützpunkt. Außerdem setzte er sich besonders für die arme Bevölkerung ein, mit billigen Wohnungen, mit Bildung und Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus war er eine Hauptfigur der Ölkrise von 1973, als die arabischen Staaten den Ölpreis von einem auf 20 Dollar pro Faß steigen ließen. Die größte Gefahr, die der Westen in Ghaddafi sieht, ist aber sein Engagement für die Afrikanische Union. Man befürchtet, daß Afrika als potentiell sehr reicher Kontinent einen eigenen Wirtschaftsraum schafft und somit weniger Handel mit den alten Kolonialmächten in Westeuropa treibt.
Zudem wollen die Europäer und Amerikaner den Einfluß Chinas eindämmen. Auch die Chinesen wollen sich Rohstoffe verschaffen – aber im Gegenzug helfen sie mit Investitionen, die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern. Peking orientiert sich in seiner Handelspolitik an den lokalen Bedürfnissen und will die Kaufkraft der afrikanischen Völker erhöhen.
China hat in Libyen eigene Interessen. Warum hat es den NATO-Krieg nicht mit einem Veto in der UNO verhindert?
Peking geht einer Konfrontation mit den USA aus dem Weg, wo es nicht unbedingt notwendig ist. Das Land will sich in Ruhe entwickeln.
Interview: Mirko Knoche
* Aus: junge Welt, 28. Mai 2011
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